Hackerin: "Die Schreiber der Droh-Mails sind verlassene Kinder"
Der Fall von massenhaften Bombendrohungen in Deutschland scheint geklärt zu sein. Eine 26-jährige Hackerin hat die Polizei zu Verdächtigen geführt – weil sie mitten unter ihnen war.
Die Polizei hat zwei Männer ermittelt, die an der Serie von Bombendrohungen gegen mehr als 250 Einrichtungen und Firmen in Deutschland beteiligt gewesen sein sollen. Die massenhaften Droh-E-Mails seit dem 18. Oktober lösten Sperrungen von Flughäfen und Bahnhöfen aus, sie führten zu Evakuierungen und Großeinsätzen und versetzten vielfach Menschen in Angst.
Die Cyber-Security-Spezialistin Ornella Al-Lami, die im Netz als"N3ll4" auftritt, hat entscheidende Hinweise geliefert: Bei einem 19-Jährigen aus dem Hohenlohekreis und einem 30-Jährigen aus dem Kreis Minden-Lübbecke wurde durchsucht und IT-Technik sichergestellt, sie sind offenbar Teil einer Gruppe. "N3ll4" sagt im Interview mit t-online: Die Erklärung für das kriminelle Verhalten liege auch in Erfahrungen und der Kindheit dieser Leute.
t-online: Frau Al-Lami, worum geht es diesen Leuten?
Ornella Al-Lami: Sie wollen mit ihrem Handeln möglichst viel Aufmerksamkeit erregen, möglichst viel Chaos stiften und damit in die Öffentlichkeit kommen. Das ist dann ein Erfolg für sie, die größten Erfolge waren die Räumung von ZDF und das Lahmlegen von Flughäfen.
Aber wieso hat jemand Spaß an der Drohung, dass Schulen in die Luft fliegen würden?
Zum einen gibt es in diesen Kreisen wenig Zutrauen in unser Gemeinwesen, die Leute haben nach eigenen schlechten und traumatischen Erfahrungen eine Wut auf den Staat, auf Institutionen oder auf die Gesellschaft und wenig Respekt. Da sind Schulabbrecher und ehemalige Heimkinder dabei, die ihre Erfahrungen auf andere übertragen. Ich habe sie bei der Polizei "verlassene Kinder" genannt. Die haben viel Scheiße erlebt, in manchem sind sie wie ich.
Sie haben Missbrauchserfahrungen gemacht, und wurden von einem Fremden aufgefordert, sich vor einer WebCam auszuziehen.
Ich habe in den Kreisen der Zeugen Jehovas Missbrauch erlebt, und ich kann nachvollziehen, wie es dazu kommt, die Wut und die Erfahrungen mit manchen Aktivitäten zu kompensieren. Und wenn das Internet zum Rückzugsort wird. Das ist auch das, was diese Leute verbindet. Und ich wollte wissen, wie das passiert ist, dass jemand meine WebCam übernimmt.
Und so sind Sie in diese Kreise gekommen?
Ich habe früh eine Affinität für Informatik entwickelt. Wenn man da viel wissen und lernen will, kommt man nicht drumherum, Netzwerke kennenzulernen, in denen gewisse Dinge ausgetauscht werden. Ich bin selbst keine Heilige – aber ich habe meine Dinger gemacht mit dem moralischen Anspruch, Pädophile und Rechtsextremisten zu überführen und Opfern von Cybermobbing und Cybergrooming zu helfen. Wir haben alle Grenzüberschreitungen erleben müssen. Aber die haben nicht gelernt, manche Grenzen zu akzeptieren.
Wie groß ist der Kreis?
Den Kreis derer, die an den Bombendrohungen beteiligt waren, schätze ich auf acht bis zwölf. Das ist eine kriminelle Gruppe, die sich herausgebildet hat, die auch in der Haider-Szene gefürchtet ist, aus der sie ursprünglich kommt.
"Haider" meint die "Hater", die Anti-Fans des mit YouTube bekannt gewordenen "Drachenlords" Rainer Winkler. Einige provozieren ihn so, dass er entsprechend reagiert, und er lebt auch finanziell von der Aufmerksamkeit darum. Und aus dem Kreis kommen die Bombendrohungen?
Ja, dort entstand eine eigene Gruppe, bei der der Bekannteste ein Nutzer mit dem Pseudonym Mimon war. Dort gab es aber Streit und Unstimmigkeiten und eine Abspaltung, und Mimon hat gemerkt, dass ihm das alles zu weit geht. Er hat mich deshalb vor einem Jahr in diesen Kreis dazugeholt, auf Discord.
Discord ist ein ursprünglich für Computerspieler gedachter Service für Chats, Sprachkonferenzen und Videokonferenzen. Und die haben mit Ihnen in der Gruppe weitergemacht, obwohl bekannt ist, dass Sie mit der Polizei zusammenarbeiten?
Sie haben sich mit Pseudonymen wohl sehr sicher gefühlt. Und dann dachten sie ja wohl auch, dass das schon okay sein muss, wenn ich hinzugefügt worden bin.