Fall Rebecca: Warum die Polizei weiter den Schwager jagt – und dabei eine „riesige Blamage“ droht

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Der Schwager von Rebecca Reusch, Florian R., steht für die Behörden weiter im Verdacht, etwas mit ihrem Verschwinden zu tun zu haben. Warum ist das auch nach fünf Jahren noch so?

München – Im Februar muss die Familie der nach wie vor verschollenen Rebecca Reusch, wieder durch diese schlimme Zeit gehen. Es ist der mittlerweile fünfte Jahrestag. Stets im Kreis der Familie ist auch Florian R., der Ehemann von Schwester Jessica und Schwager der Vermissten. Er bleibt der Verdächtige Nummer 1 für die Ermittler. Nach fünf Jahren ermitteln die Behörden in keine andere Richtung. Mit mäßigem Erfolg.

Ralph Knispel ist Oberstaatsanwalt und Leiter der Abteilung für Kapitalverbrechen in Berlin. Sein Namensvetter Martin Knispel leitet die Ermittlungen. Ralph Knispel ist zudem Vorsitzender der Vereinigung Berliner Staatsanwälte. Als solcher „kann ich Ihnen bestätigen, dass die Staatsanwaltschaft weiterhin vom Tod der Rebecca Reusch ausgeht. Bekanntermaßen gibt es einen Beschuldigten und die Ermittlungen dauern an“, sagt er bei IPPEN.MEDIA. Doch woher kommt der schlimme Verdacht?

Was ist wirklich mit Rebecca Reusch aus Berlin passiert?

IPPEN.MEDIA-Serie Teil 3

Seit dem 18. Februar 2019 wird die damals 15-jährige Rebecca Reusch aus Berlin vermisst. Zum fünften Jahrestag ihres Verschwindens wollen wir den Fall noch einmal aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. Dazu veröffentlichen wir an den fünf Freitagen vor dem Jahrestag eine Mini-Serie mit den neuesten Erkenntnissen, den Theorien von Experten und Einschätzungen aus dem Kreis der Ermittler.

Teil 1 der Serie: Überblick: Chronik, Ermittlungsstand und Schlüsselmomente

Teil 2 der Serie: Blick auf die Theorien: 5 mögliche Szenarien zum Verschwinden Rebeccas

Natürlich gilt für Florian R. die Unschuldsvermutung. Alle Verdachtsmomente beginnen aber mit dem Morgen des Verschwindens von Rebecca. Sie hatte bei ihrer Schwester und dem Schwager übernachtet. Der kam spät von einer Firmenfeier nach Hause und war alleine mit Rebecca im Haus.

Am 18. Februar 2019 tauchte Rebecca dann nicht in ihrer Schule auf. Der himbeerroten Renault Twingo von Jessica und ihrem Mann wird vom Brandenburger Kennzeichenerfassungssystem auf der A12 zwischen Berlin und Frankfurt (Oder) in Fahrtrichtung Polen registriert. Am Tag danach wird das Auto erneut auf gleicher Strecke erfasst. Die Aussagen von Florian R. passen laut Polizei nicht zu den Bewegungsdaten seines Wagens. Aus Ermittlerkreisen heißt es, in Polen soll es angeblich um Drogen-Geschäfte gegangen sein.

Schwager Florian R. muss zweimal in U-Haft – und wird beide Male wieder freigelassen

In der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY“ erklärte Michael Hoffmann, der damalige Leiter der dritten Mordkommission, wenige Tage nach dem Verschwinden: „Wenn wir die allgemeinen Ermittlungen übereinanderlegen, hierbei auch das Telefonverhalten von Rebecca beachten und die Auswertung der Routerdaten aus dem Haus des Schwagers, kommen wir zu dem Schluss, dass Rebecca das Haus nicht verlassen haben dürfte. Wenn wir dies voraussetzen, dann war der Schwager allein zu fraglichen Tatzeit mit ihr im Haus.“ Hinzu kamen zwei „seltsame und klärungsbedürftige“ Fahrten mit seinem Twingo.

Zweimal muss Florian R. in Untersuchungshaft und kommt wieder frei. Die Indizien der Ermittler reichen jeweils nicht aus. Als Florian R. am 6. März 2019 noch in U-Haft sitzt, werden Fotos von ihm veröffentlicht – vor einem Millionenpublikum bei Aktenzeichen XY. Bereut die Staatsanwaltschaft das damalige Vorgehen? Knispel sagt: „Sollte das Verfahren gegen den Beschuldigten eingestellt werden, erschiene zwar sein Unmut nachvollziehbar, doch hängt die Anordnung strafprozessualer Maßnahmen nicht von der Befindlichkeit Beschuldigter ab – und darf es auch nicht.“

Axel Petermann war Mordermittler, ehe er zur Jahrtausendwende zum Profiler wurde.
Axel Petermann war Mordermittler, ehe er zur Jahrtausendwende zum Profiler wurde. Der polizeilich bestätigte Fallanalyst beriet seither die Ermittler. Bis 2014. Dann ging er in Pension. Kriminalfälle lassen ihn allerdings weiter nicht los. Seine auf wahren Fällen basierenden Bücher brachten ihn auf die Spiegel-Bestsellerliste. © Ralf Gemmecke

Der Fallanalytiker Axel Petermann ordnet für uns ein: „Die Staatsanwaltschaft hat sich Hinweise auf den Aufenthalt des Schwagers nach Rebeccas Verschwinden erhofft. Das ist ein probates und legitimes Mittel. Es muss aber sehr sorgsam überlegt sein. Natürlich besteht durch die Veröffentlichung des Fotos schnell die Gefahr einer Vorverurteilung in der Öffentlichkeit.“

Das Fahndungsfoto des Schwagers war unter Abwägung aller Aspekte dringend notwendig.

Kriminalistik-Professor Christian Matzdorf sieht das ähnlich. Der 59-Jährige war 30 Jahre bei der Landespolizei Berlin, ehe er das Thema wissenschaftlich erschloss. Er sagt: „Das war damals aus Sicht der Ermittlungshandlungen und unter Abwägung aller Aspekte wie beispielsweise der Möglichkeit, Rebecca noch aus einer bestehenden Gefahrenlage befreien zu können, dringend notwendig. Zudem war die Maßnahme geeignet, Zeugenaussagen zu erlangen, die mithelfen, sein Bewegungsprofil im Raum zu erstellen.“

Rebeccas Familie hält weiter zum Schwager: „Unschuldsvermutung gilt“

Seit Jahren hält die Familie Reusch zu Schwager Florian und das auch öffentlich. Das hat Folgen: Leider gestalte sich das Verhältnis zur Familie nach wie vor als nicht ganz einfach, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Von mangelnder Kooperation ist die Rede.

Mutter Brigitte Reusch betonte erst im April 2023 bei Bild. „Man feiert Feste zusammen, sofern man sie nach dem Verschwinden von Rebecca noch feiern kann. Solange wir nicht hundertprozentig wissen, dass Florian etwas mit Beccis Verschwinden zu tun hat, gilt für uns die Unschuldsvermutung.“ Die Familie will die Hoffnung nicht aufgeben, dass Rebecca eines Tages wieder zurückkommt.

Google-Daten und ein Bademantel führen zur erneuten Hausdurchsuchung im Haus des Schwagers

Damals, vor fast einem Jahr, nahm der Fall neu Fahrt auf. Die Ermittler durchsuchten plötzlich das Haus von Jessica und Florian. Dabei ging es zum einen um mögliche Beweismittel. Laut Medienberichten hatten neue Daten aus dem Google-Suchverlauf des Schwagers gezeigt, dass dieser kurz vor dem Verschwinden Rebeccas im Internet nach Atemkontrolle und Strangulierungspraktiken beim Geschlechtsverkehr gesucht haben soll.

Ist sie noch am Leben? Die führenden Ermittler glauben nicht mehr daran: Rebecca Reusch aus Berlin. © privat/Imago (Montage)

Wie IPPEN.MEDIA weiß, war den Ermittlern zudem aufgefallen, dass bei einem Bademantel ein Gürtel fehlte. Andererseits führte die Polizei Akustikmessungen durch. Vermutlich sollte so festgestellt werden, wo und wie laut man mögliche Schreie von Rebecca möglicherweise hätte hören können.

Dass diese Daten erst so viel später der Polizei bekannt wurden, erschreckt Profiler Petermann geradezu: „Das sind enorm wichtige Erkenntnisse, die Hinweis auf sexuelle Präferenzen des Schwagers geben könnten und gleichzeitig die Frage aufwerfen, ob er versuchte, mit Rebecca intim zu werden und auch seine Sexualfantasien zu realisieren.“ Vier Jahre später dürften mögliche Spuren leider nicht mehr vorhanden sein. Unterdessen suche die Ermittler weiter nach den Gegenständen, die Rebecca bei sich gehabt haben soll.

„Verhältnis zwischen Rebecca und ihrem Schwager bleibt der Spekulation überlassen“

Wie innig das Verhältnis zwischen Florian und Rebecca war, bleibt fraglich. Kriminalist Matzdorf, der den Fall von Beginn an intensiv verfolgte, sagt: „Dieses Verhältnis ist von verschiedenen Seiten beleuchtet worden, aber es lässt sich aus der Außenperspektive heraus nicht rekonstruieren. Es gibt auch keine neutralen Zeugenaussagen. Inwieweit eine besondere, ggf. auch einseitige Nähe zwischen Rebecca und ihrem Schwager bestand, bleibt daher der Spekulation überlassen.“

Christian Matzdorf ist Professor für Kriminalistik mit Schwerpunkt Kriminaltechnik.
Christian Matzdorf ist Professor für Kriminalistik mit Schwerpunkt Kriminaltechnik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin). Dort leitet er das Kriminaltechnikzentrum sowie den Krisenstab der Hochschule. Zudem ist er Vorstandsmitglied und Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik (DGfK). Er war über 30 Jahre in der Landespolizei Berlin. © privat

Ex-Polizist warnt Ermittler vor „Blamage“ bei Rebecca-Ermittlungen

Viel voran geht seither offenbar nichts, doch von einem „Cold Case“ will niemand sprechen. „Die Akte ist nicht geschlossen, neuen Hinweisen wird nachgegangen“, sagt der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, Sebastian Büchner. Klar ist: Die Ermittler suchen nach einem Leichnam. Sie gehen längst nicht mehr davon aus, dass Rebecca das Haus in Berlin-Neukölln lebend verlassen hat.

Axel Petermann ist mittlerweile pensioniert, war aber einst selbst Mordermittler, ehe er als Profiler seinen Kollegen beratend zur Seite stand. Er schätzt die aktuellen Anstrengungen so ein: „Der große Aufwand, der anfangs betrieben wurde, ist reduziert worden, da eine Vielzahl von Hinweisen und Spuren bereits untersucht wurde. Das aktuelle Team in der Mordkommission Rebecca dürfte also eher ein kleines sein.“

„Das wäre doch eine riesige Blamage, wenn der Schwager dann zum dritten Mal ohne Anklage aus der U-Haft entlassen werden müsste.“

Die öffentliche Zurückhaltung der Staatsanwaltschaft sei zu diesem Zeitpunkt verständlich, berichtet Petermann. Er gehe jedoch stark davon aus, „sie sammeln weiter. Sie scheinen ja überzeugt zu sein, zu wissen, wer der Täter ist. Sie werden in Ruhe weiterermitteln wollen, um genügend Indizien und Beweise zu sammeln, die für den Schwager als Täter sprechen.“ Der nächste Haftrichter dürfe keinerlei Zweifel an der Täterschaft des Schwagers haben und keine andere Person dürfte für Rebeccas Tod infrage kommen, meint er. „Das wäre doch eine riesige Blamage, wenn der Schwager dann zum dritten Mal ohne Anklage aus der U-Haft entlassen werden müsste.“

Doch weiter gilt die Unschuldsvermutung für Florian R.

Hinweise nimmt die 3. Mordkommission des Landeskriminalamts unter der Rufnummer (030) 4664-911333 oder per E-Mail an lka113-hinweis@polizei.berlin.de entgegen.

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