Es ist ein halbes Jahr her, da war der BVB am Boden. Niko Kovac hatte den Klub gerade von Nuri Sahin übernommen, da zeigte er sich bereits genauso ratlos wie sein gescheiterter Vorgänger.
Vier Niederlagen in den ersten sechs Bundesliga-Spielen, in der Tabelle aussichts- und hoffnungslos auf Platz elf mit zehn Zählern Rückstand auf die Champions-League-Plätze. Nach einem seelenlosen Auftritt im Westfalenstadion gegen den FC Augsburg (0:1) hatte Kovac genug und hinterfragte die Einstellung seiner Mannschaft.
Nach Stotterstart bringt Kovac den BVB wieder auf Kurs
Das 0:4 im Viertelfinal-Hinspiel der Königsklasse beim FC Barcelona war dann der traurige Tiefpunkt. Doch wo ein Tiefpunkt ist, geht es meist auch wieder aufwärts.
Im Falle des BVB ist dieser Aufstieg so steil wie die Südtribüne. Das 0:4 in Barcelona im April war – mit Ausnahme eines Klub-WM-Spiels gegen Real Madrid im Sommer – die letzte Niederlage von Borussia Dortmund.
Und plötzlich ist Kovac nach Punkteschnitt der erfolgreichste Trainer in der BVB-Historie (wenn auch der Vergleichswert noch gering ausfällt). In der Liga: 19 Spiele, 13 Siege bei zwei Remis und den vier anfänglichen Pleiten.
BVB mit starkem Saisonstart
So ging es für die Borussia doch noch in die Champions League und so ist die Borussia heute wieder der ärgste Verfolger des FC Bayern. Nach fünf Spieltagen hängt der BVB im Windschatten des Meisters.
Auch Lothar Matthäus sieht die Dortmunder wieder gefestigt und zeigt sich beeindruckt: „Das ist beachtlich, was sich da entwickelt hat – vor allem die Atmosphäre, eine klare Rollenverteilung und ein klares Spielsystem, das zur Mannschaft passt“, schreibt der einstige Weltfußballer in seiner Sky-Kolumne.
Der Grund des Erfolgs liegt in der neuen Stabilität, die Kovac seinem Team verliehen hat. Nach der bis dato letzten Bundesliga-Niederlage gegen RB Leipzig (0:2 am 15. März) hat der Trainer das System auf ein 3-4-2-1 umgestellt. Gegen den Ball agiert eine Fünferkette, dabei ist die gesamte Elf gefordert.
Kovac gibt dem BVB eine neue Stabilität
Kovac legt großen Wert aufs gemeinsame Verteidigen. "Bayern spielt zwar attraktiver“, findet Matthäus, „aber beim BVB wird auf andere Details wertgelegt, die genauso wichtig sind, um erfolgreich Fußball zu spielen. Das Bayern-Spiel ist mehr auf Ballbesitz und früheres Pressing ausgelegt. Dortmund steht eher kompakt und lässt auch mal den Gegner kommen, weil sie eben Geschwindigkeitsspieler nach vorne haben.“
Dazu zählt Karim Adeyemi. Der Angreifer präsentiert sich seit dem Saisonendspurt in Topform und knüpft auch in dieser Spielzeit daran an.
Adeyemi blüht unter Kovac auf
Adeyemi hatte in seiner noch jungen Karriere stets den Hang zum Laissez-faire. Eine fußballerische Chuzpe, gewiss. Es ist aber ein Balanceakt zwischen Spielwitz und Überheblichkeit.
Kovac hat ihm Disziplin injiziert. „Ich rede mit Karim, glaube ich, am häufigsten“, bestätigt der Trainer. Auch während der Spiele holt er den 23-Jährigen immer wieder an die Seitenlinie und gibt ihm Anweisungen.
„Er muss verstehen, dass Fußball nicht nur in eine Richtung funktioniert, sondern auch in die andere Richtung. Da bin ich pausenlos dran, ihn zu bearbeiten. Ich sehe, wie er Fortschritte macht. Als Trainer ist man nie zufrieden, aber ich sehe auf jeden Fall die richtige Richtung.“
Mit der neuen Disziplin geht auch eine gewisse Reife bei Adeyemi einher. Die zeigt sich unter anderem in einer gesunden Selbstreflexion. Trotz einer guten Phase drückte er selbst zuletzt auf die Euphoriebremse.
Mit eiserner Diszplin fängt Kovac seine Schönwetterfußballer ein
Nach dem 2:0 bei Mainz 05 sagte er: „Ich habe jetzt fünf Spiele ganz gut gespielt. Da kann man aber noch nicht sagen, das ist konstant. Ich brauche auf jeden Fall mehr Spiele, die so verlaufen.“
Auch Julian Brandt war stets mit einem gigantischen Potential ausgestattet, das er nie vollends ausschöpfen konnte. Manche mögen ihn als Schönwetterfußballer, der in schwierigen Momenten zu oft abtaucht, belächeln. Doch Brandt ist ein sensibler Fußballer, der das Vertrauen seines Trainers benötigt.
In der Vorsaison war er schnell das Gesicht des Misserfolges und verkrampfte unter dem enormen Erwartungsdruck. Kovac baute ihn behutsam wieder auf, redetet immer wieder positiv auf ihn ein, gab ihm Selbstvertrauen zurück.
„Julian ist ein sehr wichtiger Spieler für uns, einer der besten deutschen Spieler, die es auf dieser Position gibt“, sagte Kovac nach dem Mainz-Spiel, in dem Brandt beide Tore auflegte.
BVB-Block im DFB-Kader?
Während Adeyemi bereits seit März wieder zum Kader der Nationalmannschaft zählt, spielt sich auch Brandt wieder vermehrt ins Blickfeld von Bundestrainer Julian Nagelsmann.
Der ist nach den vergangenen enttäuschenden Länderspielen ebenfalls auf der Suche nach einer Stabilität. Gerade in der Defensive fehlte es der DFB-Elf zuletzt viel zu häufig an Konstanz. Ein großer BVB-Block, der eine bemerkenswerte Verwandlung durchgemacht hat, kann da eine entscheidende Rolle spielen.
Neben Adeyemi und Brandt zählen auch Maximilian Beier, Waldemar Anton, Emre Can und Pascal Groß als potenzielle Stützen für den nächsten DFB-Kader. Dafür hatte Nagelsmann bereits nach der blamablen 0:2-Pleite in der Slowakei einige Änderungen angedeutet.
Adeyemi, Brandt, Schlotterbeck: Kovac wird zum Vorarbeiter für Nagelsmann
Wer auf jeden Fall für die Spiele gegen Luxemburg (10. Oktober/Sinsheim) und Nordirland (13. Oktober/Belfast) wieder dabei ist, ist Nico Schlotterbeck. Der BVB-Verteidiger feierte in Mainz nach einem halben Jahr Verletzungspause (Meniskus) sein lang ersehntes Comeback.
Der Innenverteidiger werde „definitiv dabei sein und hat das auch verdient“, sagte Nagelsmann. Die Hoffnung ist groß, dass Schlotterbeck sich in Richtung WM im nächsten Jahr als feste Säule festspielen kann.
Dafür braucht Nagelsmann den 25-Jährigen in Topform. Da ist auch Kovac gefordert. Der BVB-Trainer wird in den kommenden Monaten zum entscheidenden Vorarbeiter für Nagelsmann. In Dortmund ist das aber nur ein "Abfallprodukt" des eigenen Erfolges. Der soll in der Champions League im zweiten Spiel gegen Athletic Bilbao weitergehen.