Indiens schwierige Position auf der COP28: In der Klimakrise ist das Land Täter und Opfer zugleich

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Gefährlicher Brennstoff - für das Weltklima und die Menschen. In Jharia sammeln illegale Arbeiter Kohle aus Minen, aus denen unterirdische Feuer seit 1916 toxische Dämpfe absondern. © Swattik Jana/Pacific Press Agency/Imago

Indien leidet wie kaum ein anderes unter der globalen Erwärmung. Zugleich aber will es sich entwickeln - und setzt dabei wie alle auf fossile Energien. Mit Ausstiegszusagen tut Neu-Delhi sich schwer.

Im globalen Klimaschutz schaut die Welt bislang vor allem auf China und die USA, die beiden größten CO2-Emittenten der Welt. Von ihnen hängt es ab, ob wir die globale Erwärmung begrenzen können. Doch im Schatten der beiden Supermächte ist ein drittes Land immer wichtiger geworden: Indien, seit diesem Jahr das bevölkerungsreichste Land der Welt, ist inzwischen auf Rang drei bei den Emissionen. Zwar ist Indien immer noch arm; und die Inderinnen und Inder emittieren pro Kopf und Jahr nur knapp zwei Tonnen Treibhausgase. Zum Vergleich: Deutsche und Chinesen stoßen acht Tonnen aus, US-Amerikaner sogar knapp 15 Tonnen.

Doch weil das Land eben 1,4 Millionen Menschen unter einer einzigen Regierung zusammenfasst, ist ebenjene Regierung unter Premierminister Narendra Modi für den globalen Klimaschutz zunehmend zentral. Immerhin war Modi als einziger Staatslenker der großen drei Emittenten zur COP28 nach Dubai gereist. Chinas Staatschef Xi Jinping und US-Präsident Joe Biden haben nur ihre Stellvertreter geschickt – was beiden Ländern Kritik einbrachte. Narendra Modi dagegen präsentierte am Wochenende vor Ort die Bewerbung seines Landes als Ausrichter der COP33 in fünf Jahren.

Beim „World Climate Action Summit“ der COP28, bei dem am Wochenende etwa 100 Staats- und Regierungschefs in Dubai zusammenkamen – auch Bundeskanzler Olaf Scholz war da – rief Modi dazu auf, „zusammenzukommen und zusammenzuarbeiten“. Er forderte einen „fairen Anteil“ für die armen Länder an jenem CO2-Emissionsbudget, das uns noch verbleibt, wenn die Welt das 1,5 Grad-Ziel erreichen will. Für Länder also wie Indien, das gerade einen enormen Entwicklungsschub erlebt – und damit auch stetig wachsende Emissionen. Zugleich forderte er für alle Entwicklungsländer Zugang zu „angemessener Klimafinanzierung und zu Technologietransfer.“ Wenn die Entwicklungsländer einen klimafreundlicheren Entwicklungspfad einschlagen sollen als der Westen, dann brauchen sie Unterstützung – denn allein können sie sich die kostspielige Transformation nicht leisten.

Indien leidet unter massiv der Klimakrise

Auch Indien ist in der Zwickmühle zwischen Aufstieg und Klimaschutz gefangen. Um der Armut zu entkommen, will Modi das Land so rasch wie möglich industrialisieren. Doch zugleich verschärft er damit die globale Erwärmung, unter der sein Land leidet wie kaum ein anderes. Indiens Hitzewellen nehmen an Dauer und Schärfe zu, im Juni litten 15 Städte unter Extremhitze von bis zu 44,5 Grad im Schatten. Wenn dazu noch die Luftfeuchtigkeit hoch ist, verliert der menschliche Körper seine Fähigkeit, sich durch Schwitzen abzukühlen – viele Menschen sterben in dem Land daran. Zugleich bringt der jährliche Monsun Indien immer mehr Starkregen.

Narendra Modi weiß: Indien ist so groß, dass es fatale Auswirkungen für die gesamte Welt hätte, wenn es dem fossilen Entwicklungspfad folgen würde. Daher rang Modi sich 2022 auf der COP27 erstmals durch, seinem Land öffentlich ein Klimaziel zu geben: Bis 2070 will Indien klimaneutral sein – 20 Jahre später als die Industriestaaten, und noch einmal zehn Jahre später als China.

Indien: Aufbau von Erneuerbaren und Kohlekraft

Es ist nur ein Anfang. Immerhin ist Indien in den Aufbau erneuerbarer Energien eingestigen. Bis 2030 sollen 50 Prozent des Energiebedarfs durch nicht-fossile Energieträger gedeckt werden, was etwa 500 Gigawatt entspricht. Indien hat nach Angaben des Fachdienstes Bloomberg New Energy Finance zwischen 2018 und 2022 53 Gigawatt an Solar- und Windenergie zugebaut.

Dennoch liegt der Anteil von Solar- und Windenergie immer noch unter einem Viertel der Kapazitäten für die Stromerzeugung – während der Rest von der Kohle dominiert wird, dem klimaschädlichsten aller fossilen Brennstoffe. Diese wird oftmals unter unsäglichen Umständen abgebaut. Im ostindischen Kohlegürtel von Jharia, wo 29 Prozent der indischen Kohle liegen soll, sind riesige unterirdische Kohlefelder seit 1916 in Brand. Trotz giftiger Dämpfe bauen illegale Arbeiter die Kohle seit damals dort mit den Händen ab. Indien hat derzeit 31,6 GW an Kohlekapazität im Bau, wie Daten des Global Coal Plant Tracker zeigen. Nur China baut noch mehr.

Angst vor Stromausfällen: Indien lehnt Bekenntnis zum Kohleausstieg bisher ab

Indien ist bisher nicht der Powering Past Coal Alliance, einer Koalition aus Staaten, Regionen und Provinzen zum gemeinsamen Kohleausstieg beigetreten. Auch die USA kündigten erst jetzt, am Samstag auf der COP28, den Beitritt an. Die über 50 Mitglieder der Koalition verpflichten zu einem Ausstieg aus Kohlekraftwerken mit „unverminderten Emissionen“ – also Kraftwerken, die keine Technologie zur CO2-Abscheidung nutzen. Auch andere große Kohleemittenten wie China, Japan oder Australien lehnen einen Beitritt bisher ab.

Grund für Indiens Festhalten an der Kohle ist zum einen das rasante Wachstum seiner Wirtschaft, die Brennstoff braucht. Hinzu kommt laut Regierungsdokumenten, die Reuters einsehen konnte, die Angst vor Stromausfällen. Denn die Hitzewellen dieses Sommers hatten einen Rekordanstieg der Stromnachfrage ausgelöst, weil die Menschen in den Städten ihre Klimaanlagen auf die maximale Leistung stellten. Im kommenden Jahr dürften die Hitzewellen noch ein bisschen heftiger ausfallen, und so befindet sich Indien im Teufelskreis.

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