Eine Attacke vor Moskaus Toren: Partisanen setzen Hubschrauber in Brand – militärisch wertlos, psychologisch bedeutend: Putins Fassade soll bröckeln.
Moskau „Jeder zerstörte russische Luftwaffenstützpunkt, jedes zerstörte russische Militärflugzeug – ob am Boden oder in der Luft – bedeutet die Rettung ukrainischer Leben“: Laut Newsweek hatte das der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kürzlich gesagt, wie sein Auslandsgeheimdienst veröffentlicht hat. Die Ukraine lässt Wladimir Putins Truppen aktuell keine ruhige Minute: In den vergangenen Tagen sind wohl drei Hubschrauber durch Sabotage auf russischem Territorium zerstört worden – darüber berichtet beispielsweise die Ukrainska Prawda.
Am 21. Juli sollen in der Siedlung Tomilino nahe Moskau ein Kampfhubschrauber vom Typ Mi-28 und ein Mehrzweckhubschrauber vom Typ Ka-226 durch Feuer zerstört worden sein; am 24. Juli ging nach Medienberichten auf dem Flugplatz Kryazh in Samara ein militärischer Mehrzweckhubschrauber vom Typ Mi-8 in Rauch auf. als Ursache wird jeweils Sabotage genannt. „Die Anwohner von Samara, Tomilino und den benachbarten Moskauer Vororten waren von den Explosionen sehr betroffen, doch die russischen Behörden versuchen, die Ursachen und Folgen des Lärms und des Feuers zu verheimlichen“, schreibt die Hauptdirektion für Nachrichten des Verteidigungsministeriums der Ukraine.
Unruhe stiften unter Putins Anhängern: Partisanen untergraben das Sicherheitsgefühl
Die Urheber der Anschläge sind ungenannt. Während auf der Krim die krimtatarischen Partisanen Atesh und die „Krim-Kampfmöwen“ im Untergrund arbeiten, bestehen auf russischem Territorium beispielsweise das „Russische Freiwilligenkorps“, die „Legion Freies Russland“ und die „Sibirische Legion“, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) im März berichtet hat, nachdem mehrere Anschläge in den Grenzregion Belgorod und Kursk verübt worden waren. „Kiew bestreitet, mit eigenen Kräften auf das Territorium Russlands vorzustoßen, erklärte aber, die russischen Putin-Gegner mit Waffen zu unterstützen“, berichtete die F.A.Z. – inzwischen sind zudem mehrere klar dem Militär zugeordnete Drohnenangriffe auf russische Luftwaffenstützpunkte verübt worden.
„Der Kreml hat bewusst versucht, in Russland ein Bild der Normalität zu vermitteln. Diese ukrainischen Sabotageaktionen zielen darauf ab, diese Fassade zu durchbrechen.“
Jade McGlynn weist auf den entscheidenden Beitrag der Guerillas zu den militärischen Bemühungen der Ukraine hin. Die Analystin des Thinktanks Center for Strategic & International Studies (CSSI) betont deren wesentliche Rolle bei der Sammlung und Übermittlung von Informationen, der Unterstützung militärischer Operationen, der Sabotage feindlicher Logistik- und Kommandostrukturen sowie für die Vorbereitung ukrainischer Militärinitiativen. Neben dem Versuch der Ukraine, den Russen ihre Ressourcen zu entziehen, zielen die begrenzten militärischen Aktionen auch darauf ab, „die Lage auf russischem Territorium zu destabilisieren“, wie Andrzej Wilk und Piotr Żochowski vom polnischen Thinktank Center vor Europan Studies schreiben.
Der Krieg im Schatten wird allerdings bereits seit kurz nach der Invasion im Februar 2022 ausgefochten. „Unser Ziel ist es, den russischen Besatzern das Leben unerträglich zu machen und ihre Pläne mit allen Mitteln zu vereiteln“, sagte „Andriy“ im ersten Kriegsjahr gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press (AP), wie die Los Angeles Times berichtete – der 32-Jährige hatte zu der Zeit die Partisanen in der südlichen Region Cherson koordiniert. „,Wir geben dem ukrainischen Militär genaue Koordinaten für verschiedene Ziele, und die Unterstützung der Guerillas macht die neuen Langstreckenwaffen, insbesondere HIMARS , noch schlagkräftiger“, sagte „Andriy“ gegenüber AP. ,Wir sind hinter den russischen Linien unsichtbar, und das ist unsere Stärke.‘“
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Patt auch im Untergrund: Putins Saboteure agieren auch auf Nato-Territorium
„Die Widerstandsbewegung verfolgt drei Ziele: die Zerstörung russischer Waffen und ihrer Versorgungswege, die Diskreditierung und Einschüchterung der Besatzer und ihrer Kollaborateure sowie die Information der ukrainischen Geheimdienste über feindliche Stellungen“, sagte gegenüber der Los Angeles Times Iwan Fedorow, der frühere Bürgermeister der ukrainischen Stadt Melitopol. Allerdings steht auch Russland im Verdacht der Sabotage hinter feindlichen Linien – in europäischen Ländern, wie die Washington Post aktuell berichtet.
Demnach geht der Ukraine-Krieg bereits auf dem Gebiet der Nato-Partner weiter: Polen hat laut der Post im vergangenen Monat zwölf vermeintliche Saboteure verhaftet – ihnen wird der geplante Angriff auf Versorgungslinien in die Ukraine vorgeworfen. In Berlin ist eine Produktionsstätte des Rüstungsherstellers Diehl Defence in Brand geraten – offiziell aufgrund eines technischen Defekts; allerdings könnte der auf Sabotage zurückzuführen sein. Auch in Norwegen sollen Behörden vor russischen Untergrundaktivitäten gegen Rüstungsbetriebe gewarnt worden sein.
Bewegung im Schatten des Ukraine-Krieges: „So viel Schmerz wie möglich zufügen“
Wenn man feststecke, wie jetzt gerade, und sich nichts bewege, dann wollen eigentlich beide Seiten einander so viel Schmerz wie möglich zufügen, sagte Ronald Marks Anfang des Jahres dem Online-Magazin Daily Beast. Laut dem Offiziellen des US-Auslandsgeheimdienstes CIA kennzeichnen Partisanen-Aktionen die aktuelle Phase des Krieges nach zweieinhalb Jahren blutiger Gefechte an der Front ohne durchschlagendes Ergebnis. Russland soll weiterhin über mehr als 1.500 Helikopter verfügen, ein Drittel davon reine Kampfhubschrauber. Der aktuell erfolgreiche Hinterhalt hat also wenig geholfen, die reine Kampfkraft der Invasionsarmee zu schwächen.
Die Verluste der Russen im Gefecht, beispielsweise an Hubschraubern, waren deutlich bedeutender, wie aktuell neben verschiedenen anderen Quellen auch das Magazin Defense News berichtet: Demnach soll Russland inzwischen fast die Hälfte seiner Ka-52 „Alligator“-Kampfhubschrauber verloren haben. „Kampfhelikopter nur noch eine Übergangslösung?“, fragte schon Mitte vergangenen Jahres die Neue Zürcher Zeitung angesichts der beschlossenen Ausmusterung des Kampfhubschraubers „Tiger“ aus der Bundeswehr. NZZ-Autor Marco Seliger hat die Zeichen der Zeit nach einem Jahr Ukraine-Krieg wohl richtig gedeutet: „Sofern der Gegner über eine moderne Flugabwehr verfügt, gleicht der Einsatz von Helikoptern einem Himmelfahrtskommando.“
Ihm zufolge hätten die Russen Kampfhubschrauber allein deshalb eingesetzt, weil ihnen in einigen Abschnitten gelungen war, die gegnerische Flugabwehr auszuschalten. Die Nacht-und-Nebel-Aktion der Ukrainer vor den Toren Moskaus hatte also einen gänzlich anderen Zweck. „Das Wichtigste beim Guerillakrieg ist … die Unsicherheit. Es geht darum, die Truppen nervös zu halten“, sagte CIA-Mann Marks dem Daily Beast. „Man weiß nicht, wer hinter den Linien wen unterstützt. Wem kann man vertrauen?“
Ukraine mahnt zur Wachsamkeit: Zivilisten sollen nach Putins Antennen Ausschau halten
Die ukrainische Regierung hat deshalb eine Website geschaltet, um ihre Bürger zur Aufmerksamkeit aufzufordern: Demnach würden die Besatzungstruppen gerade in der Region Cherson verstärkt nach Partisanen suchen – vor allem nach „Strahlungsquellen von Satellitentelefonen“, wie die Regierung schreibt. Deshalb sollen die ukrainischen Zivilisten – mit aller gebotenen Vorsicht – Ausschau halten nach Antennen, ungewöhnlichen Bewegungsmustern und auffälligen Versammlungen russischer Kräfte.
Die Ukraine bemühe sich mit ihren Sabotage-Aktionen wahrscheinlich darum, Wladimir Putins Kriegsanstrengungen in der eigenen Öffentlichkeit zu diskreditieren, deutet Peter Schroeder im Daily Beast an. Sie „versuchen, der russischen Bevölkerung den Krieg nahezubringen, um die Unterstützung der Bevölkerung für Putins Krieg zu untergraben“, sagt der Ex-CIA-Analyst und ehemalige stellvertretender Geheimdienstoffizier für Russland und Eurasien beim Nationalen Geheimdienstrat im Büro des Direktors des Nationalen Geheimdienstes (ODNI).
„Der Kreml hat bewusst versucht, in Russland ein Bild der Normalität zu vermitteln. Diese ukrainischen Sabotageaktionen zielen darauf ab, diese Fassade zu durchbrechen“, sagt Schroeder. CIA-Kollege Ronald Marks sieht in der Guerilla-Taktik der Ukraine deren verzweifelten Versuch, Wladimir Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen oder ihm eine Art Waffenstillstand abzuringen: Jede Zerstörung im eigenen Land könne den Preis für Wladimir hochtreiben, mutmaßt Marks über die Intention der Ukraine. „So werden sie den Krieg nicht gewinnen. Aber Sie werden damit weiterhin die Moral untergraben und die Unterstützung, die die Menschen dafür hätten.“