Nahost-Konflikt - Israel kämpft und kämpft: Statt Strategie für Frieden brennt jetzt auch der Jemen
Am vergangenen Wochenende hat sich Israel sowohl zu Vergeltungsangriffen gegen Stellungen der Hizbollah-Miliz im Südlibanon, als auch gegen die Huthi-Rebellen im Jemen provozieren lassen. Dort brannte ein Treibstofflager in der Hafenstadt Hudaida, in der nach israelischen Angaben iranische Waffenlieferungen verschifft wurden. Ein Warnschuss auch gegenüber Teheran. Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant sagte: „Das Feuer, das jetzt brennt, sieht man in gesamten Nahen Osten und es sendet ein klares Signal.“
Es signalisiert allerdings auch die weiter voranschreitende Eskalation, in die eine zunehmende Zahl von Staaten verwickelt werden könnten. Zwar dementierte Israel offiziell – wie im April in Syrien – die Beteiligung der USA und Großbritanniens an dem aktuellen Militärschlag. Im arabischen Medium Al-Arabija war hingegen von einem Angriff auf die Öl- und Stromanlagen die Rede mit dem Ziel, die Zivilbevölkerung zu treffen.
Hamas schießt auch aus „geräumten“ Gebieten wieder Raketen
Es ist ein Muster der Kommunikation, das seit dem Anschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023 vorherrscht: Die massenmedial erzeugte Umkehr von Täter und Opfer, von Israels legitimen Recht zur Verteidigung, zu den fortwährenden Angriffen auf israelisches Staatsgebiet durch eine größer werdende Gruppe mit gemeinsamen Wurzeln. Das ähnelt dem aussichtslosen „Kampf gegen den Terrorismus“, dem sich die USA nach 9/11 verschrieben hatte.
Israel sitzt letztlich in der gleichen Falle, indem es sich auf die Zahl der getöteten Kämpfer fixiert und die Augen davor verschließt, dass es aus den durch die Israeli Defense Forces (IDF) geräumten Gebieten bereits erneut zu Raketenangriffen kommt. Denn die Hamas versteht sich als Teil einer „Achse des Widerstands“, der sowohl die libanesische Hisbollah, als auch die Huthi Miliz angehörig fühlt. Unterstützt werden sie direkt oder indirekt durch verschiedene arabische Länder und den Iran.
Die gemeinsame Wurzel geht auf die Muslim Bruderschaft zurück, die sowohl in Ägypten als auch der Türkei, aber auch vom Sudan, über Algerien, bis nach Afghanistan verbreitet ist. Die ausgewiesene Expertin Kim Cragin, Director Center of Strategic Research der National Defense University in Washington D.C., weist darauf hin, dass die Hamas im Gegensatz zu Gruppierungen wie Al-Qaida oder dem IS säkulären politischen Systemen gegenüber aufgeschlossen ist. Hamas ist sowohl in Studentenvertretungen, wie in Gewerkschaften oder politischen Parteien vertreten und genießt in vielen Ländern eine hohe Zustimmung, die durch die extrem hohen zivilen Opfer der Gaza-Aktion noch erheblichen Zulauf bekommt.
„Die Hamas ist zum Synonym für den Zynismus gegenüber der Wirksamkeit friedlicher kollektiver Maßnahmen, diplomatischer Verhandlungen und internationalen Drucks als Mechanismen zur Erlangung der Selbstbestimmung geworden. Solange diese Weltanschauung unter den Palästinensern vorherrscht, können herkömmliche Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung zwar die bestehende Struktur der Hamas aufbrechen, aber sie werden die Organisation wahrscheinlich nicht wirklich besiegen. Sie wird weiterhin zu viel Unterstützung erhalten“, erläutert Cragin.
Nahost-Konflikt ohne Lösungsstrategie
Entstanden ist über die Jahrzehnte ein hochkomplexes Nahost-System, in dem man leichter durch gezielte Maßnahmen ein Chaos hervorrufen kann, als eine stabile Friedensordnung. Israels Existenzrecht wird vor allem von einer Reihe westlicher Staaten garantiert, allen voran den USA. Doch die eigene nationalistische Politik Israels treibt immer mehr Demonstranten auf die Straßen, sowohl in Israel als auch überall sonst in der Welt. Sie wird zu einem globalen Sicherheitsproblem für Menschen jüdischen Glaubens und sie verschärft tagtäglich die internationale Krisensituation.
Der langjährige Nahost-Verhandler von Bill Clinton, Dennis Ross, sagt im Interview: „Eines der Probleme mit Netanjahu und dieser Regierung war die mangelnde Bereitschaft, sich mit dem zu befassen, was als nächstes kommt. Sie hatten taktische militärische Erfolge, aber sie verfolgen keinen strategischen Weg.“ Das derzeitige Vorgehen Israels schafft ein großes Potenzial für spätere Rekrutierungen der Hamas. Sie vernetzt sich zunehmend mit anderen Organisationen in aller Welt nach dem Motto, der Feind meines Feindes ist mein Freund. Israels Politik, die lediglich auf die Tötung von Hamas-Mitgliedern zielt, aber zugleich die Rechte der Palästinenser nicht anerkennt, zündelt hier auf einem Pulverfass.
In der Einschätzung von Kim Cragin heißt es: „Die Hamas wird erst dann besiegt werden, wenn ihre Darstellung als falsch angesehen wird, wenn ihr Ansatz als ineffektiv angesehen wird und wenn ihre Agenda als den Interessen der Palästinenser zuwiderlaufend angesehen wird.“ Das ist vor allem ein weiter Weg, dem Israel nur dann folgen wird, wenn der Druck auch aus Europa deutlicher wird. Die Anerkennung Palästinas durch Spanien, Irland und Norwegen zeigen diese Bemühungen auf, aber Deutschland traut sich außenpolitisch dabei keine eigenständige Position zu.
Während das westliche System auf Wahlen und Öffentlichkeit ausgerichtet ist, übt sich das arabische Gegenüber in „sabr“, in Geduld. Die Hamas, Hisbollah und die Huthi setzen das erprobte Modell der tausend Nadelstiche ziemlich erfolgreich fort, mit dem der Staat Israel nicht nur seine Reputation zunehmend verliert, sondern langsam im Inneren zermürbt wird. Während sich das unerträgliche Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung fortsetzt, werden in Qatar oder Ägypten hinter geschlossenen Türen Gespräche geführt. Es ist Zeit, dass diese offen geführt werden, denn es geht um nicht viel weniger als das Wohl der gesamten Menschheit. Zu drohend ist die Gefahr, dass sich hier ein Brandherd für einen dritten Weltkrieg von existierenden oder angehenden Atommächten bildet.