Soll eigentlich Panzer abwehren: Diese Waffe macht Soldaten krank

Sie feuert Geschosse mit einem Tempo von bis zu 800 Kilometern pro Stunde ab, kann Panzer zerstören und ist seit Jahrzehnten im Einsatz: die Handfeuerwaffe "Carl Gustaf". Doch sie birgt ein hohes Risiko für die Person, die sie abfeuert.

Die Waffe liegt auf der Schulter auf, nur wenige Zentimeter von Kopf entfernt. Feuert ein Soldat oder eine Soldatin eine Rakete aus dem Abschussrohr der "Carl Gustaf" ab, rast diese mit bis zu 800 Kilometern pro Stunde los. Sie kann Panzer zerstören, Gebäude durchschlagen und hat eine Reichweite von bis zu 1.000 Metern. Und sie kommt weltweit zum Einsatz. Das Problem: Die Waffe löst eine derart massive Schockwelle aus, die durch den Kopf direkt ins Gehirn gesendet wird, dass sie erheblichen Schaden verursacht.

Hirnverletzungen durch das Abfeuern der Carl Gustaf sind bereits nachgewiesen worden: Soldatinnen und Soldaten erlitten Gehirnschütterungen und damit einhergehende kleine Blutungen im Gewebe und litten danach unter Gedächtnisproblemen, verminderten Reaktionszeiten und schlechterer Koordination als üblich. Für Truppen, die im Gefecht reaktionsschnell sein müssen, kann das verheerend sein.

Die "New York Times" hat nun in einem Bericht auf die Gefahren hingewiesen, die dieser Einsatz zur Folge hat und kommt zum Schluss: Trotzdem wird die tragbare Handfeuerwaffe vielfach eingesetzt – seit Jahrzehnten. Sie ist fester Bestandteil etlicher Armeen, nicht nur die USA nutzen sie, auch in Beständen der Bundeswehr ist sie vorhanden, Kanada setzt auf sie, Großbritannien, Österreich ebenfalls.

Denn das Waffensystem gilt als besonders effektiv. Es ist vergleichsweise leicht, ist aber flexibel einsetzbar. Der schwedische Hersteller Saab wirbt damit, dass es Infanteristinnen und Infanteristen einen taktischen Vorteil verschaffe: Es helfe bei der Neutralisierung von Panzern und feindlichen Truppen, beim Beseitigen von Hindernissen und der Bekämpfung von Feinden in Gebäuden.

Auch in der Ukraine wird mit der Carl Gustaf geschossen

Auch in der Ukraine kommt die Waffe zum Einsatz: Vergangenes Jahr erhielt die ukrainische Armee die Carl Gustaf, Berichten zufolge lieferte unter anderem Kanada sie samt Munition. Der "Focus" berichtet von einer Lieferung mit mindestens 5.000 Stück im vergangenen Jahr, ohne das Herkunftsland zu nennen. Im Gefecht soll die Waffe dann nahe Charkiw im Süden des Landes russische Panzer unschädlich gemacht haben.

Die Carl Gustav ist also trotz der lang bekannten Risiken noch immer ein gefragtes Mittel zur Verteidigung. 2018 hat der US-Militärforscher und frühere Army Ranger Paul Scharre einen Bericht über von der Waffe verursachte Hirnschäden vorgelegt – getan habe sich nichts, sagte Scharre nun der "New York Times", "das ist extrem frustrierend". Dem US-Verteidigungsministerium ist das Problem bekannt, es hat die Recherche von Scharre finanziert.

Untersucht worden waren drei Jahre lang die Gehirnströme sowie Veränderungen im Blutbild der Soldatinnen und Soldaten, direkt sowie in den Tagen, nachdem sie die Waffe abgefeuert hatten. Sensoren an den Helmen und Schutzwesten zeigten zudem, dass der Raketenwerfer Carl Gustaf M3 eine Explosionswirkung hat, die oft doppelt so hoch ist wie die empfohlene Obergrenze. Die Folge: Das Gehirn wird heftig erschüttert. Zwar kann es sich von einem solchen Kurztrauma erholen, tritt dieses aber wiederkehrend auf, kann das schwere Schaden hinterlassen.

Der leitende Forscher der US-Studie, Michael Roy, warnt deshalb davor, dass Soldatinnen und Soldaten in ihrer Leistung im Feld empfindlich beeinträchtigt sein können. "Wir sehen, dass es das tut. Wenn man sich bei einem Einsatz nicht mehr an Dinge erinnern kann und das Gleichgewicht gestört ist, kann das ein echtes Problem sein", sagte Roy der "New York Times".

Soldat klagte, dass "mit seinem Kopf etwas nicht stimmt"

Auch im US-Kongress wurde das Thema bereits diskutiert. Veteranen beschwerten sich darüber, dass das Problem allseits bekannt sei, gegen die Belastung aber nichts unternommen werde. Der Vater eines Soldaten, der zehn Jahre lang unter anderem in Afghanistan diente, berichtete der US-Zeitung davon, dass sein Sohn infolge des Diensts an der Carl Gustaf nicht mehr schlafen konnte, Panikattacken, Kopfschmerzen und Gedächtnisprobleme hatte. Er habe darüber geklagt, dass "mit seinem Kopf etwas nicht stimmt", sagte der Vater. Der zurückgekehrte Soldat wurde alkoholkrank. Er nahm sich 2017 das Leben.