Wenn seine Kontrahenten gerade auf die Zielgerade des Wahlkampfs einbiegen, liegt einer der Direktkandidaten im Krankenhaus und trinkt vermutlich Kamillentee: Das Ende der Regierungskoalition und die angekündigte Vertrauensfrage von Kanzler Olaf Scholz sorgen bei den Parteien im Wahlkreis für Mehrarbeit.
Schon am 23. Februar soll gewählt werden. Die Direktkandidaten müssen umplanen. Der Wahlkampf im Winter kommt nun viel früher als gedacht.
CSU-Mann ahnte den Koalitionsbruch früh
Schon bei der Nominierung ahnte Alexander Radwan etwas. Als im Sommer die CSU-Delegierten den Abgeordneten erneut zum Direktkandidaten für die Bundestagswahl kürten, sagte er: „Wir setzen alles daran, dass Deutschland früher erlöst wird“ von der Ampelregierung. Er sollte recht behalten. „Andere Parteien müssen jetzt in Windeseile Kandidaten wählen, das haben wir schon lange erledigt. Wir hatten sogar schon erste Treffen im Wahlkampfteam“, erklärt der Rottacher zum vorgezogenen Termin. In den Besprechungen geht‘s um Klassiker wie Infostände und Plakatwände – „die wird es natürlich geben“ –, aber auch um die besonderen Vorzeichen des Winterwahlkampfs und andere Veranstaltungsformate als im Hochsommer. Noch ist Radwan nicht in der heißen Phase des Wahlkampfs „Weihnachten bleibt. Weihnachten. Unser Startschuss wird die Klausur der CSU im Kloster Seeon.“ Die findet traditionell um den Dreikönigstag am 6. Januar statt. Die Zeit, in der die Parteien um Stimmen werben, wird kürzer. Eine weitere Veränderung sieht der erfahrene Politiker vor seiner vierten Direktkandidatur für den Bundestag. „Es sind andere Vorzeichen nach dem Scheitern der Ampelkoalition, es wird ein anderer Wahlkampf. Man sieht das an den Diskussionen zwischen den ehemaligen Koalitionären SPD, FDP und Grünen.“
Inhalte finden: Es muss schnell gehen
Raffael Joos möchte für die SPD in den Bundestag. Die Schritte davor muss der Wolfratshauser mit einigen Helfern selbst organisieren. „Ich habe kein Abgeordnetenbüro und kein eingespieltes Mitarbeiterteam“, sagt der 32-Jährige, der zum ersten Mal antritt. „Wir sind einige Ehrenamtliche, die gemeinsam Ideen entwickeln und Themen setzen“, sagt er. Joos hat noch nicht alle Ortsvereine im Wahlkreis besucht, das möchte er aber schnellstmöglich abhaken. „Ich dachte, ich hätte deutlich mehr Zeit.“ Für ihn bedeutet das, dass er vielleicht inhaltlich umplanen muss. „Ich wollte stärker auf regionale Themen setzen im Wahlkampf, vielleicht wird es nun doch mehr Bundespolitik.“
Prof. Ingo Hahn hat schon eine Vorstellung, mit welchen Themen er für die AfD und seine persönliche Kandidatur werben möchte. Der frühere Wahltermin sei zwar mit viel Organisationsaufwand verbunden, „aber wir sind froh, dass das Gespenst der Ampel früher Geschichte ist. Je früher, desto besser.“ Dass nun schon im Februar gewählt werden soll, sei Ausdruck eines Regierungsversagens. „Verantwortlich ist die Ampel mit ihrer Politik.“ Die sei „eine Katastrophe“. Hahns Wahlkampfkalender füllt sich derzeit rasant. „Bis Weihnachten ist er schon ziemlich voll, jetzt kommen auch Termine für das neue Jahr.“ Zuletzt sprach er etwa auf einer Anti-Windkraft-Demo in Altötting. Zwar haben alle aussichtsreichen Parteien eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen, Hahn trete aber dafür an, dass die AfD künftig Ergebnisse erzielt, „die es unmöglich machen, an uns vorbeizukommen. Die Brandmauer bröckelt und sie wird fallen.“ Nach den jüngsten Wahlergebnissen, die die AfD als stärkste beziehungsweise zweitstärkste Kraft abschloss, konstatiert der Landtagsabgeordnete: „Wir sind eine Volkspartei.“
Karl Bär – er hat bei der Nominierungsversammlung der Grünen in Holzkirchen breite Unterstützung erfahren – möchte die AfD verbieten lassen. Er unterstützt einen Antrag für ein Verbotsverfahren. Die Partei hält er für „gefährlich“, sagte der Grünen-Politiker aus Holzkirchen im Interview mit unserer Zeitung. Dieser Antrag ist nur eins von vielen Papieren, das er als Abgeordneter derzeit bearbeitet. „Das geht auch in den kommenden Wochen so weiter“, sagt Bär. Die Planung des Wahlkampfs und die Auftritte im Wahlkreis 222 müssen aktuell nebenher laufen. „Ich mache das zum Glück nicht alleine. Da gibt es viele Helfer, viel Manpower und Erfahrung.“ Stimmen im Winter anzuwerben, das kennt Bär aus Kommunalwahlen, die traditionell im März stattfinden. „Es wachsen im Moment keine Sonnenblumen, die wir verteilen können, aber es gibt Punsch und Glühwein. Es gibt schon Ideen.“ Eine gewisse Ruhezeit hat sich der Grüne bereits verordnet: „Niemand muss sich Sorgen machen, dass ich an Weihnachten vor der Türe stehe und über Politik sprechen will.“
Operation zur Unzeit
Felix Leipold (Freie Wähler) hat auch eine Ruhezeit – die aber unfreiwillig: Einige Tage der heißesten Wahlkampfphase wird er verpassen. „Ich habe einen Operationstermin im Januar, auf den ich seit Monaten warte. Den werde ich nicht schon wieder verschieben.“ Über den verfrühten Wahltermin ist der Geretsrieder unglücklich. „Wir hatten einen richtig guten Zeitplan für September.“ Der wurde vom Berliner Ampelausfall komplett über den Haufen geworfen. Leipold disponiert um, gemeinsam mit „fünf, sechs Leuten aus den Landkreisen Miesbach und Bad Tölz-Wolfratshausen“, die sein Team bilden. Der amtierende Stadtrat kennt Kommunalwahlkämpfe, die immer im Winter und Frühling stattfinden. „Wir müssen viel umschmeißen gerade, aber ich fühle mich bereit.“