Nach Anschlag in Moskau - Ex-BND-Agent warnt vor IS-Drohnen-Attentaten auf EM-Stadien und Public Viewings

FOCUS online: Herr Conrad, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) spricht nach dem mutmaßlichen Anschlag des IS in Moskau davon, dass die Terrorgefahr in Deutschland akut hoch bleibe. Teilen Sie diese Einschätzung?

Gerhard Conrad: Die Terrorgefahr durch den aggressiven IS-Ableger „Islamischer Staat in der Provinz Khorasan“, kurz ISPK, ist nicht nur akut hoch, sondern seit 2021 kontinuierlich gestiegen. Darauf hat auch Thomas Haldenwang, der Chef des Verfassungsschutzes, seit Oktober 2022 immer wieder hingewiesen. 

Ist bekannt, wie diese IS-Gruppe wachsen konnte?

Conrad: Schon damals war klar, dass der ISPK immer mehr Mitglieder in Afghanistan, Tadschikistan und Tschetschenien rekrutierte. 2023 wurde die Lage durch die Teilnahme tadschikischer und tschetschenischer Kämpfer am Ukraine-Krieg noch kritischer, da sie sich in Russland ohne Visum frei bewegen und so noch leichter für Einsätze in Westeuropa rekrutiert werden können.

„Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Terroristen sich diese Möglichkeit durch die Lappen gehen lassen“

Nach dem Anschlag in Moskau mit mehr als 130 Toten richten sich die Augen westeuropäischer Sicherheitsexperten auf die EM in Deutschland, die im Juni beginnt. Was bedeutet das für unsere Sicherheit?

Conrad: Zunächst einmal bedeutet dies Klarheit, dass dem ISPK der Übergang von der planerischen Phase in die operative gelungen ist. Die Bedrohung ist nicht mehr nur theoretisch, sondern Wirklichkeit geworden.

Das zeichnete sich schon ab, als vor wenigen Wochen bekannt wurde, dass die USA Russland über operative Anschlagspläne des IS in Russland informierten.

Das heißt, Deutschland muss sich darauf gefasst machen, dass Anschläge des IS bald auch bei uns verübt werden könnten - etwa bei der EM?

Conrad: Leider ja. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Terroristen sich diese Möglichkeit durch die Lappen gehen lassen und es nicht zumindest versuchen werden. Das ist der Grund, warum die Franzosen, die ja im Sommer die Olympischen Spiele ausrichten, präventiv nun die höchste Terror-Alarmstufe ausgerufen haben.

„Eine leichtere Methode vor allem aus Sicht der Terroristen wäre der Einsatz von Drohnen“

Gibt es ein konkretes Szenario, wie IS-Attentäter bei der EM vorgehen könnten - bei Anschlägen auf Stadien oder Plätze, wo Public Viewing angeboten wird?

Conrad: Der Anschlag von Moskau hat gezeigt, dass es nicht besonders schwer ist, ein paar Männern Kalaschnikows in die Hände zu drücken und ein Blutbad anrichten zu lassen. Doch es gibt noch eine leichtere Methode vor allem aus Sicht der Terroristen: der Einsatz von Drohnen, die mit Spreng-Splittergranaten bestückt sind.

Drohnen, die eine Last von einem Kilo tragen können, kosten nicht viel. Zudem ist es kein großes Kunststück, ihre Bedienung zu erlernen und die Granaten an einem bestimmten Ort explodieren zu lassen.

Der unmittelbare Schaden eines solchen Anschlags wäre vermutlich nicht so groß wie mit Gewehren. Aber die Panik, die in Stadien oder auf Public-Viewing-Plätzen nach einer Detonation einsetzen würde, ist nicht unterschätzen.

Ist ein Schutz gegen solch kleine Fluggeräte überhaupt möglich?

Conrad: Das Wichtigste an einer effektiven Drohnenabwehr ist es, so früh wie möglich in Chatgruppen von Terroristen einzudringen, relevante Informationen abzufassen, um im Verdachtsfall schnell und präventiv zugreifen zu können. Was im Zweifelsfall auch bedeuten kann, lieber mal 30 Leute mehr vorläufig festzunehmen als 30 zu wenig.