Plastikgipfel in Busan - Fest angebundene Coladeckel gegen die Plastikflut? „Hilft kaum“, sagt der Experte

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    In der Pflanze steckt keine Gentechnik
    Aber keine Sorge: Gentechnish verändert sind die
Eine unechte Karettschildkröte ist gefangen im Kunststoffnetz. Bis zu 150 Millionen Tonnen Plastik schwimmt in den Meeren.
Dienstag, 26.11.2024, 22:16

Seit diesem Montag haben die Vertreter von 193 UN-Staaten die Chance, es beim Plastik-Gipfel im südkoreanischen Busan besser zu machen als bei der COP29 in Baku. Bei der fünften Verhandlungsrunde (INC5) wollen sie ein Abkommen gegen die weltweite Plastikverschmutzung zustande bringen. Die üblichen Blockierer werden aber wohl auch diesmal eine wichtige Rolle spielen.

19 bis 23 Millionen Tonnen Plastik landen jedes Jahr weltweit in den Meeren. Das sind rund 21.000 Kilogramm oder zwei LKW-Ladungen pro Minute. Bis zu 150 Millionen Tonnen sollen bereits in den Ozeanen schwimmen. Für die Meere und ihre Bewohner hat das dramatische Folgen: Fische und Vögel verheddern sich in Kunststoffnetzen oder ernähren sich unbewusst von Plastik. Die Konsequenzen hat auch der Mensch zu tragen, spätestens dann, wenn Kabeljau, Flunder und Makrele auf dem Speiseplan stehen. Über fünf Prozent der Nord- und Ostseefische haben einer Studie zufolge Mikroplastik im Verdauungstrakt. Beim Petersfisch und Wittling aus dem Englischen Kanal sind sogar ein Drittel der Fische belastet.

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Es gebe bereits Hinweise auf Darmerkrankungen und Hirnschädigungen beim Menschen durch Plastik, sagt die Meeresbiologin Melanie Bergmann, die Mitglied der deutschen Delegation in Busan ist, am Montagmorgen im WDR Radio. Das Plastikproblem sei „sehr groß“, so die Plastikexpertin vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven.

Darmerkrankungen und Hirnschädigungen durch Plastik

400 Millionen Tonnen Plastik werden weltweit jährlich produziert, nur zehn Prozent gehen in die Recycling-Anlagen. 150 Millionen Tonnen landen im Meer oder in der Natur. Ein Großteil wird oft illegal verbrannt. Die Kunststoffproduktion und -verwendung könnte nach einer Studie der Heinrich-Böll-Stiftung bis 2030 über 1,3 Gigatonnen pro Jahr erreichen – das entspricht den Emissionen von mehr als 295 neuen 500-Megawatt-
Kohlekraftwerken. Bis 2050 könnten diese Treibhausgasemissionen auf über 56 Gigatonnen anwachsen – das entspricht 10 bis 13 Prozent des gesamten verbleibenden Kohlenstoffbudgets.

Ein wichtiger Grund für die schwache Recyclingquote seien die sogenannten Additive in den Kunststoffen, sagt Bergmann in einem Pressegespräch in Busan: Bis zu 16.000 verschiedene Additive werden in der Plastikproduktion eingesetzt, ein Drittel davon seien als gefährlich eingestuft. „Man weiß gar nicht, was drin ist“, sagte Bergmann auf einer Pressekonferenz in Busan. Deswegen könnten viele Produkte in Deutschland auch nicht recycelt werden, weil sie etwa nicht für Lebensmittelverpackungen eingesetzt werden dürften.

"Jeden Tag ohne ein starkes Plastikabkommen versinkt die Welt tiefer im Müll“

Für die Umweltschutzorganisation Greenpeace ist die weltweite Plastikverschmutzung ein Hauptverursacher der Klimakrise. Moritz Jäger-Roschko, Experte für Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschutz von Greenpeace, nimmt an den UN-Verhandlungen teil und appelliert an Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne), sich weiterhin für eine drastische Reduktion der Kunststoffproduktion einzusetzen: „Die Verhandlungen bieten die historische Chance, die Plastikkrise weltweit zu stoppen. Doch Lobbyistinnen und Lobbyisten der Öl-Staaten wollen das Abkommen verwässern. Aber wir können uns kein weiteres Taktieren und Verzögern leisten: Jeden Tag ohne ein starkes Plastikabkommen versinkt die Welt tiefer im Müll.“

Portrait of Moritz Jaeger-Roschko
Porträt von Moritz Jaeger-Roschko
© Lucas Wahl / Greenpeace Moritz Jäger-Roschko sieht in den UN-Verhandlungen in Busan eine "historische Chance", um die weltweite Plastikverschmutzung zu stoppen.
 

Besonders ärmere Staaten sind Opfer der weltweiten Plastikproduzenten, von denen die USA mit rund 40 Millionen Tonnen die größten sind. Aber auch Deutschland produziert jedes Jahr sechs Millionen Tonnen Plastik, 41 Kilogramm pro Kopf. Ein großer Teil davon könnte vermieden werden, sagen Umweltschützer. Einige Beispiele, weitere Tipps gibt es auf der homepage des WWF oder auf der Plattform „Wir lieben Recycling“:

  • Leitungswasser trinken, Soda-Spray anstatt Plastikflaschen benutzen.
  • To-go-Becher vermeiden. Seit Januar 2023 gilt die Mehrwegangebotspflicht für Speisen und Getränke zum Sofortverzehr. Sie verpflichtet unter anderem die Gastronomie zum Angebot von Speisen und Getränken in Mehrwegverpackungen. Manche Angestellte etwa aus dem Fast-Food-Bereich wissen das nicht und gießen den Kaffee erst in den Einweg-Plastikbecher, um ihn dann in den Thermobecher der Kunden umzufüllen.
  • Viele Textilien, vor allem im Sportbereich, bestehen aus Polyacryl. Dabei ist die Kunststofffaser höchst bedenklich. Sie wird aus Öl, Kohle und Gas hergestellt, verliert beim Waschen Mikroplastik, kann bei Hitze giftige Stoffe freisetzen und ist schlecht zu recyceln. Dennoch wird allein in Deutschland jährlich 133.000 Tonnen Polyacryl produziert. Der Mitarbeiter eines Outdoor-Bekleidungsgeschäfts in Köln kann das nicht nachvollziehen: „Wer will schon Plastik auf der Haut tragen?“. Er bietet keine Polyacryl-Textilien an.
  • Langlebigkeit und Second-Hand: Bei vielen Produkten fragt man sich: Brauche ich das wirklich? Viele Sachen werden wenig getragen und liegen in den Schränken rum. Andere werden nach wenigen Einsätzen weggeschmissen. Ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit könnte Energie und Geld sparen helfen und die Umwelt schonen.
  • Unverpackte Sachen kaufen. Es gibt Shampoos ohne Verpackung und unverpackte Seife. Auch die vielen Plastikflaschen für die Bad- und Glasreiniger ließen sich vermeiden. Für die Sprühflaschen, deren Inhalt hauptsächlich aus Wasser bestehen, sind Tabletten auf dem Markt, die den gleichen Effekt erzielen. „Everdrops“ sind ein Versuch wert.
  • Die Wohnung auf unnötige Plastikprodukte überprüfen und zum Recycling geben: In europäischen Haushalten würden durchschnittlich 13 elektrische und elektronische Geräte gehortet, obwohl sie nicht mehr genutzt würden oder defekt seien, ergab eine Umfrage des WEEE Forum in Zusammenarbeit mit UNITAR.
  • Kosmetik: Auch hier gibt es viele Alternativen zu den Einmal-Produkten.
  • Auf Plastik verzichten, wo es möglich ist. Unnötig sind beispielsweise Plastikverpackungen für Gemüse in Supermärkten.
Unnötig: In Plastik eingeschweißte Paprika.
Unnötig: In Plastik eingeschweißte Paprika.
 

Fixierte Coladeckel sind nicht mehr als ein netter Versuch

Die Verschlüsse, die seit Anfang Juli 2024 fest mit den PET-Flaschen verbunden bleiben müssen, bezeichnet Moritz Jäger-Roschko hingegen lediglich als "eine nette Idee". Andere Vorgaben als fixierte Coladeckel wären dringender und sinnvoller gewesen, sagt der Kreislaufwirtschaftsexperte: "Wir brauchen ein Verbot von Einwegplastik sowie die Reduzierung der Plastikproduktion. Um die Vermüllung zu reduzieren, hilft es kaum, dass die Deckel an der Flasche fixiert sind, wenn die Flaschen dann samt Deckel die Umwelt vermüllen. Stattdessen brauchen wir eine echte Mehrwegverpflichtung für alle Flaschen und Verpackungen sowie Behälter im To-Go-Bereich."

Die Vorgaben und die großen Linien dazu müssen von den UN-Staaten kommen, und da erinnert in Busan vieles an Baku. In mehr als 3.000 eckigen Klammern spiegelt sich ein breiter Dissens. Eckige Klammern stehen in der UN-Verhandlungstechnik für Änderungswünsche. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass die Streitpunkte innerhalb einer Woche aufzulösen sind, meint Alexandra Caterbow, die die Verhandlungen bis zum 1. Dezember für das NGO-Bündnis Exit Plastic begleitet.

High-Ambition-Coalition versus Like-Minded-Staaten

Zwei große Parteien stehen sich in Busan gegenüber: Auf der einen Seite die sogenannte High-Ambition-Coalition, der sich die EU und damit auch Deutschland angeschlossen hat. Sie fordern, dass weniger neues Plastik produziert werden soll.

Genau das Gegenteil haben die sogenannten Like-Minded-Staaten im Sinn. Ein Zusammenschluss wichtiger Öl- und Gasförderländer sowie Länder mit bedeutender Plastikproduktion. Dazu gehören Saudi Arabien, Russland, Iran und China. Sie haben ein vitales Interesse an einer ungestörten Fortsetzung der Plastikproduktion. Denn Plastik wird zu 99 Prozent aus Öl hergestellt. Sie lehnen daher eine Produktionsobergrenze ab und fordern ein Abkommen darüber, dass Plastik nicht in die Umwelt gelangt. Etwa, indem weltweit zuverlässige Abfallsammel- und Verwertungssysteme aufgebaut werden und am Ende mehr Plastik recycelt wird. 

Um trotzdem zu einem Abschluss zu kommen, hat die Verhandlungsführung ein Kompromisspapier vorgelegt, das nur wenige rechtlich bindende Verpflichtungen enthält. Es ist dort nicht mehr die Rede von einer Reduktion oder einem Einfrieren der Menge der Plastikproduktion, sondern nur noch von einem nachhaltigen Management der Plastikproduktion. Auch ein umfassendes Verbot von giftigen Chemikalien fehlt, ebenso ein Zieldatum, an dem sich die Weltgemeinschaft messen lassen könnte, fehlt in dem Kompromissvorschlag.

"Eine kleine Minderheit darf nicht unsere Zukunft diktieren"

Greenpeace hat dazu eine klare Meinung: „Wir müssen verhindern, dass eine kleine Minderheit die Zukunft unserer Generation diktiert“, heißt es in einem Statement der Umweltschutzorganisation für FOCUS online Earth.

Auch Henning Wilts, der am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie zu Kreislaufwirtschaft forscht, hält Recycling nur für einen Teil der Lösung: "Wir müssen vor allen Dingen ran an das Thema Einwegplastik. Wenn wir es nicht schaffen, an dieser Entwicklung zu drehen, dann werden wir die Plastikkrise nicht lösen können“, sagt er in der Tagesschau. Die Konsequenzen wären eine weitere weltweite Plastik-Vermüllung: Nach Schätzungen der Weltbank könnte die weltweite Plastikproduktion im Jahr 2040  schon bei 700 Millionen Tonnen liegen. Der Einsatz könne daher nicht höher sein, meint Greenpeace: "Scheitern ist keine Option".