Deutschland-Umfrage kurz vor der Wahl: Wie die Menschen auf neuen Merz-Kurs reagieren
Wie wirkt sich die Zusammenarbeit der CDU mit der AfD auf die Wählerinnen und Wähler in Deutschland kurz vor der Bundestagswahl aus? IPPEN.MEDIA hat sich in fünf Großstädten umgehört.
München – Es war der Aufreger wenige Wochen vor der Bundestagswahl: Die Union unter Kanzlerkandidat Friedrich Merz wollte nach dem Messerangriff in Aschaffenburg schärfere Migrationsgesetze im Bundestag durchsetzen und nahm dafür auch die Stimmen der AfD in Kauf. Letztlich scheiterte das Vorhaben, doch es entflammte eine Brandmauer-Debatte. In vielen Städten demonstrierten Menschen gegen den Kurs der CDU – alleine in München kamen Hunderttausende zu einer Riesen-Demo auf der Theresienwiese zusammen. In den Umfragen rührt sich bislang jedoch wenig bis gar nichts; die Union bewegt sich konstant zwischen 30 und 32 Prozent.
Doch dass das Ganze nicht spurlos an den Wählerinnen und Wählern in Deutschland vorbeigegangen ist, zeigt eine IPPEN.MEDIA-Umfrage an unseren Standorten in München, Frankfurt, Hamburg, Stuttgart und Hamm.
München: Tabubruch von Merz, aber auch Verständnis für Kurswechsel
Hermann Dornhege spricht in München davon, dass Merz‘ Verhalten in jedem Fall ein Tabubruch gewesen sei. „Er hat vorher im Bundestag ganz klar gesagt, dass so etwas nie passieren wird.“ Nun habe der Sauerländer ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem. Ob er mit weiteren Kooperationen zwischen CDU und AfD rechnet? Das sei schwierig einzuschätzen, sinniert der 69-Jährige. Merz habe er sich ohnehin nicht als Kanzler gewünscht, aber auch Amtsinhaber Olaf Scholz (SPD) kommt bei Dornhege nicht besonders gut weg. „Das Streitgespräch am Sonntagabend hat gezeigt, dass die beiden nicht das nötige Format haben, um unser Land nach vorne zu kriegen.“

Etwas anders sieht es Peter Jancowski: „Wir schränken Rechte ein, damit es sicherer wird.“ Die Abwägung, die Merz’ Kurswechsel beim Thema Migration zugrunde liege, sei seiner Meinung nach legitim. „Man muss in gewisser Weise sagen, dass die Union recht hat.“ Mit Blick auf die Bluttat von Aschaffenburg sagt der 34-Jährige: „Jeder Tote ist natürlich einer zu viel.“ Dass Merz für sein Ansinnen auch auf die AfD gebaut hat, sei jedoch kritisch zu hinterfragen. „Er hätte sich sicherlich mit den anderen Parteien an einen Tisch setzen können und etwas erarbeiten, was dann auch rechtlich sicher ist.“
IPPEN.MEDIA-Deutschland-Umfrage zur Bundestagswahl
Wie ticken die Deutschen kurz vor der Bundestagswahl? Wie reagieren sie auf Merz‘ harten Migrationskurs und die gemeinsame Abstimmung von Union und AfD im Bundestag? IPPEN.MEDIA fühlt in mehreren deutschen Großstädten den Puls der Wählerinnen und Wähler eine Woche vor der Wahl. Das gesammelte Ergebnis lesen Sie hier und hier geht es zur München-Umfrage, Stuttgart-Umfrage, Hamburg-Umfrage und zur Frankfurt-Umfrage.
Meine News
Frankfurt: Brandmauer-Debatte eine „Hetzkampagne“, Seitenhiebe gegen die CDU
Für die Frankfurter Patentanwältin und promovierte Physikerin Dorothée Weber-Bruls spielt das Thema Migration bei der Bundestagswahl eine entscheidende Rolle, „weil es so viele Leute beschäftigt.“ Sie ist kein Fan der gemeinsamen Abstimmung von Union und AfD im Bundestag, bezeichnet die darauffolgende Debatte aber als „Hetzkampagne“. Nur weil die AfD eine Meinung teile, könne man diese nicht einfach aufgeben, findet sie verständnisvolle Worte für CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. „Wenn jemand anderes die gleiche Überzeugung hat, dann ist das so. Das ist auch Demokratie.“ Der AfD spricht Weber-Bruls die demokratische Gesinnung ab und würde die in Teilen gesichert rechtsextreme Partei aus diesem Grund nicht wählen. In den Mittelpunkt sollte die Politik viel stärker das Thema Bildung stellen.

Eine ganz andere Meinung hat Karin Hoffman. „Wir brauchen die Migration“, erklärt die Frankfurter Rentnerin, die selbst Wurzeln in Norwegen hat. „Natürlich sind da auch Menschen dabei, die wir nicht so gut finden, aber wir sind ja auch nicht ohne Fehl und Tadel“, betont die 82-Jährige. Hat sie das Manöver der Union im Bundestag abgeschreckt? „Von der CDU habe ich noch nie was gehalten“, stellt Hoffmann klar, die sich politisch bei SPD und Grünen verortet. Die gemeinsame Abstimmung bezeichnet sie als „völlig idiotisch“. Generell gehe ihr das andauernde Thema Migration „total auf die Nerven.“ Stattdessen müsse das Miteinander in der Gesellschaft von der Politik wieder viel mehr in den Fokus gerückt werden.
Hamburg: Merz provoziert Vertrauensverlust, falsche Themen im Wahlkampf
Auf die Wahl angesprochen, reagieren viele Menschen in Hamburg ziemlich zugeknöpft. „Lieber nicht“, sagen die meisten Hanseatinnen und Hanseaten, oder: „Schwieriges Thema“. „Geh mir weg mit dem ganzen Mist“, sagt auch jemand im Vorbeigehen.
Wo genau der Schuh drückt, teilen einige dann aber doch mit: Vor allem die gemeinsame Abstimmung der CDU mit der AfD bereitet den Menschen im Norden Sorgen. „Erschreckend“, findet eine junge Krankenpflegerin das Ereignis. „Das hat schon was mit mir gemacht“, räumt eine andere Befragte ein. Das Vertrauen in das Wort von Kanzlerkandidat Friedrich Merz scheint verloren – zumindest unter den Befragten. „Ich habe große Sorge, dass der sich auch mit der AfD zum Kanzler wählen lassen wird“, gibt K.-H. Marscheider zu.

Vor allem thematisch fühlen sich die Menschen im Norden in diesem Wahlkampf offenbar nicht abgeholt. „Es gibt nicht nur Migration, sondern es gibt ganz viele andere Themen, die mindestens genauso wichtig sind“, sagt M. Marscheider während eines Alsterspaziergangs. „Das macht uns wütend.“ Auch die Krankenpflegerin Aisha Koker sieht das so: Die Belange ihrer Berufsgruppe würden von der Politik nicht gesehen. „Die Pandemie war ja eigentlich so eine Situation, wo wir gehofft haben, okay, dadurch kommt jetzt Veränderung und dadurch sieht die Gesellschaft, was die Pflege leisten muss. Da ist wenig bis gar nichts gekommen.“
Stuttgart: Viele CDU-Wähler verspüren Unsicherheit, aber es gibt auch Lob
Potenzielle CDU-Wähler in Baden-Württemberg sind durch das Manöver von Friedrich Merz ins Wanken geraten. So beispielsweise Christian Peha, der darin einen Wortbruch im Handeln der CDU sieht. Was seine Stimmabgabe für die Bundestagswahl angehe, ist der junge Stuttgarter nun unschlüssig. „Auf jeden Fall hat es Einfluss genommen, dadurch dass die CDU gesagt hat, sie würde sich niemals mit dieser Partei verbünden, was sie jetzt doch gemacht hat.“ Norbert Hill (69) sieht das ähnlich. „Das, was da abgelaufen ist, geht gar nicht.“ Der Rentner betitelt das Verhalten von Friedrich Merz als „Hula-Hoop“. Irritiert in Bezug auf die Brandmauer-Debatte zeigt sich Fritzine Hornung: „Tatsächlich hat es mich etwas verunsichert, dass man auf einmal irgendwie in Richtung rechts zugeordnet wird, wo man auf gar keinen Fall hinmöchte.“

Anette Wasser hingegen bewertet die Entwicklungen ein wenig anders. „Ich fand’s positiv von der CDU, dass sie sich jetzt so positioniert hat.“ Man hätte „dadurch die AfD ins Abseits gedrängt. Migration ist natürlich ein Thema, aber es ist jetzt einfach zu viel.“ Die Politik müsse bewerkstelligen, „dass die Menschen hier auch einen Platz finden.“ Ferner beteuert sie: „Ich wähle nicht die AfD.“
Hamm: Keine großen Effekte auf Wahlentscheidungen, Merz wird „Machtgier“ unterstellt
Auf die Wahlentscheidung von Ina Kutzias aus Hamm in Nordrhein-Westfalen hat die gemeinsame Abstimmung von CDU und AfD keinen Einfluss. „Ich denke, jede Partei hat Mitspracherecht“, erklärt sie. „Es ist ja jetzt nicht so, dass irgendwelche Entscheidungen getroffen wurden, die meiner Meinung nach extrem nach rechts gehen, sondern einfach nur Sicherheitsvorkehrungen.“

Auch Sven Michael aus Dortmund gibt an, dass sich die Abstimmung im Bundestag „eher weniger“ auf sein Wahlverhalten auswirken würde. Für den 49-Jährigen stehen die Sachthemen mehr im Vordergrund als die „schwerwiegende Rechtsblockbildung“. Eine eindeutige Meinung zu Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat in diesem Zusammenhang Michaela Brosch. Die 71-Jährige ist sich sicher: „Ich finde, Friedrich Merz hat sich disqualifiziert mit seinem Abstimmungsgebaren und vor allen Dingen mit seiner Machtgier.“