NGO-Chef zu Netanjahus Kriegsführung: „Israel ist besser als das“
Der tödliche Angriff Israels auf einen Gaza-Hilfskonvoi sorgt für Aufregung. Verbündete kritisieren Netanjahus Vorgehen. Was für Folgen gibt es?
New York – Benjamin Netanjahu sprach von einem „tragischen Vorfall“. So etwas passiere im Krieg, sagte der israelische Ministerpräsident, nachdem sieben Helfer der Organisation World Central Kitchen (WCK) umgebracht wurden. Ihr Chef und Gründer, José Andrés, sieht das vollkommen anders. Es handle sich nicht nur um einen Fehler, schreibt er in einem Gastbeitrag für die New York Times. „Es war ein direkter Angriff auf klar gekennzeichnete Fahrzeuge, deren Bewegungen den israelischen Verteidigungsstreitkräften bekannt waren.“
Der tödliche Angriff der israelischen Armee auf einen Hilfskonvoi im Gazastreifen wühlt die internationale Politik dieser Tage auf – Polens neuer Regierungschef Donald Tusk stellt sogar seine Solidarität mit Israel infrage. Katar bezeichnete den Angriff als Verstoß gegen internationales Recht, Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez beschrieb Netanjahus Erklärung als „unzureichend“. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte, die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden.
Hilfskräfte und Zivilisten schützen: Hunger und Bomben würden Krieg im Gazastreifen nicht lösen
WCK-Chef José Andrés findet besonders klare Worte für die Attacke. Israel sei „besser als die Art und Weise, wie dieser Krieg geführt wird“, schreibt er in der New York Times. „Es ist besser als die Blockade von Lebensmitteln und Medizin für Zivilisten. Es ist besser als die Tötung von Hilfskräften“, so der prominente Star-Koch. Die sieben getöteten Helfer seien „nicht namenlos oder gesichtslos“. Sie seien weder anonyme Hilfskräfte noch Kollateralschäden im Krieg.
Die US-amerikanische Hilfsorganisation hat nach dem Vorfall vorerst ihre Arbeit in der Region eingestellt. Laut Andrés hatte sie Israelis wie Palästinenser versorgt. „In ganz Israel haben wir mehr als 1,75 Millionen warme Mahlzeiten serviert“, sagt er. „Wir haben Familien versorgt, die durch Raketen der Hisbollah im Norden vertrieben wurden. Wir haben trauernden Familien aus dem Süden Essen gebracht. Wir haben Mahlzeiten in die Krankenhäuser geliefert, in denen Geiseln mit ihren Familien wiedervereinigt wurden. Wir haben konsequent, wiederholt und leidenschaftlich die Freilassung aller Geiseln gefordert.“
Gleichzeitig hätten die Helfer ihr Leben für die hungernden Menschen in Gaza aufs Spiel gesetzt. „Man kann diesen Krieg nicht gewinnen, indem man eine ganze Bevölkerung hungern lässt.“ Und man könne auch die Geiseln nicht retten, „indem man jedes Gebäude im Gazastreifen bombardiert“.
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Kritik an Verbündeten Israels: Biden und Sunak unter Druck
Inzwischen sehen auch die engsten Verbündeten Israels Benjamin Netanjahu zunehmend als Belastung. Die britische Regierung etwa steht nun unter internem Druck, Waffenlieferungen an Israel einzustellen. In einem offenen Brief an Premierminister Rishi Sunak warnten mehr als 600 Justizexperten, darunter auch ehemalige Richterinnen und Richter des Obersten Gerichts, Großbritannien riskiere ansonsten den Bruch international bindender Gesetze. Unter den getöteten Helfern waren auch drei Briten.

Auch bei den USA wächst die Frustration über die Kriegsführung im Gazastreifen von Monat zu Monat. US-Präsident Joe Biden macht inzwischen keinen Hehl mehr aus seinem Unverständnis für Netanjahus Art der Kriegsführung und für seinen Unwillen, sich von den Partnern in Washington und anderswo etwas sagen zu lassen. Nach dem Tod der WCK-Helfer äußerte sich Biden „empört“. Der US-Präsident telefonierte auch deshalb gestern Abend mit Netanjahu. Man verlange „konkrete“ Schritte zum Schutz der Zivilisten, und zwar „unverzüglich“, verbreitete das Weiße Haus. Der weitere US-Kurs hänge davon ab.
US-Wahl für Biden weiterer Faktor: Nahost-Konflikt gefährdet Wiederwahl
Für Biden und seine Regierung geht es auch darum, nicht kurz vor der US-Präsidentenwahl als enger Verbündeter Israels selbst in einen größeren Konflikt im Nahen Osten hineingezogen zu werden. Nach dem Beginn des Krieges nahmen auch die Attacken auf US-Truppen in der Region deutlich zu. Die Serie an Attacken gipfelte im Tod von drei US-Soldaten in Jordanien Ende Januar.
Mehrere Vergeltungsschläge der Amerikaner sorgten vorerst für Ruhe. Doch die US-Regierung reagierte angefasst auf den jüngsten Angriff auf das iranische Botschaftsgelände in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Dieser schürt erneut Ängste vor einer größeren Eskalation. Das Pentagon machte öffentlich Israel für die Attacke verantwortlich, ohne dass sich die Israelis selbst dazu bekannten – ungewöhnlich tiefe Gräben zwischen engen Partnern.