„Putin war richtig sauer …“: Worüber man in Russland im Ukraine-Krieg (noch) Witze macht

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Ein neues Buch zeigt: In Russland gibt es weiter politische Witze. Auch über Wladimir Putin. Sie verraten einiges – aber nicht unbedingt die Mehrheitsmeinung.

Angst vor der Einberufung in den Ukraine-Krieg, Sanktionen, Inflation – man könnte meinen, dass es in Russland wenig zu lachen gibt. Oder, angesichts der rigiden Strafen auf missliebige Meinungsäußerungen: Dass man jedenfalls nicht mehr öffentlich mit Humor auf die Probleme im Land reagiert.

So ganz stimmt das offenbar nicht: Die Slawistin Christine Engel hat für ein Buch aktuelle Witze aus Wladimir Putins Russland zusammengetragen. Politische Witze sogar, wie der Untertitel verrät. „Gibt‘s da noch was zu lachen?“, heißt die immerhin 128 Seiten starke Sammlung (Heel Verlag, 14,99 Euro). Implizit – und auch in den Zwischentexten – verrät sie einiges über Kritik im Land.

„Ärzte, Verkehrspolizei, Politik, Putin, Arbeit“: Witze in Putins Russland

Das fängt bei den Themen an. Wenngleich die natürlich auch auf Engels Auswahl beruhen. Klar ist: Es gibt einiges an Witzen über das 2017 erhöhte Renteneintrittsalter, über Korruption und Mangel an verschiedenen Waren. Aber eben auch über Putins mehrfach verlängerte maximale Amtszeit, den zur Maxime erhobenen „Patriotismus“, oder Doppelmoral in der politischen und wirtschaftlichen Elite, inklusive Putins auch innepolitisch forschem Patriarchen Kyrill. Und natürlich den Ukraine-Krieg. An den Witzen über die „Spezialoperation“ lässt sich allerdings auch ablesen: Es ist schwieriger geworden, öffentlich zu spotten.

Wladimir Putins Sicherheitsapparate dürften auch die in Russland kursierenden Witze genau im Ohr behalten. (Archivbild)
Wladimir Putins Sicherheitsapparate dürften auch die in Russland kursierenden Witze genau im Ohr behalten. (Archivbild) © Gerard Julien/Pool AFP/dpa/picture alliance

Und die großteils bitteren Witze in Engels Buch sind tatsächlich öffentliche Ware: Gesammelt hat Engel sie nach eigenen Angaben auf fünf russischen Plattformen im Internet. Die seien kein Nischenphänomen. Allein auf der Webseite Anekdoty iz Rossii seien im März 2024 über 1,5 Millionen Besucher verzeichnet worden, schreibt die Autorin. Täglich würden dort 100 Witze eingesandt. Veröffentlicht werden sie anonym.

Allerdings sind sie nicht etwa überwiegend politisch. Mengenmäßig auf Rang eins und zwei lägen bei Anekdoty iz Rossii Scherze über „Ehemann und Ehefrau, Kinder, Studenten“ sowie „Männer, Auto“. Erst dann folgt mit über 2000 Einträgen die etwas buntgemischte Kategorie „Ärzte, Verkehrspolizei, Politik, Putin, Arbeit“. Immerhin liegt sie damit noch vor „Militär, Geld, Wodka“ oder vor der mutmaßlich teils misogynen Sparte um „Blondinen“, „Liebe“ und „Diät“.

Witze in Putins Russland: Der Ukraine-Krieg ist buchstäblich vermintes Terrain

Einige der Fundstücke balancieren scharf an der Grenze zum Verbotenen. „Diskreditierung der russischen Streitkräfte“ steht unter harter Strafe. Trotzdem wird zum Beispiel bitter über drohende Einberufungen gespaßt.

„Guten Tag! Hier ist ihr Einberufungsbescheid. - Mit wem werden wir denn kämpfen? - Mit den Faschisten natürlich! - Und gegen wen?“, heißt es etwa. An anderer Stelle gibt es kaum verhohlenen Spott für die Plünderungslust im russischen Militär: „Soeben kamen die von der Militärkommandantur direkt zu mir nach Hause. Aber ich habe ihnen gesagt, dass ich schon in der Ukraine war und zeigte ihnen die neue Kloschüssel in meiner Wohnung.“ Insgesamt seien Witze über den Angriff auf die Ukraine aber eher rar.

Russland lacht noch – teils auch über die Propaganda in Putins Staats-TV

Auf Twitter kursierte dennoch schon vor einiger Zeit ein Spaß über die Umbenennung des Tolstoi-Klassikers „Krieg und Frieden“ in „Spezialoperation und Frieden“. Und auch im Buch findet sich die spitzzüngige Sorge vor einer „dritten kriegerischen Weltspezialoperation“. „Putin fängt übrigens an, die Geschichte Polens zu studieren ...“, lautet ein andeutungsvoll knapper anderer Spruch.

Ohnehin bekommt auch Wladimir Putin persönlich in Russlands Witzelandschaft sein Fett weg. Etwa für nie erfüllte innenpolitische Versprechungen. Oder für den dekadenten Lebensstil seiner selbst und vieler Verbündeter. „Putin war richtig sauer, weil sein Palast im Film viel besser aussieht als in Wirklichkeit“, wird etwa mit Blick auf eine Enthüllungsdoku des im Straflager umgekommenen Alexej Nawalny gescherzt: „Jetzt wird nach den Plänen von Nawalny umgebaut.“ Kyrill wird die Warnung vor sündigem Geld in den Mund gelegt – und das großherzige Angebot, alle Sünden auf sich zu nehmen.

Ein neues Buch sammelt politische Gegenwartswitze aus Putins Russland.
Ein neues Buch sammelt politische Gegenwartswitze aus Putins Russland. © Heel Verlag/fkn

Und nicht nur im Westen sorgt Russlands Propaganda-TV – wie es der „Russian Media Monitor“ der US-Journalistin Julia Davis dokumentiert – für Grusel und Spott. Eine vergiftete Weisheit: Ein russischer Patriot sei derjenige, „der dem Fernseher mehr vertraut als seinem Kühlschrank“. Und wer mag, kann sich den Fernsehpolterer Dmitri Kisseljow auf Recherchereise beim Gespräch mit einem afghanischen Bauern vorstellen: „Was machen Sie beruflich? - Ich züchte Schafe. – Dann sind wir ja Kollegen!“

Witze in Putins Russland: Spott auch über den Westen – Reisefreiheit für „gasförmige“ Russen

Auch wenn aus den online durchaus gefragten Scherzen und Einzeilern einiges an Sarkasmus spricht – man sollte wohl eher nicht davon ausgehen, dass sie stets für eine Mehrheitsmeinung in Russland stehen. Das räumt auch die Autorin direkt ein. Bei den jungen Menschen in Russland stünden Memes, bearbeitete Fotos und Animationen, höher im Kurs.

Bei der Mehrzahl der Konsumenten handle es sich eher um die Generation 50+. In einigen Sparten dominieren wohl auch Späße von Großstädtern, die etwas direkter unter Sanktionen leiden, stellt Engel klar. So oder so sticht ins Auge: Verglichen mit den oft recht szenisch und dialogisch erzählten Witzen der Sowjet-Ära – die das Buch ebenfalls anreißt – steht aktuell eher der knappe Einzeiler hoch im Kurs.

Natürlich trifft der russische Gegenwartshumor dabei auch den Westen. Und es mag bisweilen ein Fünkchen Wahrheit dran sein. Ein Witz aus Engels Sammlung lautet etwa: „Der Westen sagt: ‚Es ist verboten, von Russland Rohstoffe zu beziehen. Das ist amoralisch und widerspricht unseren Werten. Sollte es aber billiger sein, dann darf man.‘“ Und dann ist da die kleine Weisheit, dass ein Russe jederzeit frei in Europa herumreisen könne – wenn er „gasförmig“ sei. (fn)

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