Nach der Bundestagswahl - Gespräche zwischen SPD und Union: "Die Stimmung ist nicht gerade prickelnd"
Wenn es um politische Analysen geht, gehört Ursula Münch zu den gefragtesten Stimmen im Land. Die Politikwissenschaftlerin ist Direktorin der Akademie für Politische Bildung.
Zur Ausübung dieses Amtes ist sie von ihrer Professur für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr München beurlaubt. Münch ist außerdem Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundeszentrale für politische Bildung.
FOCUS online: Die Fronten zwischen SPD und Union sind verhärtet, noch bevor die Koalitionsverhandlungen angefangen haben – Alternativen sind aber ausgeschlossen. Gab es eine solche Situation in Deutschland schon mal?
Ursula Münch: Eine ähnliche Alternativlosigkeit hatten wir nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche 2017. Damals musste sich die SPD von Bundespräsident Steinmeier quasi überreden lassen, in eine erneute GroKo einzutreten.
Was ist dieses Mal anders?
Münch: Die Union kommt aus der Opposition. In der Rolle hat sie sich natürlich ordentlich an der Ampel abgearbeitet, wenn auch mehr an den Grünen als an der SPD. Im Moment stehen sich die beiden Parteien also noch als Antagonisten gegenüber. Die Stimmung ist nicht gerade prickelnd.
"Die SPD ist in einer stärkeren Rechtfertigungspflicht"
Hat sich die Kluft zwischen SPD und Union seit der letzten GroKo vergrößert?
Münch: Die Ausgangslage ist eine andere. Die CDU besinnt sich nach den Merkel-Jahren nun unter Friedrich Merz wieder ihre früheren konservativen Positionen zurück – was auch der Grund ist, warum sich die Schwesterparteien CDU und CSU wieder besser verstehen.
Die SPD hingegen ist wegen ihres schlechten Wahlergebnisses gegenüber ihrer Basis in einer stärkeren Rechtfertigungspflicht – vor allem gegenüber den Jusos. Die SPD regiert im Bund seit 1998 bis auf eine Legislaturperiode ununterbrochen mit.
Das ist eine verdammt lange Zeit. Da wundert es einen nicht, dass Parteimitglieder und Funktionäre fordern, endgültig in die Opposition zu gehen und sich als Partei neu zu besinnen. Gleichzeitig weiß die Partei natürlich auch um ihre Verantwortung.
Wo steht Lars Klingbeil in der Sache?
Münch: Teile der Partei versuchen wohl, sich wieder in Richtung typisch sozialdemokratische, linkere Positionen zu orientieren. Das geht nicht von Klingbeil aus, der ja eher zu den gemäßigten Sozialdemokraten gehört. Innerhalb der Partei gibt es also einen kleinen Richtungsstreit.
Es gibt eine Lesart der Linken in der SPD, die sagen, sie hätten Stimmen an die Linke verloren. Man wirft das den Unionsparteien und besonders Friedrich Merz vor. Er habe mit seinem Manöver Ende Januar erst für die Mobilisierung der Partei die Linke gesorgt. Die Sache ist kompliziert, die SPD steckt in einer inneren Zwickmühle. Der linke Flügel der SPD hat Klingbeil ihr Vertrauen in der Fraktion nicht ausgesprochen.
Ich würde diese Differenzen aber nicht überdramatisieren. Denn: Am Ende wird nichts anderes übrigbleiben als sich zu einigen. Für Klingbeil wird vor allem der Mitgliederentscheid wichtig. Parteimitglieder sind generell eher konservativer als Parteifunktionäre. Die Jusos werden toben, darauf kann man sich einstellen. Aber die Parteimitglieder sehen einen Koalitionsvertrag wahrscheinlich deutlich realistischer und pragmatischer.
Wie schätzen Sie die Lage bei Friedrich Merz ein? Hat er den Rückhalt seiner Partei?
Münch: Auch Merz hat ein Problem. Die Positionierung der Bundes-CDU mit Blick auf die AfD wird durch ihre ostdeutschen Landesverbände hinterfragt. Dort hat die CDU teils dramatisch schlechte Wahlergebnisse eingefahren und macht sich mit Recht große Sorgen.
Ungefähr vierzig Prozent der Wähler im Osten, nämlich all diejenigen, die die AfD gewählt haben, wünschen sich, dass die CDU eine Koalition mit der AfD eingeht. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung darüber, dass nun doch wieder eine große Koalition geschmiedet wird, bekommt die CDU dort kräftig ab.
Und das wird zum Problem für Friedrich Merz: Er muss damit umgehen und gleichzeitig auf der eigenen Linie bleiben. Davon gehe ich auch aus – Merz will kein Bündnis mit der AfD, und er weiß, dass das die Partei spalten würde.
"Natürlich ist die CSU eine eigene Partei"
Wie sieht die Einigkeit mit der CSU aus? Auf einer CSU-Vorstandssitzung hatte Markus Söder ja noch einmal betont, dass sie eine eigene Partei sei und sich da auch wiederfinden müsste.
Münch: Natürlich ist die CSU eine eigene Partei – daran zweifelt auch niemand. Und sie hat zum Wahlergebnis der Union auch einen stattlichen Anteil eingefahren. Sie erreichte in Bayern 37,2 Prozent, dagegen die CDU bundesweit ohne CSU lediglich 22,6 Prozent.
Auf ihren Anteil am Gesamtergebnis der Union von 28,52 Prozent ist die CSU stolz und natürlich ist Friedrich Merz der Erfolgsanteil der CSU bewusst. Gleichzeitig wissen alle auch, dass das Unionsergebnis nur im Vergleich zum Laschet-Ergebnis von 2021 gut ist. Ansonsten bleibt es das zweitschlechteste Ergebnis der Union bei einer Bundestagswahl seit 1949.
Welche Rolle wird Markus Söder in den Sondierungsgesprächen einnehmen?
Münch: Markus Söder wird an den Koalitionsgesprächen natürlich teilnehmen und einen entsprechenden Anteil von Ressorts für die CSU beanspruchen. Und sicherlich wird er künftig häufig nach Berlin fahren und am Koalitionsausschuss teilnehmen.
Zwar wird er nicht am Kabinettstisch sitzen, aber immer wieder von München oder Nürnberg aus reinfunken. Das ist für die CDU nicht einfach. Gleichzeitig ist es aber wesentlich leichter als zu Merkel-Zeiten.
Die Distanz zwischen CDU und CSU ist, seitdem Friedrich Merz der CDU-Parteichef ist, deutlich niedriger. Für die CSU wird es künftig darum gehen, immer wieder eine bayerische Komponente mit hineinzubekommen. Aber es gibt keine dieser grundsätzlichen ideologischen und werteorientierten Auseinandersetzungen, wie wir es in der Flüchtlingspolitik unter Angela Merkel hatten. Das ist für die künftige Bundesregierung eine Entlastung.
Wie sieht es eigentlich mit den Frauen in der Union aus? Haben Sie das Bild gesehen, das viral gegangen ist?
Münch: Da fehlt natürlich die Alibi-Frau. Der Frauenanteil ist das alte Problem der CDU und CSU. Er ist niedrig, damit ist in der Folge auch der Frauenanteil in der Fraktion niedrig. Da hat nach Einschätzung von Wahlforschern wohl das neue Wahlsystem der Ampelregierung auch seinen Teil zu beigetragen. Jetzt kann man Frauen nicht zwingen, in eine Partei einzutreten, aber zumindest können und müssen die Parteien im Rahmen ihrer Rekrutierungsfunktion stärker darauf achten, dass fähige Frauen nicht ausgebremst werden.
"Mich irritiert, wenn die Männer an diesem Tisch unter sich sind"
Hätte die CDU bei der Wahl besser abschneiden können, wenn sie einen Fokus auf weibliche Wählerinnen gesetzt hätte?
Münch: Ja. Dass man unter dem eigentlich Möglichen geblieben ist, hat meines Erachtens auch damit zu tun, dass Friedrich Merz dieses Potenzial überhaupt nicht ausschöpfen konnte – im Gegensatz zu Angela Merkel: Nämlich Frauen als Wählerinnen anzusprechen, die nicht unbedingt per se CDU oder CSU-Stammwählerinnen sind. Das ist Herrn Merz ganz sichtbar nicht gelungen. Und das wirkt sich jetzt aus, wir werden es am Kabinettstisch sehen.
Wie stehen Sie zur Paritätsfrage?
Münch: Das Prinzip von Repräsentation basiert nicht auf Parität. Das ist meines Erachtens der falsche Repräsentationsgedanke. Aber gleichzeitig irritiert es mich als Bürgerin selbstverständlich, wenn die Männer an diesem Tisch unter sich sind. An diesem Foto ist meines Erachtens nichts, worauf man stolz sein sollte.
Aber es hat seine Ursachen: Zunächst mal an den niedrigen Frauenzahlen in den konservativen Parteien. Die Parteien der Mitte und rechts der politischen Mitte haben keine Quotierungen oder zumindest keine Wirksamkeit bei den Listenaufstellungen. Und das wirkt sich dann natürlich aus. Nichtsdestotrotz traue ich diesen Männern zu, vernünftige Politik zu machen. Vielleicht sollte man dieses Defizit aber zum Anlass nehmen, um mit der Frauenunion ernsthafte Gespräche zu führen.
Vor den eigentlichen Koalitionsverhandlungen erwartet uns noch die Bürgerschaftswahl in Hamburg. Welche Rolle spielt die in der aktuellen Lage?
Münch: Die gibt der SPD vielleicht mal wieder ein bisschen Aufwind. Gleichzeitig ist es natürlich auch nur die Bürgerschaftswahl in Hamburg mit einer überschaubaren Anzahl von Wahlberechtigten. Da wird es keine großen Wechselwirkungen geben.
Allerdings ist die Wahl für die bundespolitische Entwicklung interessant. Auf Hamburger Ebene ist die Union der politische Gegner. Die SPD koaliert hier mit den Grünen und will das wohl auch so fortführen.
Aus dem Grund will sich die SPD auf Bundesebene im Vorfeld nicht an die Union annähern, weil man den Genossen auf Hamburger Ebene dieses Abgrenzungsspiel dort gegenüber der CDU nicht vermiesen möchte. Ich gehe aber davon aus, dass dies nach der Bürgerschaftswahl anders sein wird und die Parteien aufeinander zugehen.
"Dieses ganze Nach-draußen-Rausgehen ist Unfug"
Friedrich Merz hat den Wählern zugesagt, bis Ostern eine Regierung aufgestellt zu haben. Was halten Sie von diesem Ultimatum?
Münch: Sowohl die CDU als auch die SPD wären gut beraten, sich nicht ständig selbst solche Messlatten zu errichten. Dieses Datum setzt den Erwartungsdruck unheimlich hoch. Sollte es Merz nicht gelingen, dann wird ihm das auf die Füße fallen. Das halte ich nicht für besonders klug.
Das bespricht man intern mit seinem Koalitionspartner. Die Union muss auch zur Kenntnis nehmen, dass die SPD einen Mitgliederentscheid durchführen wird. Der Partei bleibt schlicht nichts anderes übrig und es kann auch eine Stärkung der Legitimation der großen Koalition sein. Ansonsten finde ich diese Überlegung von der CDU sinnvoll, Gespräche in möglichst kleinem Rahmen zu halten. Vielleicht findet man noch eine Frau, die mit dazugehört, wäre auch nicht ganz schlecht.
Was ist noch wichtig für die Gespräche?
Münch: Handys bitte abgeben. Dieses ganze Nach-draußen-Rausgehen ist Unfug und hat bei den Jamaika-Verhandlungen zu einem desaströsen Ergebnis geführt: Man trifft sich erst auf den Balkon und dann steigt Herr Lindner aus. Auch spannend wäre eine zeitliche Beschränkung des Koalitionsvertrages, was natürlich dann wieder den Nachteil hat, dass man dann mitten in der Legislaturperiode auch wieder miteinander verhandeln muss.
Das ist auch nicht ganz einfach. Auch gilt: Wieder zu Kürze zurückfinden. Wir haben an äußeren Ereignissen wie dem Krieg oder dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 2023 gesehen, dass dieser ausgefeilte, kleinstteilige Koalitionsvertrag, wo alles reingeschrieben wird, weil man dem anderen nicht über den Weg traut, ganz schnell Makulatur sein kann.
Ihr Appell?
Münch: Ich empfehle allen Seiten – auch den Medien – den Erwartungsdruck nicht zu hoch zu hängen. Davon profitiert die AfD am Ende am meisten. Ich kann davor nur warnen. Und gleichzeitig müssen beide Parteien die enorme Verantwortung annehmen.