Wie Israelis mit der Angst vor einem Atomschlag des Iran leben

  1. Startseite
  2. Politik

KommentareDrucken

Für Israelis ist der Kampf um die Existenz ihres Staates keine geopolitische Neuigkeit mehr – Strategien, der permanenten Bedrohung zu trotzen, sind längst Teils ihres Alltags.

Tel Aviv – Wer sich im Epizentrum einer nuklearen Explosion aufhält, ist sofort tot. Der radioaktive Feuerball, der sich nach einem Atombombenabwurf innerhalb von Sekunden ausbreitet, brennt heißer als die Sonne. Noch Kilometer entfernt vom Einschlag werden Menschen von der gewaltigen Druckwelle erfasst – und erleiden innere Blutungen, verlieren ihr Gehör. Hochhäuser stürzen ein. Ganze Städte brechen in Sekunden zusammen.

Experten zufolge steht das iranische Regime kurz davor, eine solche Atombombe entwickeln und abwerfen zu können. Das wahrscheinlichste Ziel eines Atomangriffs: der Erzfeind Israel. Auf einem Platz in Teheran läuft bereits der Countdown bis zur Zerstörung der bislang einzigen Demokratie im Nahen Osten. Die „Israel-Restzeituhr“ zählt die Tage bis 2040, bis dahin soll sich die „Prophezeiung“ der Vernichtung erfüllt haben. 

Trotz Drohnen aus Iran: Lebensfreude statt Todesangst in Israel

Die Uhr auf dem Clocktower am Ende der Yafet Street in Jaffa, Tel Aviv, zeigt dagegen die israelische Sommerzeit. Familien schlendern durch die sonnenverwöhnten Straßen. Am Givat Aliya Strand erklingt freudig-aufgedrehtes Kindergeschrei aus dem Wasser, ein älteres Rentnerpärchen sonnt sich auf Strandliegen. Yuval ist aus Givat Ram mit ihrer dreijährigen Tochter zum Baden gekommen, die begeistert im Sand spielt.

Ihre Mutter amüsiert die Frage, ob sie Angst vor einem nuklearen Angriff habe. „Wissen Sie, wir hören das mit der Atombombe jetzt schon seit zwanzig Jahren. Es ist also nichts Besonderes“, sagt sie und lacht.

Mitten in Israel: Badestrand mit Bunker 

Vom Damoklesschwert einer permanenten militärischen Bedrohung ist tatsächlich weit und breit nichts zu sehen – aber nur auf den ersten Blick. Denn im sandfarbenen Gebäude am Strandufer befinden sich nicht nur ein Restaurant und öffentliche Toiletten, sondern auch ein kleiner Bunker – der allerdings im Falle eines Atomschlags kaum schützt.

Normalität und Sorge: Eine Szene aus Tel Aviv vom 15. April
Normalität und Sorge: Eine Szene aus Tel Aviv vom 15. April © IMAGO/Eyal Warshavsky/SOPA Images

Nachdem der Iran am vergangenen Wochenende über 300 Drohnen und Raketen nach Israel abgeschossen hatte, jubilierten Massen vor der „Israel-Restzeituhr“. Das erste Mal in der Geschichte hatte der Iran Israel direkt angegriffen – statt indirekt wie über die Unterstützung terroristischer Gruppen. Während sich die Netanjahu-Regierung auf den militärischen Gegenschlag vorbereitet, hoffen die Feinde des einzigen jüdischen Staates, dass bald Israels letzte Stunde geschlagen hat.

Israel gegen Iran: Der Feind meines Feindes ist mein Freund

Die Gefahr einer Vernichtung begleitet den Herzschlag der noch jungen Nation bereits seit ihrer Staatsgründung vor 76 Jahren. Nur wenige Stunden nach der Unabhängigkeitserklärung attackieren die arabischen Nachbarstaaten Israel.

Aus ehemaligen Kriegsfeinden wurden Partner: Jordanien beteiligte sich an der Abwehr der iranischen Raketen. Vor dem Angriff am 7. Oktober hatten sich auch Saudi-Arabien und Israel angenähert. Israel ist in der Region nicht der einzige Staat, der mit dem Iran verfeindet ist. Das betont auch der 26-jährige Moshe, der in einer jüdisch-orthodoxen Familie aufgewachsen ist, aber inzwischen säkular lebt und die Nachrichten zum Krieg täglich verfolgt.

Israel, Iran und Saudi-Arabien: „Ich will kein zweites Nordkorea in meiner Nachbarschaft“

„Das iranische Regime hat im Nahen Osten bereits erheblichen Schaden angerichtet. Ich befürchte, wenn Staaten wie Saudi-Arabien sich weiterhin dem extremen Islam widersetzen, könnte es zu einem atomaren Wettrüsten wie im Kalten Krieg kommen. In solchen Fällen sind Sanktionen die einzige Option, aber sie wurden bereits verhängt – ohne Erfolg.“ 

Der junge Mann schaut ernst, aber nicht ängstlich. „Ich mache mir keine Sorgen um Israel, sondern um den ganzen Nahen Osten. Ich möchte kein zweites Nordkorea in meiner Nachbarschaft.“ 

Humor – eine bewährte Waffe für Israel

Andere Israelis schlagen die Sorgen mit Humor. So wie Uri, der jedes Wochenende Bekannte zu sich nach Jerusalem einlädt, um gemeinsam den Sabbat zu feiern. Am Freitag vergangener Woche wollte er davon keine Ausnahme machen. Da hatte der Iran bereits seinen Angriff angekündigt, aber noch keine Raketen abgeschossen. 

So wurde aus einer geopolitischen Krise eine ungewöhnliche Vorstellungsrunde geboren: Mit einer Mini-Nationalflagge des Irans in den Händen, stellte sich jeder Gast mit Namen vor und teilte mit der Runde seine Pläne für die verbleibenden 48 Stunden Lebenszeit. Unter viel Gelächter wurden schnell gemeinsame, wilde Pläne für das „letzte“ Wochenende des Lebens geschmiedet.

Weiter Proteste in Tel Aviv und Jerusalem 

Doch nicht allen Israelis ist bei der derzeitigen geopolitischen Lage zum Lachen zumute. Noch immer werden 133 Geiseln von der Hamas im Gazastreifen festgehalten. Viele Israelis stehen hinter dem geplanten Vergeltungsschlag gegen den Iran, der maßgeblich an der Planung und Umsetzung des Massakers vom 7. Oktober beteiligt war. Doch auch die Proteste gegen die Netanjahu-Regierung gehen weiter, seit die israelische Armee die vorübergehenden Sicherheitsbeschränkungen wieder aufgehoben hat. Es ist zu erwarten, dass es in Israel unruhig bleibt. 

Das Pessach-Fest könnte nächste Woche jedoch für Hoffnung sorgen. Dann feiert das Land die Resilienz und das Überleben des israelischen Volkes, das sich vor 3000 Jahren aus der ägyptischen Sklaverei befreite. (Isabell Knief)

Auch interessant

Kommentare