Michelle Obama entlarvt ein Problem, das die US-Wahl entscheiden kann
„Von Trump erwarten wir gar nichts“: Michelle Obama regt sich über Doppelmoral im US-Wahlkampf auf. Zwei Experten erklären, warum sie richtig liegt.
Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Kalamazoo (Michigan) hat sich die ehemalige First Lady Michelle Obama so richtig in die US-Wahl eingemischt. Obama sprach nicht nur über die Frauenrechte in den USA, sondern kritisierte auch die „Doppelstandards“, mit denen US-amerikanische Medien Kamala Harris und Donald Trump messen. „Wir erwarten von Kamala, dass sie sich intelligent, eloquent und diszipliniert präsentiert“, sagte Obama am 26. Oktober.
„Von Trump erwarten wir gar nichts. Kein Verständnis für Politik, keine Fähigkeit, zu argumentieren, keine Ehrlichkeit, keine moralische Integrität.“ Viele würden sein Verhalten mit den Worten abtun: „Trump ist eben Trump“ oder fänden den Republikaner sogar „lustig“, während bei Harris immer wieder infrage gestellt werde, ob sie der Rolle als US-Präsidentin wirklich gewachsen sei. „Warum messen wir Kamala an einem höheren Standard?“, fragt sie.

Warum Harris bei der US-Wahl mehr hinterfragt wird als Trump
Eine Antwort darauf hat der Kommunikationswissenschaftler Klaus Kamps. „Weil der Standard bei Donald Trump so niedrig ist, dass es nichts mehr zu hinterfragen gibt“, sagt er BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA. Er ist Professor an der Hochschule der Medien in Stuttgart (HdM) und hat 2023 ein Buch über das Mediensystem der Vereinigten Staaten von Amerika geschrieben.
Weil die Niveaus zwischen Harris und Trump so sehr voneinander abwichen, seien „Doppelstandards unvermeidbar“. Harris „zwingend schwerer“, denn viele amerikanische Medien sähen in Trump „nur noch einen Schurken“, mit dessen niedrigen Standard sie eine demokratische Politikerin wie Harris nicht messen wollten. „Sie laufen Gefahr, überkritisch an Kamala Harris heranzugehen“, sagt er, während Trumps „bizarre und besorgniserregende“ Momente ignoriert würden.

Michelle Obama bringe es mit dem Zitat „Trump ist eben Trump“ gut auf den Punkt: Was der Republikaner tue, sei „so schwierig unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten zu betrachten“, dass Trump und seine bizarren Vorwürfe einfach nicht mehr ernst genommen würden. „Trump kann machen, was er will, und das weiß er“, sagt der Medienexperte.
„2016 hat er gesagt, dass er auf der Fifth Avenue irgendjemand umbringen könnte und trotzdem gewählt werden würde. Wahrscheinlich ein übertriebenes Bild, aber nach den letzten acht Jahren wissen wir, dass er tun kann, was er will, ohne Sanktionen bei der öffentlichen Meinung zu fürchten.“
Für Doppelmoral bei Harris und Trump gibt es noch einen weiteren Grund
Caroline Leicht, Expertin für Geschlecht, Medien und Politik mit Schwerpunkt US-Wahl an der University of Glasgow, weist noch auf einen weiteren Grund für diese Doppelmoral hin. „Leider ist es in vielen Fällen immer noch so, dass sich Frauen an ganz anderen Standards messen müssen als Männer“, sagt sie BuzzFeed News Deutschland. Grund dafür sei, dass politische Führungsrollen in den USA immer noch überwiegend mit „stereotypisch männlichen Attributen“ assoziiert würden.
Harris als Schwarze Frau sei hier von Beginn an unterlegen, denn wenn die Demokratin versuche, dieser männlichen Rolle gerecht zu werden, komme Kritik auf, dass sie „nicht feminin genug“ sei, zum Beispiel, weil sie keine biologischen Kinder habe. Ein ähnlicher Vorwurf ereilte damals Angela Merkel. Man spreche bei dieser Art von „Doppelmoral-Theorie“ auch vom „Gender double bind“, sagt Leicht. Das Phänomen sei nicht begrenzt auf die USA, aber dort sei eben noch nie eine Frau im höchsten politischen Amt gewesen.
„Diese Doppelmoral ist eines der größten Probleme der aktuellen Berichterstattung über die US-Wahl. Sie kann ernsthafte Konsequenzen für den Wahlausgang haben“, sagt Leicht. Als Hillary Clinton 2016 zur Wahl antrat, sei die Theorie der „höchsten Glasdecke“ aufgekommen, die nur einmal gebrochen werden müsse, um langfristig Veränderung in der US-Politik und in den Köpfen der Menschen zu schaffen. „Wenn eine Frau einmal Präsidentin wird, wird die nächste Frau, die sich um das Amt bewirbt, vielleicht nicht mehr einer solchen Doppelmoral ausgesetzt sein“, hofft Leicht.