Warum Putin-Treffen gefährlich für ihn ist - aber Selenskyj trotzdem darauf drängt
Wolodymyr Selenskyj will, Wladimir Putin hält sich bedeckt. So ist augenscheinlich die Sachlage, wenn es um ein mögliches, persönliches Treffen der beiden Präsidenten geht. Seit dem Alaska-Gipfel hat Selenskyj immer wieder seine Bereitschaft signalisiert, sich von Angesicht zu Angesicht mit dem Kreml-Chef auszutauschen.
In seiner abendlichen Videobotschaft erklärte er zuletzt, sein Unterhändler Rustem Umjerow habe in der Türkei und in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Saudi-Arabien und in Katar Gespräche geführt. Jedes dieser Länder sei bereit, die Begegnung mit Putin auszurichten. Auch die Schweiz zeigte sich offen.
Aus Moskau hieß es nach dem Alaska-Gipfel nur, ein solches Treffen erfordere langwierige Vorbereitungen. Später sagte Russlands Außenminister Sergej Lawrow zu NBC: "Präsident Putin hat gesagt, dass er bereit ist, sich zu treffen - vorausgesetzt, dieses Treffen hat eine Tagesordnung, eine Agenda."
Libman hält Treffen zwischen Putin und Selenskyj für "illusorisch"
Alexander Libman, Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Russland und Osteuropa an der Freien Universität Berlin, schaut kritisch auf eine mögliche, persönliche Begegnung der beiden Staatschefs.
"Seit dem Alaska-Treffen ist nicht so viel Konkretes passiert", sagt er im Gespräch mit FOCUS online. Jetzt schnell eine persönliche Begegnung zwischen Putin und Selenskyj zu organisieren, hält er für "illusorisch". "Solche Verhandlungs- und Mediationsversuche brauchen einen sehr langen Atem."
In Libmans Augen könnte es sogar unklug sein, ein Treffen der beiden Präsidenten zu forcieren. "Ich halte das ehrlich gesagt für kontraproduktiv, denn was könnte sich daraus ergeben?", so der Politikwissenschaftler. "Ohne Vorbereitung würde es nur zu einem offenen Streit kommen, aber zu keinem Fortschritt."
Putin hat sich "abgewöhnt, Widerreden zu hören"
Für Libman ist offensichtlich, dass sich Putin und Selenskyj "hassen". Denn: Für den Kreml-Chef sei Selenskyj der Verantwortliche für den aus seiner Sicht unbotsamen Widerstand der Ukraine. "Für Selenskyj wiederum ist Putin derjenige, der seinem Land sehr viel Schmerz zugefügt hat."
Der russische Präsident hat sich, so der Politikwissenschaftler, in den vergangenen 25 Jahren "sicherlich abgewöhnt, Widerreden zu hören". Selenskyj wiederum habe Schwierigkeiten in Situationen, in denen das Gegenüber nicht auf seiner Seite steht - wie etwa beim Eklat im Weißen Haus vor einigen Monaten.

"Daher halte ich es für extrem wahrscheinlich, dass, falls die beiden sich treffen würden, sie einfach aneinander vorbei reden würden, und das Treffen im besten Fall zu nichts führen würde. Im schlechtesten Fall würde es zum offenen Streit kommen", sagt Libman.
Auch Klemens Fischer, Professor für Geopolitik an der Universität zu Köln, ist skeptisch mit Blick auf einen baldigen, persönlichen Austausch der beiden Präsidenten. "Gegenwärtig würde es allenfalls zu einer wechselseitigen Versicherung unvereinbarer Positionen führen und darüber hinaus vielleicht sogar zu einem verbalen Schlagabtausch, der das Klima weiter verschlechtert", sagt er zu FOCUS online.
Trump drängt weiterhin auf Putin-Selenskyj-Treffen
Nach Angaben des Weißen Hauses bemüht sich Donald Trump weiterhin um einen persönlichen Austausch zwischen Putin und Selenskyj. Der US-Präsident und sein nationales Sicherheitsteam stünden nach wie vor mit russischen und ukrainischen Vertretern in Kontakt, "um ein bilaterales Treffen zu organisieren, das das Töten beenden und den Krieg beenden soll", sagte eine hochrangige Vertreterin des Weißen Hauses der Nachrichtenagentur AFP vor kurzem.
Libman glaubt, dass Trumps Drängen auf ein Treffen an seinen sehr spezifischen Vorstellungen von Außenpolitik liegt. "Er nimmt sie als eine Sequenz von Deals wahr und glaubt, dass es besser ist, wenn sich die 'höchsten verantwortlichen Politiker' treffen, um dieses Deals auszumachen."
Anders als bei Verhandlungen zwischen Unternehmen gehe es Putin und Selenskyj aber nicht nur um rationale Deals - sondern ihre Legitimität, Ideologien und letztlich auch um Emotionen. In Libmans Augen ist außerdem die mutmaßliche Redebereitschaft des ukrainischen Präsidenten zu hinterfragen.
Selenskyj will mit Putin reden - ein strategischer Move?
Denn: "Ich denke, das ist ein strategischer Move. Selenskyj merkt, dass Putin zu so einem Treffen nicht bereit ist, und präsentiert sich als Befürworter einer solchen Begegnung. So demonstriert er der Welt und vor allem Trump, dass er verhandlungsbereit ist und Putin nicht."
Ein ganz ähnliches Verhalten zeigte Selenksyj auch beim Thema Waffenstillstand. "Ursprünglich war er kein großer Freund von dieser Idee", sagt Libman. "Jetzt aber, wo er merkt, dass Russland sich nicht darauf einlässt, unterstützt er sie, um bei Trump zu punkten."
Lange hatte Selenskyj einen Waffenstillstand ohne ukrainische Sicherheitsgarantien abgelehnt. "Ein Waffenstillstand wird dann kommen, wenn der Staat, der im Krieg ist, besonders das Opfer, weiß, dass es Sicherheitsgarantien haben wird", sagte er etwa auf einer Pressekonferenz in Budapest im November 2024.
Fischer: "Persönliche Begegnung ist für Selenskyj eine Prestigefrage"
Kurzum: In den Augen des Politikwissenschaftlers spricht sich der ukrainische Präsident nur deshalb so vehement für eine persönliche Unterredung mit dem Kreml-Chef aus, weil er davon ausgeht, dass es nicht stattfinden wird.
Fischer bewertet die Lage anders. Er sagt: "Die persönliche Begegnung ist für Selenskyj eine Prestigefrage. Er will damit zeigen, dass er auf Augenhöhe mit Putin ist." Der Geopolitik-Professor geht deshalb davon aus, dass Putin diesem Treffen erst dann zustimmt, wenn die Kräfteverhältnisse "ganz eindeutig zu seinen eigenen Gunsten geklärt sind".