Neues Wahlrecht könnte Lindner-Partei beerdigen: „Die FDP ist der Verlierer ihrer eigenen Reform“
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VonAndreas Schmidschließen
Beeinflusst das neue Wahlrecht das Bundestagswahl-Ergebnis? Einige bürgerliche Wähler müssen ihr Abstimmungsverhalten womöglich überdenken – Folgen für die FDP drohen.
Bei der Bundestagswahl 2025 greift zum ersten Mal das neue Wahlrecht. Im Kern sieht die von der Ampel beschlossene Wahlrechtsreform folgendes vor: Die Zweistimme wird wichtiger. Damit bekommt jene Stimme mehr Gewicht, mit der die Wählerinnen und Wähler die Partei wählen. Die Erststimme, die einem Direktkandidaten einer Partei gilt, wird weniger relevant.
Neues Wahlrecht bei Bundestagswahl: Zweistimme entscheidet
Bislang galt: Wer seinen Wahlkreis gewinnt, sitzt sicher im Bundestag. Dadurch blähte sich das Parlament zusätzlich auf, weil manche Partei, etwa die CSU, mehr Direktmandate holte als ihr nach Zweistimmenanteil zustanden. Deshalb wurde das Verhältnis zur Zweistimme mit sogenannten Überhangs- und Ausgleichsmandaten angepasst. Jetzt müssen die Direktmandate auch vom Zweistimmenanteil gedeckt werden. So soll der Bundestag kleiner werden, er ist jetzt fest auf eine Größe von 630 Abgeordneten begrenzt.
Die Folge: Politiker könnten den Einzug in den Bundestag verpassen, obwohl sie ihren Wahlkreis gewinnen. Und zwar dann, wenn ihr Stimmenanteil relativ gering ist und das Kontingent ihrer Partei an Mandaten bereits durch andere Direktmandate ausgeschöpft wurde. Darüber hinaus könnte das neue Wahlrecht noch weitere Folgen haben – etwa für die FDP. Werden die Liberalen zum Verlierer ihrer eigenen Reform?
Stimmensplitting von bürgerlichen Wählern: Erststimme Union, Zweistimme FDP
Die FDP holte bislang bei allen Bundestagswahlen mehr Zweistimmen als Erststimmen. Bei den Direktmandaten spielt die Partei seit Jahrzehnten überhaupt keine Rolle. Den letzten Wahlkreis konnte sie 1990 gewinnen. Bei der programmatisch mitunter ähnlich auftretenden Union ist es genau umgekehrt, CDU und CSU holen traditionell mehr Erst- als Zweistimmen.
Generell kann man also sagen: Bürgerliche Wähler haben womöglich ihre Stimmen aufgesplittet; also mit der Erststimme die Union und mit der Zweistimme die FDP gewählt. Das ist bei mehr Wählern populär als man denkt. Laut einer Studie des ifo-Instituts hat etwa bei der Bundestagswahl 2017 mehr als jeder vierte Wähler seine beiden Stimmen aufgeteilt. „Stimmensplitting ist somit kein Randphänomen“, heißt es in der Studie. Das geschieht auch bei anderen Parteien, etwa in Form von „Erststimme SPD, Zweistimme Grüne“.
Neues Wahlrecht bei der Bundestagswahl: „Die FDP ist der Verlierer ihrer eigenen Reform“
Jetzt, mit dem neuen Wahlrecht, ist allein die Zweistimme für die Zusammensetzung des Bundestages relevant. Wähler mit Sympathien für Union und FDP müssen sich also entscheiden. „Die FDP ist der Verlierer ihrer eigenen Reform“, sagt die CDU-Politikerin Nina Warken. Sie leitete die Wahlrechtskommission, die das neue Wahlrecht ausgearbeitet hat und versichert im Gespräch mit dem Münchner Merkur: „Wir als Union werden bei den Wählern noch stärker darum kämpfen müssen, dass die Zweitstimme zu uns geht.“ Das bedeute auch: „Es darf kein Splitting geben, das unsere Wähler vielleicht zugunsten der FDP gemacht haben.“
Merz vor Bundestagswahl: „Es wird keine Zweistimmen-Hilfe für die FDP geben“
Erststimme Union, Zweistimme FDP: Das war vor allem in der Vergangenheit gern geübte Praxis. Beide Parteien haben das – mal mehr, mal weniger offensiv – immer wieder auch ihren Wählern kommuniziert. Getreu dem Motto: Wenn ihr der Union die Erststimme gebt, ist sie über den Wahlkreis abgesichert. Dann könnt ihr die Zweistimme ruhig der FDP geben. Nun schiebt Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz dem Splitting einen Riegel vor. „Es wird keine Zweistimmen-Hilfe von uns für die FDP geben“, sagte er dem Stern. „Insbesondere bei dem gegenwärtigen Wahlrecht haben wir nichts zu verschenken.“
Könnten die Wähler nun zu dem Entschluss kommen, mit beiden Stimmen Union statt FDP zu wählen? Die FDP gibt sich gelassen. „Sie könnten ja auch sagen: beide Stimmen für die FDP“, sagt der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Stephan Thomae, im Gespräch mit unserer Redaktion. „Die FDP war immer ein stabilisierender Faktor in diesem Land.”
Laut Umfragen muss die FDP um den Einzug in den Bundestag zittern. Aktuelle Umfragen zur Bundestagswahl sehen die Liberalen bei teils unter fünf Prozent. Weil es unwahrscheinlich ist, dass die FDP drei Wahlkreise direkt gewinnt, wäre sie damit raus aus dem Bundestag.
Ob die Rechnung von CDU-Politikerin Warken aufgeht, ist fraglich. Bürgerliche Wähler könnten sich auch für die FDP entscheiden, um zu verhindern, dass die Partei aus dem Parlament fliegt. Dann wiederum wären CDU und CSU die Verlierer der Wahlrechtsreform.
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