Wälder, Ozeane, Böden - Viel früher als berechnet: Plötzlich geraten natürliche CO2-Speicher ins Wanken
Plötzlich kommt etwas ins Wanken, womit kein Klimaforscher gerechnet hat
Denn: Obwohl menschliche Emissionen immer präziser gemessen werden können, bleibt das Verständnis der komplexen natürlichen Prozesse lückenhaft, so Klima-Expertin Reise. Satelliten haben zwar die Überwachung von Wäldern, Mooren, Permafrostböden und Ozeanen verbessert, doch Prognosen in internationalen Berichten sind oft ungenau. Dies erschwere Vorhersagen und führt dazu, dass viele Modelle den möglichen Zusammenbruch von Ökosystemen nicht ausreichend einbeziehen.
Ein Beispiel: Die Wissenschaftler haben in ihren Klimamodellen die jüngsten Anzeichen nicht berücksichtigt, dass die Weltmeere, die rund 90 Prozent der Erderwärmung aufnehmen, inzwischen deutlich langsamer CO2 absorbieren. Das CO2-Wanken der Natur könnte zwar vorübergehend sein, wenn sich die Ökosysteme wieder regenerieren.
Wenn die Natur als Klimasenke immer wieder ausfalle, werde die Netto-Null fast unmöglich, so Reise. Es gibt keine Technologie, die der Atmosphäre im großen Stil CO2 entziehen kann. Fast alle Länder sind in ihren nationalen Klimaplänen auf die natürlichen CO2-Senken angewiesen, um ihre Klimaziele zu erreichen. Die Tatsache, dass diese natürlichen Klimasenken bereits jetzt, Jahrzehnte bevor die Länder ihre Klimaziele erreichen wollen, abnehmen, erschwert die Transformation zusätzlich.
EU-Renaturierungsgesetz soll Ökosysteme schützen
Für Reise ist das ein deutliches Warnsignal: „Dass die Natur leidet und CO2 nicht mehr speichert, sondern sogar ausstößt, ist ein klares Signal, dass alle Länder schneller CO2 einsparen und der Natur Raum und Möglichkeit geben müssen, sich zu regenerieren“, so die Klimaexpertin. Deshalb sei das Renaturierungsgesetz der EU so wichtig, damit sich die Ökosysteme erholen können, um Biodiversität und Wasserkreisläufe zu schützen - und wieder als verlässliche Klimasenken zu fungieren.
Um zu wissen, wie man den Prozess umkehren kann, muss man verstehen, wie es so weit kommen konnte: Ökosysteme auf der ganzen Welt ächzen unter den Folgen der Klimakrise. Pflanzen und Wälder leiden unter Hitzewellen und Dürren, sterben ab - und werden zu CO2-Schleudern, wie einer aktuellen Studie zufolge auch die deutschen Wälder. Schmelzende Gletscher unterbrechen wichtige Meeresströmungen, was die Aufnahme von CO2 der Ozeane verlangsamt. Mit dem Anstieg der Emissionen stieg auch die Menge, die von Pflanzen und Meeren aufgenommen wurde.
„Die Natur wirkt eigentlich als Puffer“, erklärt Expertin Weise, „und dieser Puffer bricht uns mehr und mehr weg. Keine Pflanze kann CO2 aufnehmen und speichern, wenn sie wegen der Dürre kein Wasser hat. Wie fragil die Ökosysteme sind, sehen wir schon in Deutschlands Wäldern“.
Wegen der Klimakrise versagt die Natur als CO2-Speicher
Auch der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Johan Rockström, ist alarmiert: „Wir sehen Risse in der Belastbarkeit der Erdsysteme. Wir sehen massive Risse an Land – terrestrische Ökosysteme verlieren ihre Kohlenstoffspeicher und ihre Fähigkeit, Kohlenstoff aufzunehmen, aber auch die Ozeane zeigen Anzeichen von Instabilität“, zitiert ihn der „ Guardian “ bei einer Veranstaltung im Rahmen der New York Climate Week im September.
„Bisher hat die Natur unseren Missbrauch ausgeglichen. Das geht jetzt zu Ende“, sagte er. „Dieser gestresste Planet hat uns stillschweigend geholfen und uns dank der Artenvielfalt erlaubt, unsere Schulden unter den Teppich zu kehren“, sagt Rockström. „Wir haben uns in eine Komfortzone eingelullt – wir können die Krise nicht wirklich sehen.“
Wie genau die fragilen Ökosysteme auf die Klimakrise reagieren, erforschen die Wissenschaftler deshalb intensiv weiter, versichert Reise. Dennoch appelliert sie an die Länder und Regierungen, schneller ernst zu machen: Bei der Reduktion der Treibhausgase und bei der Renaturierung der Ökosysteme. Beides dürfe nicht länger auf die lange Bank geschoben werden.