Rechnung soll zeigen, warum sich Vollzeit arbeiten für Eltern nicht mehr lohnt

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Dass Eltern Vollzeit arbeiten, lohnt sich finanziell nicht, heißt es auf Instagram. Wir rechnen nach und kommen zu einem anderen Ergebnis.

Lohnt es sich noch zu arbeiten? Einige Menschen zweifeln zumindest daran. Vor allem Geringverdiener haben im Vergleich mit Bürgergeldempfänger nicht wesentlich mehr Geld im Monat zur Verfügung. Schuld daran sei jedoch nicht die Höhe des Bürgergelds, sondern der in Deutschland im Europavergleich sehr niedrige Mindestlohn, finden Experten.

Und was ist mit Eltern, die eher unterdurchschnittlich verdienen? Auf Social Media verbreiten sich immer wieder Theorien dazu, dass sich Vollzeit arbeiten für viele Mütter und Väter nicht mehr lohne, weil es so viele Hilfen vom Staat gebe. Der Instagram-Account @kapitalkraken teilt Ende September eine Rechnung, die das angeblich beweisen soll.

Rechnung auf Instagram vergleicht Vollzeit und Teilzeit bei Familien

Die Eltern in der Instagram-Rechnung haben zwei Kinder und verdienen in ihrem Vollzeitjob beide 36.000 Euro brutto im Jahr. Durch die beiden Gehälter und zweifaches Kindergeld haben sie insgesamt 6500 Euro brutto im Monat zur Verfügung. Davon gehen laut Rechnung 1212 Euro für Steuern und 696 Euro für Sozialabgaben ab. 1418 Euro zahlt die Familie für Miete, GEZ und Heizung. Hinzu kommen 455 Euro für Kita/Verpflegung. Am Ende hätten sie laut Beispielrechnung in Vollzeit 2719 Euro übrig.

Würden beide Elternteile nur noch Teilzeit arbeiten, also 18.000 Euro im Jahr pro Person verdienen, so hätten sie mit Kindergeld 3500 Euro brutto im Monat zur Verfügung. Davon gehen angeblich 523 Euro für Steuern und nur 43 Euro für Sozialabgaben ab. Miete, GEZ und Heizung bleibt gleich, die Kosten für Kita/Verpflegung fallen weg, weil die Kinder von den Eltern betreut werden. Hinzukommen angeblich 618 Euro Wohngeld und 584 Euro Kinderzuschlag.

Am Ende hat die Familie in Teilzeit angeblich 2709 Euro übrig. Kann das stimmen? BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA hat nachgerechnet.

Auf Instagram finden wir eine Rechnung, die zeigen soll: Vollzeit arbeiten lohnt sich Durchschnittsverdiener-Familien nicht. Stimmt das?
Auf Instagram finden wir eine Rechnung, die zeigen soll: Vollzeit arbeiten lohnt sich Durchschnittsverdiener-Familien nicht. Stimmt das? © Screenshot @kapitalkraken

Fast 1000 Euro weniger: Rechnung auf Instagram geht nicht auf

Für unsere Rechnung gehen wir von einer unverheirateten Familie (Steuerklasse 1) mit einem dreijährigen und fünfjährigen Kind aus Köln (NRW) aus. Schon über die Steuern und Sozialabgaben stolpern wir, denn die Beträge sind vertauscht. Auch die Heiz- und Kita-Kosten fallen laut unserer Recherche geringer aus, aber da diese stark variieren, rechnen wir mit denselben Beträgen.

Was jedoch nicht aufgeht: @kapitalkraken rechnet für die Verpflegung der Kinder zu Hause nichts ein. Mindestens 100 Euro im Monat kostet auch diese. Als wir den Wohngeld-Anspruch unserer Beispielfamilie aus Köln testen, kommen wir außerdem nur auf etwa halb so viel, also 311 Euro. Ein Anspruch auf Kinderzuschlag besteht laut KiZLotse nicht. Laut unserer Rechnung hat die Familie in Teilzeit also nur 1727 Euro übrig. Das sind fast 1000 Euro weniger als auf Instagram. Ganz davon abgesehen, dass den Eltern durch die Teilzeit einiges an Rentenansprüchen verloren geht.

Die Bundesagentur für Arbeit teilt BuzzFeed News Deutschland mit, dass die beispielhafte Rechnung für sie „nicht eindeutig nachvollziehbar“ sei. Ab welchem Gehalt tatsächlich ein Anspruch auf Kinderzuschlag bestehe, könne „nicht pauschal beantwortet werden“. Deswegen sei diese Rechnung auf Social Media so ganz ohne Kontext zumindest irreführend, sagt uns ein Pressesprecher.

„Sehr erschreckend“: Irreführende Finanztipps auf Social Media

Laut einer aktuellen Studie von Social Capital Markets, die 2.470 Videos auf YouTube, TikTok und Instagram analysiert hat, sind 71 Prozent der Finanztipps auf Social Media „irreführend“. Nur 13 Prozent der untersuchten Influencer verfügten über die entsprechenden Qualifikationen im Finanz-Bereich.

Sally Peters, geschäftsführende Direktorin beim Institut für Finanzdienstleistungen (iff) findet, dass bei Social Media oft Informationen gegeben würden, die für die individuelle Situation nicht passen würden. „Dass es laut der Studie sogar fast Dreiviertel sind, finde ich sehr erschreckend“, sagt sie BuzzFeed News Deutschland.

Wir fragen bei @kapitalkraken über Instagram an, ob ihm bewusst ist, dass er mit dieser Rechnung irreführende Informationen verbreitet. Bis zur Veröffentlichung (13. November) hat er auf unsere Anfrage nicht geantwortet.

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