Insolvenz-Flut in Deutschland – „Es gibt auch in schwierigsten Situationen gute Lösungen“

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Immer mehr Unternehmen melden Insolvenz an. Dabei ist jedoch nicht immer gleich Schluss mit dem Geschäftsbetrieb. Ein Blick auf die Details. (Symbolbild) © IMAGO / Wolfilser

Immer mehr Unternehmen melden Insolvenz an. Dabei ist jedoch nicht immer gleich Schluss mit dem Geschäftsbetrieb. Ein Blick auf die Details.

Landshut – 2024 soll die Zahl der Unternehmensinsolvenzen weiter steigen, behaupten Prognosen. Auf das ganze Jahr gerechnet sieht der Kreditvermittler Allianz Trade rund 21.500 Firmeninsolvenzen auf Deutschland zukommen. Gegenüber 2023 wäre das ein Anstieg um 21 Prozent. Immer wieder, zum Beispiel bei ESS Kempfle aus Leipheim oder beim Autozulieferer AE Group, ist dabei von einer Insolvenz in Eigenverwaltung zu hören. Aber was steckt eigentlich dahinter? Das haben wir Matthias Dieckmann gefragt, einen Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht und Inhaber der Kanzlei Dieckmann in Landshut.

Ukraine-Krieg und Pandemie-Nachwehen – Zahl der Insolvenzen steigt

Herr Dieckmann, warum gibt es derzeit so viele Insolvenzen in Deutschland?

Die Gründe hierfür sind eine schwache Konjunktur, die weltpolitisch schwierige Lage, insbesondere die Krisenherde in der Ukraine als auch im Nahen Osten sowie Nachholeffekte aus der Zeit der Pandemie. Während dieser hatte die Regierung die Insolvenzantragspflicht zeitweise ausgesetzt. Es flossen staatliche Gelder – und einigen Unternehmen blieb der Gang zum Insolvenzrichter erspart.

Welche Voraussetzungen wollen Gerichte erfüllt sehen, wenn Unternehmen eine Insolvenz in Eigenverwaltung durchführen wollen?

Die Insolvenzordnung verlangt in § 270 a InsO (Insolvenzordnung, Anm. d. Red.) unter anderem die Vorlage eines belastbaren Finanzplans, der den Zeitraum von mindestens sechs Monaten abdeckt und erklärt, inwieweit die Liquidität für das Verfahren einschließlich seiner Kosten sowie die Geschäftsfortführung vorhanden ist.

Weiterhin sind ein aussagekräftiges Konzept für die Durchführung des Insolvenzverfahrens sowie die Sanierung des Unternehmens als auch der Nachweis seitens des Unternehmens, insolvenzrechtliche Pflichten erfüllen zu können, gefordert. Dies erfolgt stets durch die Hinzunahme eines Insolvenzspezialisten entweder als weiteren Geschäftsführer oder Generalbevollmächtigen.

Insolvenz in Eigenverwaltung – So läuft das ab

Man liest immer wieder davon, dass Unternehmen die Insolvenz in Eigenverwaltung wählen – welche Vorteile hat das?

Die wesentlichen Vorteile liegen darin, dass die Geschäftsführung im Amt bleibt und die Sanierung begleitet. Damit behält das Unternehmen betriebliches Know-how, was wiederum für die Sanierung und Fortführung des Unternehmens förderlich ist.

In welchen Fällen ist das Verfahren sinnvoll und in welchen nicht?

Sinnvoll ist es dort, wo wenigstens noch ein sanierungsfähiger Kern des Unternehmens vorhanden ist. Das heißt: Wenn begründete Aussichten bestehen, dass das Unternehmen (nach Beseitigung der Krisenursachen) auf Dauer erfolgreich im Markt verbleibt.

Wie läuft eine Insolvenz in Eigenverwaltung ab?

Es erfolgt ein entsprechender Insolvenzantrag des Unternehmens bei Gericht, das sodann einen (vorläufigen) Sachwalter bestellt. Dieser begleitet als gerichtlich bestellter „Aufseher“ das Verfahren und die Sanierung. Im Rahmen des Verfahrens sollen dann die Krisenursachen beseitigt werden, und die Gläubigerforderungen werden durch einen Insolvenzplan prozentual befriedigt, was zur Entschuldung führt. Danach wird das Verfahren aufgehoben und das Unternehmen kann weiterhin am Markt teilnehmen und seine Geschäfte betreiben.

Erfolg von Insolvenz in Eigenverwaltung – Unternehmen ist gerettet

Welche Hürden müssen betroffene Firmen dafür nehmen?

Betroffene Firmen sollten sich bestenfalls schon ein Stück weit vor Antragstellung mit ihren Krisenursachen auseinandersetzen, einen fachkundigen insolvenz- beziehungsweise sanierungserprobten Ratgeber an Bord holen, die Finanzierung des Unternehmens für die Zeit des Verfahrens gesichert haben, schnellstmöglich die identifizierten Krisenursachen beseitigen und eine sehr gute Kommunikation mit den Stakeholdern unterhalten.

Matthias Dieckmann, Inhaber der Kanzlei Dieckmann.
Matthias Dieckmann, Inhaber der Kanzlei Dieckmann. © dieckmann rechtsanwaltskanzlei-insolvenzverwaltung

Ab wann ist eine Insolvenz rechtsgültig? Bereits ab dem Antrag oder muss ein Gericht das Go geben?

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens als hoheitlicher Akt erfolgt immer durch Beschluss des zuständigen Gerichts. Dem vorgeschaltet ist ein mit Insolvenzantragstellung laufendes vorläufiges Insolvenz- bzw. Eigenverwaltungsverfahren, in dem zum einen das Vorhandensein der Insolvenzgründe geprüft werden muss und zum anderen, ob ausreichend Geld vorhanden ist, um ein Insolvenzverfahren auch durchzuführen.

Wie oft führt die Insolvenz in Eigenverwaltung zur Rettung des Unternehmens?

Da sich die betroffenen Unternehmen frühzeitig mit ihrer Krise und den Ursachen auseinandersetzen müssen, ist die Erfolgsquote einer Sanierung sehr hoch.

Gegenüber der Immobilien-Zeitung haben Sie gesagt, dass Insolvenzen meist wegen wirtschaftlicher Fehlentscheidungen passieren. Wie schätzen Sie das außerhalb des Immobiliensektors ein, wenn zum Beispiel deutsche Modefirmen wegen des Preisdrucks chinesischer Billighändler Insolvenz anmelden müssen?

Natürlich kann Preisdruck ein Grund für eine Schieflage sein, ob das jeweils dann der einzige Grund hierfür ist, wage ich zu bezweifeln. In diesem Zusammenhang würden mir auch andere Gründe einfallen, wie eine zu starke Expansion, versäumtes Onlinegeschäft oder mangelnde Konzentration auf den eigentlichen Markenkern.

Welche Tipps haben Sie für Unternehmen, die einer Insolvenz entweder ganz entgehen wollen, oder die gerade frisch in die Insolvenz gerutscht sind?

Auseinandersetzen mit dem eigenen Geschäftsmodell, stetes Hinterfragen der Unternehmensprozesse, stete Bereitschaft, Fehlentscheidungen zu korrigieren – und wenn die Insolvenz unvermeidbar ist: nicht aufgeben. Es gibt oftmals auch in schwierigsten Situationen gute Lösungen für die Sanierung und den Fortbestand des Unternehmens.

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