Im Oktober 2018 stürzte in Indonesien eine Boeing 737 Max ab. Wenige Monate später eine weitere in Äthiopien. 346 Menschen verloren ihr Leben. Später kam heraus: Mehrere Ingenieure und Mitarbeiter hatten früh Sicherheitsbedenken geäußert – doch keiner wollte das Risiko eingehen, mit einer klaren Ansage seine eigene Karriere, und den Konzernriesen Boeing, zu stoppen.
Die Angst war größer als der Mut. Angst vor Karriereknick. Angst, als Störenfried dazustehen. Angst, einen Fehler zuzugeben, bevor er überhaupt passiert war und negative Auswirkungen hatte.
Die Folge dieses Verhaltens war nicht ein einzelner Fehler, sondern eine Kultur des Schweigens. Eine Kultur, in der Fehler nicht besprochen, sondern sogar vertuscht wurden. Mit tödlichen Konsequenzen.
Peter Holzer unterstützt seit 2009 Führungsteams in anspruchsvollen Veränderungen – mit klarem Blick für Leadership, Generationenwechsel und Haltung: konsequent in der Sache, wertschätzend im Miteinander. Er ist Teil unseres Experts Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.
Warum wir alle Fehler so sehr fürchten
Doch es muss nicht immer um Leben und Tod gehen, damit Menschen Angst davor haben, offen mit (drohenden) Fehlern umzugehen. Ich erlebe in den Unternehmen regelmäßig, dass Menschen keine gute Beziehung zu Fehlern haben. Selbst bei den profansten Dingen machen sich die Menschen selbst zum Opfer.
Wer beispielsweise zu spät zu einem Meeting erscheint, versucht sich aus dem Schussfeld zu bringen, indem er äußeren Umständen die Schuld gibt: „Entschuldigt die Verspätung, aber ich steckte im Stau.“ Dabei wäre eigentlich die Wahrheit angebracht: „Ich bin leider zu spät losgefahren“.
Diese Fehlerscheue ist ein menschlicher Reflex. Unser Gehirn bewertet Fehler als Bedrohung. Das limbische System schaltet sofort in den Alarmmodus: Herzklopfen, Schweißausbrüche, ein Gefühl von Angst. Wie wir uns bei Angst verhalten, hat die Evolution über die Jahrtausende fest in unseren Genen verankert. Wir sind biologisch programmiert, bedrohlichen Situationen aus dem Weg zu gehen.
So ist es im modernen Arbeitsleben für die meisten Menschen ein Problem, klar ihre Meinung sagen. Sie haben Angst davor,
- eine unangenehme Situation zu erzeugen,
- sich unbeliebt zu machen,
- eine Abfuhr zu holen,
- verbale Prügel einzufangen —
- oder gar ausgegrenzt werden.
Letzteres ist die größte Angst: die Befürchtung, Zugehörigkeit zu verlieren. Die Folge: Führungskräfte sichern jede Entscheidung doppelt ab, um keine Angriffsfläche zu bieten. Mitarbeiter bleiben lieber in der Komfortzone, als mutig die Stimme zu erheben oder etwas zu wagen.
Diese Angst vor Fehlern bremst Unternehmen aus. Denn ohne Fehler gibt es kein Lernen – weder oben noch unten. In einer Welt, die sich immer schneller verändert, ist es jedoch genau das, was wir brauchen: steile Lernkurven.
Studien zeigen: Fehlerfreundlichkeit macht Unternehmen erfolgreicher
In zwei Studien mit 65 niederländischen und 47 deutschen Unternehmen wurde belegt: Unternehmen, die eine Error Management Culture pflegen – also offen über Fehler sprechen, sie analysieren und als Lernchance nutzen – schneiden signifikant besser ab. Besser heißt: Höhere Zielerreichung, bessere finanzielle Kennzahlen, stärkeres Innovationsverhalten.
Kein Wunder, denn ein sinnvoller Umgang mit Fehlern fördert Lernen und kreatives Verhalten. In einem gesunden Umfeld teilen Teams Erkenntnisse und passen sich schneller an.
Entscheidende Voraussetzung, damit das gelingt, ist das Gefühl von zwischenmenschlicher Sicherheit. Nur wenn Menschen wissen, dass Fehler nicht bestraft, sondern konstruktiv genutzt werden, gelingt der offene und konstruktive Austausch. Die Menschen müssen sich schlichtweg trauen, den Mund aufzumachen und verletzliche Flanken zu offenbaren.
Dieser Mut ist in der Praxis bitter notwendig. Denn die Angst vor Fehlern kostet mehr Leistung, mehr Innovation und unterm Strich mehr Geld – als die Fehler selbst.
Gesunder Umgang mit Fehlern ist Teamsache – nicht nur Chef-Sache
Eine gesunde „Fehlerkultur“ beginnt oben, lebt aber nur, wenn alle mitmachen:
- Chefs müssen Mut machen, Fehler offen anzusprechen.
- Mitarbeiter müssen diesen Raum nutzen – und Verantwortung übernehmen, statt sich zu verstecken.
Doch Fehlerfreundlichkeit ist kein Freibrief, möglichst viele Fehler zu machen. Es geht vielmehr um die innere Haltung: Wir machen Fehler, um daraus zu lernen!
Der eigene Anspruch muss nach wie vor Excellenz sein. Kein Mensch will in einem Flieger reisen oder sich von einem Ärzteteam operieren lassen, wo es für alle „okay“ ist, wenn Fehler passieren. Deswegen spreche ich nicht von einer „Fehlerkultur“, sondern lieber von einer Lernkultur.
So sorgen Sie für eine angstfreie Zusammenarbeit
- 1. Chefs: Zeigen Sie Ihre eigenen Fehler – Mitarbeiter: Sprechen Sie Ihre an. Offenheit von oben senkt Angst unten. Offenheit von unten stärkt Vertrauen oben.
- 2. Chefs: Belohnen Sie mutige Entscheidungen – Mitarbeiter: Treffen Sie welche. Lieber eine mutige Entscheidung, die scheitert, als gar keine. Bewegung ist besser als Stillstand.
- 3. Chefs: Fragen Sie „Was lernen wir?“ – Mitarbeiter: Bringen Sie Antworten. Weg von Schuld, hin zu Erkenntnis. Chefs müssen zum offenen Austausch ermutigen. Doch die Mitarbeiter müssen auch den Mund aufmachen und gute Inhalte liefern.
- 4. Chefs: Schaffen Sie zwischenmenschliche Sicherheit – Mitarbeiter: Nutzen Sie sie. Ein angstfreier Raum nützt nur, wenn er gefüllt wird. Vertrauen ist eine gemeinsame Aufgabe und wächst Schritt für Schritt.
- 5. Chefs: Trennen Sie klar zwischen Fehler und Fahrlässigkeit – Mitarbeiter: Übernehmen Sie Verantwortung. Fehler dürfen passieren. Fahrlässigkeit nicht. Diese Grenze zu respektieren, ist Führungs- und Teamarbeit zugleich.
Wir brauchen mehr Mut in den Unternehmen
Psychologisch ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn Menschen aus Angst vor Fehlern passiv sind oder sich unklug verhalten. Angst ist die wohl stärkste Emotion des Menschen. Sie kann selbst Hunger und Durst überschreiben. Doch sie darf uns nicht leiten. Wir brauchen mehr mutige Führungskräfte und mutige Mitarbeiter. Das heißt nicht, dass wir alle angstfrei werden – sondern dass wir trotz Angst das Richtige tun. Richtig ist, was uns durch die Ungewissheit in Richtung Zukunft bringt: Entwicklung, Innovation und gegenseitiges Vertrauen.
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Bildquelle: Peter Holzer
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