Auf den ersten Blick ist keine Arztpraxis zu erkennen. Das Haus in Kempten im Allgäu, einer kreisfreien Stadt mit rund 70.000 Einwohnern, reiht sich nahtlos in die Nachbarschaft ein, wirkt wie ein normales Wohnhaus. Ein kleiner Roboter mäht den Rasen im Garten vor dem Haus, davor schneiden Gärtner die Bäume neben dem Gehweg zu. In dem weißgetünchten Haus ist auch die Privatpraxis eines HNO-Arztes zu finden, dessen Sohn in den vergangenen Tagen zu unrühmlicher Bekanntheit gelangte.
Moritz N. spielt nämlich eine zentrale Rolle in einem Video, das auf der Insel Sylt aufgenommen wurde. Darin singen mehrere Menschen zur Melodie von „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“. Moritz N. ist einer von ihnen und sticht im Video sogar heraus. Als die Kamera auf ihn schwenkt, hat er den rechten Arm zum Hitlergruß gehoben, während die Finger der linken Hand einen Oberlippenbart andeuten, wohl gemeint als sogenanntes Hitlerbärtchen. Dazu schmettert er laut den rassistischen Text.
Vater von Sylt-Gröler aus Kempten will sich nicht äußern
„Ich möchte keinen Kommentar abgeben“, sagt sein Vater, der HNO-Arzt, zur „Allgäuer Zeitung“. Das passiere auch zum Schutze seines Sohnes. FOCUS online konnte den Kemptener Mediziner am Montag nicht erreichen.
Zuvor hatte sich Moritz N. als Erster aus der Sylter Gruppe für seine Gesänge entschuldigt. „Ich will mich öffentlich und aufrichtig entschuldigen für das, was passiert ist“, schrieb er am Samstag in sozialen Medien. „Alle, die wir damit vielleicht verletzt haben, bitte ich um Entschuldigung.“ Er habe einen „ganz schlimmen Fehler“ gemacht, den er sich nicht erklären könne. Betrunken sei er gewesen und das Gesagte und Gezeigte sei nicht Ausdruck seiner inneren Haltung.
Er gehe an die Öffentlichkeit, damit nicht Freunde und Verwandte für seinen Fehler in Mithaftung genommen würden. Seine Bitte: „Seid böse mit mir, aber nicht mit meinen Freunden und Verwandten.“ Dass ihm seine Entschuldigung nicht jeder abnehme, könne er sich vorstellen, schreibt N. Doch er sei tolerant und weltoffen erzogen worden, habe auch viele Freunde mit Migrationshintergrund.
An alter Schule von Sylt-Gröler hängt Schild mit klarer Anti-Rassismus-Botschaft
In seiner Heimat wollen Menschen in der Nachbarschaft der väterlichen Arztpraxis nichts zu Moritz N. sagen oder geben an, ihn nicht zu kennen. Bis vor kurzem war Moritz N. für eine Münchner Werbeagentur tätig. Eine Serviceplan-Sprecherin sagte: „Die Serviceplan Group ist ein weltoffenes Unternehmen und lebt ihr Leitbild der Stärke durch Vielfalt in allen seinen Houses of Communication mit 6.000 Kollegen und Kolleginnen aus mehr als 50 Ländern weltweit täglich. Rassismus wird innerhalb der Agenturgruppe in keiner Form geduldet. Als der Vorfall bekannt wurde, hat die Serviceplan Group sofort gehandelt und eine fristlose Kündigung ausgesprochen.“
An der ehemaligen Schule des heute 25-Jährigen, dem Allgäu-Gymnasium, hängt neben dem Eingang ein Schild mit der Aufschrift „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“. Ob Moritz N., der dort in der 6. Klasse einen Vorlesewettbewerb gewann und auch als Handballer für die Schulmannschaft antrat, das Schild schon zu seiner Zeit lesen und verinnerlichen konnte?
Wegen Sylter Rassismus-Video drohen Beteiligten bis zu fünf Jahre Haft
N., der sich offenbar auf einer Münchner Polizeiwache stellte, kündigte bereits an, die rechtlichen Konsequenzen tragen zu wollen. Die könnten es in sich haben. Ein möglicher Tatbestand: Das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen, zu denen in etwa der Hitlergruß zählt. Dafür droht eine Geldstrafe oder bis zu drei Jahre Haft. Wer sich der Volksverhetzung schuldig macht, muss sogar mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen.
Neben N. ermittelt das zuständige Staatsschutz-Dezernat in Flensburg auch gegen zwei weitere Personen aus dem Video und prüft, ob noch Ermittlungen gegen andere Beteiligte eingeleitet werden. Mehrere der Menschen, die im Video zu sehen oder zu hören sind, haben bereits ihren Job verloren. Es werden nicht die einzigen Folgen für die Feierwütigen sein, die auf Sylt plötzlich anfingen, rassistische Parolen zu verbreiten.