Interview - „Reisen für das eigene Image“: Experte Jäger zweifelt an Baerbock-Diplomatie
Auf der Social-Media-Plattform Instagram ist Annalena Baerbock, grüne Außenministerin der Bundesrepublik Deutschland, ihr eigener Herr. Mit starken Worten und eindringlichen Bildern steuert sie dort, wie sie wahrgenommen werden will. Diesem Zweck folgen in gewisser Weise auch ihre Auslandsreisen, meint Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität Köln im Interview mit FOCUS online.
FOCUS online: Herr Jäger, die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock war am Mittwoch zum siebten Mal in Israel und hat dort unter anderem Premierminister Benjamin Netanjahu und Staatspräsident Izchak Herzog getroffen. Welches Ziel haben diese Reisen und was bringen sie wirklich?
Thomas Jäger: Die ersten Reisen von Frau Baerbock dienten dazu, die Solidarität mit Israel zu zeigen. Das war symbolisch sehr wichtig. Die nachfolgenden Besuche erschienen jedoch zunehmend weniger verständlich, da sie eher innen- als außenpolitische Zwecke zu erfüllen schienen. Die Intentionen der Reisen haben sich mit der Zeit geändert – von der Solidarität mit Israel hin zum Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza als Priorität. Die Außenministerin konnte jedoch in den aktuellen Konflikten, in denen Israel steht, kaum etwas bewirken. Der effektive Output dieser Reisen war quasi nicht vorhanden.
Haben die Reisen der Außenministerin neben Solidaritätsbekundungen nichts weiter bewirkt?
Frau Baerbock kann diplomatisch ja nur einsetzen, was sie an Mitteln und Fähigkeiten vorfindet. Das ist in diesem Fall sehr wenig, und noch weniger, weil die EU-Staaten zerstritten sind. Das einzige Mittel, mit dem sie Anreize geben kann, ist Geld. Politischen Druck kann sie überhaupt nicht aufbauen.
Es gibt hierbei einen zweiten Aspekt: Außenminister sind ja in Deutschland immer sehr beliebt, weil sie die Bedeutung und Tatkraft Deutschlands international darstellen und alles in schönen Bildern eingefangen wird.
Innenpolitisch machen die Reisen deshalb für Baerbock großen Sinn, da sie ihr Image als tatkräftige Vertreterin Deutschlands auf der internationalen Bühne stärken – Baerbock schüttelt die Hände der Mächtigen dieser Welt und sitzt mit ihnen an einem Tisch. Da hat es ihr innerparteilicher Rivale Robert Habeck schon schwieriger.
„Ein eklatanter diplomatischer Fehler von Frau Baerbock“
Sie sagen, die Reisen dienen Außenministerin Baerbock zur Imagepflege. Wie bewerten Sie denn ihre Auftritte bei den Mächtigen der Welt und jene in Israel?
Als sie neu ins Amt kam, hatte Frau Baerbock starke Auftritte, auch im Kontext des Krieges, den Russland ausgelöst hat. Etwa bei Treffen mit Sergej Lawrow, dem russischen Außenminister oder Hakan Fidan, ihrem türkischen Kollegen.
Ihr Auftreten war anfänglich sehr zielgerichtet. Das änderte sich leider. Im Laufe der Zeit wurde zunehmend unklarer, was sie damit erreichen möchte. Dies zeigt sich auch in ihrer Diplomatie gegenüber Israel: Nach dem Terroranschlag am 7. Oktober war die Solidarisierung und Unterstützung für Israel wichtig, aber dann wurde nach und nach undeutlich, was sie dort erreichen wollte. Man fragt sich vermehrt: Was ist der Zweck des Ganzen? Deswegen sehe ich das in der Analyse eher als Reisen für das eigene Image zu Hause.
Hat dieser Mangel an Zielgerichtetheit bei ihren Israel-Reisen zu Fehlern geführt, die vermeidbar gewesen wären?
Ein erheblicher Fehler war ihr Versuch, bei ihrer jüngsten Reise Israel öffentlich davon abzuhalten, einen schweren Schlag gegen den Iran zu führen. Dieses Anliegen wurde bereits von Präsident Biden deutlich gemacht, sodass eine zusätzliche deutsche Stimme nicht nötig war. Die Amerikaner haben den Einfluss, die Deutschen haben ihn nicht. Wenn sie diese Position unterstützen wollte, so hätte sie das hinter verschlossenen Türen tun müssen. Ihre Äußerungen haben Premierminister Netanjahu provoziert, sich gegen die europäische Einmischung zu wehren und zu sagen: „Wir machen, was wir wollen“.
Denn aus israelischer Sicht kann nicht der Eindruck stehen bleiben, da kommen Europäer und sagen uns, was wir tun sollen. Das öffentlich zu sagen war ein eklatanter diplomatischer Fehler von Frau Baerbock. Als Botschaft an das heimische Publikum war dieses Vorgehen hingegen plausibel.