Drei Fachleute äußern sich zu Zinssenkungen - Inflation als Spielverderber? „Keine Rückkehr zu einer Welt, wie wir sie kennen“
Ann-Katrin Petersen, Leiterin Kapitalmarktstrategie in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa beim BlackRock Investment Institute – BII:
Wie erwartet hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen unverändert gelassen, nachdem die jüngsten Inflationsdaten nach oben und die Konjunkturdaten nach unten überrascht hatten. Das anhaltend straffe Zinsniveau bedeutet zwar, dass die EZB im September zum zweiten Mal die Zinsen senken könnte - sie schaltet aber nicht auf Autopilot und bleibt datenabhängig. Anleger sollten das Gesamtbild im Auge behalten: Dies ist kein typischer Zinssenkungszyklus. Die Zinsen in der Eurozone dürften strukturell höher liegen als vor der Pandemie.
Präsidentin Lagarde merkte an, ein September-Zinsschritt sei „völlig offen“ und bekräftigte, dass die EZB einen „datenabhängigen Ansatz von Sitzung zu Sitzung” verfolgen werde. Im Einklang mit der in Sintra verkündeten Botschaft wartet die EZB auf mehr Gewissheit - einschließlich einer Verlangsamung des Lohnwachstums -, um ihre Annahme zu bestätigen, dass die Inflation bis Ende 2025 auf ihr Ziel von 2 % zurückkehren wird.
Zähe Inflation bedeutet anhaltend straffe Geldpolitik
Wir gehen nicht davon aus, dass die EZB die Zinsen stark und schnell senken wird. Wie ihr Zinserhöhungszyklus ist auch dies keine typische Abwärtsschleife: Es handelt sich nicht um eine Rückkehr zu einer Welt, wie wir sie kennen, in der die Inflation konstant unter dem 2%-Ziel lag. Da die Arbeitsmärkte nach wie vor angespannt sind und die Produktivität schwach ist, könnte der inländische Preisdruck die Inflation bei oder über 2% halten, selbst wenn wir davon ausgehen, dass sich das Lohnwachstum gegenüber dem aktuellen Niveau abschwächen wird. Da die EZB die Zinsen auf ein deutlich restriktiveres Niveau angehoben hat, würde selbst eine stetige Zinslockerung in den kommenden Quartalen, einschließlich eines möglichen Zinsschritts im September, die Konjunktur dämpfen. Dies gilt auch, wenn man berücksichtigt, dass der neutrale Leitzins aufgrund struktureller Verschiebungen inzwischen höher liegen dürfte.
Robert Greil, Chefstratege bei Merck Finck
Von der EZB-Ratssitzung gingen Signale über den weiteren geldpolitischen Kurs aus. Auch wenn die EZB von Sitzung zu Sitzung weiterhin die Datenabhängigkeit ihres weiteren Vorgehens betont und sich damit im Einklang mit der Fed befindet, sehen wir, dass sie die Märkte indirekt recht deutlich in Richtung der nächsten Leitzinssenkung im September lenkt.
So haben zuletzt einige Notenbanker angedeutet, dass sie angesichts der Inflationsentwicklung mittelfristig Spielraum für eine Lockerung der Geldpolitik sehen. Gleichzeitig betonten sie jedoch, dass sie mehr Daten benötigen, um ausreichend zuversichtlich zu sein, dass die Inflation bis Ende 2025 auf 2 % fallen wird. Dabei werden künftige Lohndaten wie die für das zweite Quartal, die erst nach dieser Sitzung veröffentlicht werden, eine wichtige Rolle spielen. Die EZB hat die Bedeutung der Lohnentwicklung heute noch einmal betont und rechnet vor allem im nächsten Jahr mit einer moderaten Entspannung. Letztlich basiert auch die Inflationsprognose der EZB auf der Annahme dieser Verlangsamung des Lohnwachstums.
Kunst der „indirekten Guidance“ funktioniert
So scheint die eigentliche Kunst der Notenbanken derzeit darin zu bestehen, einerseits das Vertrauen in die nachvollziehbare Datenabhängigkeit zu erhalten, andererseits aber die Märkte nicht über das beabsichtigte Timing einer weiteren Leitzinssenkung zu verunsichern. Die in den Futuresmärkten eingepreisten Wahrscheinlichkeiten zeigen, dass diese Art der „indirekten Guidance“ gut funktioniert.
So erwarten auch wir die nächste Leitzinssenkung der EZB um 25 Basispunkte auf der nächsten Sitzung am 12. September - praktisch im Gleichschritt mit der Fed, die nur sechs Tage später ihren Zinsentscheid für September bekannt geben wird - und im weiteren Jahresverlauf auf Seiten der EZB eine weitere Senkung im Dezember, die den Hauptrefinanzierungssatz dann auf 3,75 % bringen würde.
Oliver Kohnen, Head of Franchise bei Baufi 24
Ein weiterer dynamischer Zinssenkungszyklus, der die drastischen Zinserhöhungen in den Jahren 2022 und 2023 wieder rückgängig machen würde, ist noch nicht in Sicht. Marktbeobachter rechnen lediglich mit zwei weiteren Zinssenkungen um jeweils 25 Basispunkte im September und Dezember, da die Inflationsentwicklung eher unberechenbar bleibt, auch wenn das mittelfristige Inflationsziel der EZB von 2 Prozent immer näher rückt. So sank die Inflationsrate im Mai in der Eurozone erneut von 2,6 auf 2,5 Prozent und in der Bundesrepublik von 2,4 auf 2,2 Prozent.
Doch gerade in den letzten Zehntelprozentpunkten hält sich die Inflation historisch betrachtet oft hartnäckig und dürfte die Geduld von Währungshütern und Immobilienbranche gleichermaßen auf die Probe stellen. Vor allem das nach wie vor hohe Niveau der Kerninflation steht der Hoffnung auf eine rasche Fortsetzung der Zinswende entgegen.
Entsprechend sollten Immobilieninteressenten nicht wie die Schlange vor dem Kaninchen in Schockstarre vor der Entwicklung der Bauzinsen verharren, die um 3,50 Prozent pendeln. Wer zu lange auf fallende Zinsen und damit möglicherweise etwas günstigere Finanzierungskonditionen wartet, verpasst nicht nur attraktivere Kaufgelegenheiten, sondern zahlt auch länger stetig steigende Mieten.
Kehrseite des verpassten Immobilienkaufs
Denn das ist die oft unterschätzte Kehrseite des verpassten Immobilienkaufs: Jede Miete nagt am Vermögen und an den eigenen Gestaltungsmöglichkeiten. Erst recht in Zeiten, in denen Wohnraum immer knapper wird. Die Preisspirale bei den Mieten dreht sich unweigerlich nach oben, während auch die Immobilienpreise nach einer Phase der Stabilisierung erste Anzeichen eines Anstiegs senden.
Die Gefahr, den richtigen Zeitpunkt für den Erwerb der eigenen vier Wände zu verpassen, ist real und wird von Monat zu Monat größer. Dabei bietet die aktuelle Situation den Käufern noch alle Möglichkeiten: Wer in naher Zukunft seine Immobilie findet, erhält Planungssicherheit für den Rest seines Lebens. Immobilienerwerber sichern sich eine potenziell steigende Wertanlage zu einer festen Rate und sind für die nächsten Jahrzehnte frei von ausufernden Mietsteigerungen, die gerade im Alter zu einer echten Belastung der Lebensqualität werden können.