"Das Finanzamt hat sich riesig gefreut" - Auf Quittungen rechnet enttäuschter Wirt mit Regierung ab

Robert Bender beachtete die Quittung kaum, als er seine drei Take-away-Portionen Kartoffelsalat beim Besen in Höpfigheim für 11,40 Euro bezahlte. Erst daheim in Marbach las Bender, der seinen Namen nicht in der Zeitung stehen haben will, aber der Redaktion bekannt ist, das Kleingedruckte – danach habe er sich die Augen gerieben. 

„Das Finanzamt hat sich riesig gefreut, heute mit Ihnen am Tisch zu sitzen“, stand da.

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Auf Quittung rechnet Wirt mit Regierung ab: "Das Finanzamt hat sich riesig gefreut"

Das Mitverdienen des Staates irritierte Bender nicht – dafür aber das, was auf der Quittung gleich im Anschluss zu lesen war: „Von der oben aufgeführten Mehrwertsteuer werden unsere Politiker honoriert, Kriege finanziert und Millionen an Kindergeld ins Ausland überwiesen.“

Ein Satz, der den Gast verwundert. In einem schwäbischen Besen werde ja so manches am Stammtisch geredet, aber dass gleich jeder Kunde mit einer derart pauschalisierenden politischen Botschaft nach Hause geschickt werde, das mutet Robert Bender seltsam an. 

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Gast kann rüden Ton nicht nachvollziehen: "Hetze, geht an Realität vorbei"

„Da werden Dinge behauptet – und die sind dann so?“ Auf einem Belegzettel im Wirtshaus haben seiner Meinung nach komplexe politische Sachverhalte in einem derartigen Ton nichts zu suchen. „Ich habe mich gewundert – die Beseninhaber habe ich bisher immer als nett und umgänglich wahrgenommen: Warum jetzt dieser Ton?“

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Besonders bedenklich stimmen Robert Bender die aus seiner Sicht mitschwingenden Misstöne gegen Ausländer, die in Deutschland Kindergeld beziehen. „Ich finde, das grenzt an Hetze und geht an der Realität vieler Familien vorbei“, sagt er und denkt, dass der Missbrauch von Kindergeld ein Phänomen ist, das es auch in deutschen Familien gibt.

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 „Niemand kann mir weismachen, dass Eltern das Kindergeld nur für ihre Kinder ausgeben.“ Natürlich sei es wichtig, über Migration und Leistungsbezüge zu diskutieren, aber in diesem Ton stelle er sich die Frage, wem ein solcher Jargon nütze: „Doch eher den Rechtsextremen.“

Wirt verteidigt sich "Leute äußern sich fast nur zustimmend"

Der Wirt Ulrich Kraft sagt, er habe den Text vor etwa zwei Jahre auf die Quittung gesetzt. „Ich hatte ihn vor vier Jahren in einer WhatsApp-Gruppe mit Bild geschickt bekommen und eines Abends abgeschrieben – ich fand ihn cool.“ 

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Es gehe ihm nicht darum, Rechtsextreme oder die AfD zu unterstützen, betont der 47-jährige Vater zweier Kinder. Er beobachte aber Fehlentwicklungen: „Unsere Regierung gibt Steuergelder für Dinge aus, mit denen viele nicht einverstanden sind.“

Auf seine Äußerung per Quittung erhalte er ausschließlich positive Reaktionen, erzählt der Besenwirt, der auch ein Weingut bewirtschaftet. „Seit einem halben Jahr äußern sich die Leute – fast nur zustimmend.“ 

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Es müsse mehr Geld in die Infrastruktur wie Schulen oder Kindergärten fließen, sagt er. Falsch fand er den Ausstieg aus der Atomenergie, als man sie eigentlich noch gebraucht habe. „Die Regierung müsste die Stimme des Volkes hören – aber man wird ja nicht gehört.“ 

Angst, Kunden zu verlieren, die seine Ansichten nicht teilen, habe er nicht. „Sie sagen ja: Du hast recht.“ Er bediene zu 90 Prozent Stammkunden in seinem Besen, die ihn immer wieder besuchten. „Wer anders denkt, kann mit mir ins Gespräch kommen.“ Das hätte er sich auch von Robert Bender, der ihn kritisiert, gewünscht.

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Verband stärkt Wirt den Rücken

Rückendeckung erhält Ulrich Kraft vom Hotel- und Gaststättenverband Dehoga in Baden-Württemberg. Auch wenn der Verband sich die Meinung auf der Höpfigheimer Quittung nicht zu eigen mache, sei die Äußerung des Wirtes vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt, sagt der Dehoga-Pressesprecher Daniel Ohl. 

„Wir können die Enttäuschung und Verbitterung in unserer Branche über die Anhebung des Gastro-Mehrwertsteuersatzes auf Speisen von 7 auf 19 Prozent zum Jahreswechsel nachvollziehen.“ Die Ampel-Bundesregierung verschärfe massiv die wirtschaftlichen Probleme in der mittelständischen Gastronomie. Die Politik sei zu einem erheblichen Teil ursächlich für Preissteigerungen, unter denen Gäste zu leiden hätten.

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Keine Straftat erkennt die Staatsanwaltschaft Heilbronn im Vorgehen des Wirtes. „Die ausgesprochene Kritik mag spitz, möglicherweise auch überspitzt formuliert sein, es handelt sich dennoch um eine rechtlich zulässige Meinungsäußerung und Machtkritik am Politikgeschehen“, teilt die Staatsanwältin Mareike Hafendörfer mit.

Von Oliver von Schaewen

Das Original zu diesem Beitrag "Höpfigheimer Wirt schimpft auf seinen Quittungen gegen die Regierung" stammt von Stuttgarter Zeitung.

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