Selenskyjs Amtszeit ist abgelaufen - das will Russland jetzt für sich nutzen
Die formelle Amtszeit des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj läuft bald ab – doch er bleibt im Amt. Russland will eine Gegenkampagne starten.
Kiew – Eigentlich würde die Amtszeit von Wolodymyr Selenskyj schon bald enden. Am 21. Mai 2024 müsste der ukrainische Präsident seinen Posten für seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin räumen. Doch die Realität sieht wegen des Ukraine-Krieges anders aus: Selenskyj bleibt. Das nutzt der Kriegsgegner für seine Propaganda.
Abgelaufene Amtszeit: Russland will Selenskyj delegitimieren
Wegen des anhaltenden Krieges in der Ukraine fanden Ende März keine Präsidentschaftswahlen statt – genau wie bereits im Dezember die Parlamentswahl ausfiel. Grund dafür ist das Kriegsrecht. Nun befürchtet die Regierung jedoch, dass Russland eine gezielte Kampagne vorbereitet: die Delegitimierung Selenskyjs in den Augen der Ukrainerinnen und Ukrainer, sowie der westlichen Verbündeten. Es bestehe ein mehrteiliger Plan Russlands, die Ukraine schwächen, so der stellvertretende Chef des Militärgeheimdienstes Vadym Skibitsky gegenüber The Economist.
„Künstliches Problem“: Russland will die Ukraine destabilisieren
Das Aussetzen der Wahl sei kein rechtliches Problem, sondern „ein künstliches Problem“, so der Politologe Volodymyr Fesenko zur Kyiv Independent. „Russische Geheimdienste nutzen es, um den ukrainischen Staat zu destabilisieren“. Ihr Ziel sei es, das ukrainische Militär davon zu überzeugen, die Befehle der Behörden nicht mehr auszuführen.
Die russischen Staatsmedien zeichnen schon lange das Narrativ, dass Selenskyj den Krieg nutze, um länger an der Macht zu bleiben. Doch aus juristischer Sicht sieht die Lage anders aus, denn: laut Gesetz über das Rechtsregime des Kriegszustandes sind Präsidentschaftswahlen erst nach Rücknahme des Kriegszustandes erlaubt. Solange werden die Befugnisse des bisher amtierenden Präsidenten verlängert.

Präsidentschaftswahl: Nur jeder dritte Ukrainer kann wählen
Eine Wahl während des Krieges sei auch organisatorisch schwierig umzusetzen, so Zeit Online. Millionen Menschen, die unter russischer Besatzung leben, könnten nicht wählen. Dazu kommen Millionen von Geflüchteten im Ausland und Verschleppte. So könne faktisch nur jeder dritte in der Ukraine wählen. Zusätzlich könnten Raketenangriffe, die Wählerinnen und Wähler gefährden, das Ergebnis verzerren. Soldatinnen und Soldaten müssten in Schützengräben wählen – dort bräuchte es unabhängige Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter.
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Folglich können während des Kriegsrechts die organisatorischen Rahmenbedingungen nicht erfüllt werden: „Die Rechte der Wähler können nicht geschützt werden“, sagte Julia Kyrychenko gegenüber Kyiv Independent. „Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist durch das Kriegsrecht eingeschränkt, ein Wettbewerbsumfeld für die Opposition ist unmöglich.“ Kyrychenko ist Expertin für Verfassungsrecht am ukrainischen Zentrum für Politik und Rechtsreform.
Umfrage: Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung war gegen die Präsidentschaftswahl
Ähnlich sieht es die ukrainische Bevölkerung. Laut einer Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie (KIIS) im Februar will die Mehrheit keine Wahlen während des Krieges – 69 Prozent. Nur 15 Prozent sprechen sich für eine Präsidentschaftswahl vor Kriegsende aus. Zehn Prozent wünschen sich, dass Selenskyj am 21. Mai zurücktritt und seine Macht an Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk abgibt.
Die Beliebtheit des ukrainischen Präsidenten ist zwar in der letzten Zeit gesunken, trotzdem geben 64 Prozent an, ihm weiterhin zu vertrauen. 38 Prozent der Befragten wollen Selenskyj bis Kriegsende im Amt behalten. (hk)