Das Literaturfest München 2023 ist eröffnet: Zusammen ist man weniger allein
Das Literaturfest München 2023 ist eröffnet. Zum Auftakt im Haus der Kunst sprach der israelisch-deutsche Philosoph Omri Boehm.
In normaleren Zeiten lässt sich die Bedeutung einer Veranstaltung nicht zuletzt daran ablesen, wer kommt, wie hochkarätig also die Gästeliste ist. Da die Zeit aktuell jedoch aus den Fugen ist, erkennt man die Wichtigkeit des Münchner Literaturfests nun auch daran, wer eben nicht da ist an diesem Eröffnungsabend im Haus der Kunst: Arundhati Roy, die indische Schriftstellerin, bei uns vor allem durch ihren Roman „Das Ministerium des äußersten Glücks“ (2017) bekannt, hätte eigentlich am Mittwoch (15. November 2023) sprechen sollen. Wie berichtet, darf die 61-Jährige derzeit nicht aus ihrer Heimat ausreisen, weil gegen sie ermittelt wird. Roy hatte vor 13 Jahren öffentlich die Kaschmir-Politik Indiens kritisiert; der damalige Auftritt dient den Behörden jetzt als Argument für die Schikane.
Das Literaturfest München 2023 läuft bis zum 3. Dezember
Die Freiheit des Wortes, die Freiheit der Kunst – sie sind in der jüngsten Vergangenheit enorm unter Druck geraten. Nicht nur Dieter Reiter erinnert an diesem Abend daran, wenn er über das Schicksal von Roy sowie ihrer Kolleginnen und Kollegen spricht. „Weltweit werden Schreibende mehr denn je verfolgt und eingesperrt“, sagt Münchens Oberbürgermeister und verweist auf den „Tag des inhaftierten Schriftstellers“ – jährlich am 15. November wird gegen die Misshandlung und Inhaftierung von Autorinnen und Autoren protestiert. Das PEN-Zentrum Deutschland und mehr als 140 weitere Ableger der Vereinigung fordern am Mittwoch die Freilassung aller inhaftierten Schriftstellerinnen und Schriftsteller.
Omri Boehm hielt die Festrede zur Eröffnung des Literaturfests München 2023
Wie wichtig es gerade jetzt ist, dass in München bis zum 3. Dezember das Literaturfest stattfindet, ist schließlich auch daran erkennbar, wen die Verantwortlichen für die Festrede anstelle von Arundhati Roy eingeladen haben: Omri Boehm, 1979 in Haifa geboren, ist so viel mehr als ein Ersatzmann. Der deutsch-israelische Philosoph beleuchtet in seiner Rede den von Martin Buber geprägten Begriff der „deutsch-jüdischen Symbiose“ auch vor dem Hintergrund des Hamas-Terrors gegen israelische Zivilisten. Dabei zeigt er zunächst die intellektuelle wie emotionale Verbindung zwischen zwei literarischen Großprojekten des 20. Jahrhunderts auf: der Übersetzung der Bibel aus dem Hebräischen ins Deutsche, die Buber und Franz Rosenzweig 1924 begonnen haben, sowie der Übertragung von Kants „Kritik der reinen Vernunft“ durch Nathan Rotenstreich und Hugo Bergmann 1953 ins Hebräische. Mit diesen beiden Werken als Fundament blickt der 44-Jährige auf die Welt nach dem 7. Oktober und stellt fest: „Wir wissen um die Gefahren einer Gesellschaft, in der kaum ein politisches Lager bereit ist, wahrhaft universalistische Gebote zu verteidigen.“ Für Boehm ist indes klar, dass der Ausweg aus der „Finsternis“ politisch sein muss – „ausgehend vom einzigen Prinzip, das man kontextlos verfechten sollte: Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Für den Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss, der heuer das „Forum“ kuratiert („Grüezi München, es geht los!“), ist ebenfalls klar, dass „wir mit dem Bewusstsein leben, dass sich morgen schon wieder alles ändern kann“. Literatur kann hier ein Anker sein. Und vielleicht hat Bärfuss deshalb seine Veranstaltungen unter das Motto „Was wir erben, was wir hinterlassen“ gestellt. Dass er den Begriff „Erben“ dabei weit auffächert, versteht sich von selbst.
Die Münchner Bücherschau ist zurück im Haus der Kunst
Doch das Literaturfest trägt seinen zweiten Namensteil nicht ohne Grund. Und so wird zum Auftakt natürlich auch gefeiert und gefachsimpelt – all das zwischen den vielen Regalen der 64. Münchner Bücherschau, die nach beinahe 30 Jahren nun wieder zurück im Haus der Kunst ist. „Unser altes, neues Heim“, freut sich Klaus Füreder, der Vorstand des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern.
Und vielleicht ist eben dieses Bild das wichtigste in diesen aufgeregten Zeiten: Menschen im Gespräch (nicht nur) über Bücher, zwischen Büchern. „Wir müssen einander zuhören“, hat es zuvor Tanja Graf, Leiterin des Literaturhauses und Geschäftsführerin des Literaturfests, formuliert. „Das sollte das Motto dieses Festivals sein.“ Unbedingt.