Analyse von Ulrich Reitz - Im Grenz-Dilemma hat Faeser eine große Chance - es wäre fatal, sie nicht zu nutzen
Grenzen dicht – wer das will wie praktisch die komplette Unionsführung, angefangen bei den Parteivorsitzenden Friedrich Merz und Markus Söder, für den sind die beiden G7-Gipfel der westliche Staatselite im idyllischen Elmau so etwas wie der Goldstandard.
Die Bundespolizei, geführt von Dieter Romann, lieferte bei diesen außerordentlich gefährlichen Anlässen den Nachweis ab, dass man sehr wohl die deutsche Grenze dichtmachen kann. Man muss es nur wollen.
Dies ist auch eine kurze Erinnerung an die Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel aus Anlass ihres heutigen 70. Geburtstags. Denn Merkel war der Meinung, die deutsche Grenze sei nicht zu schützen, weil man eben eine 3800 Kilometer lange Grenze grundsätzlich nicht schließen könne.
Es gibt ein dickes „Aber“
Romann lieferte nun schon zwei Mal den Nachweis ab, dass es geht. Die Bundespolizisten brachten es fertig, beide Male an die 400.000 Menschen zu überprüfen. Etliche wurden wegen Straftaten herausgefischt und verhaftet, unter ihnen viele Menschenhändler von Migranten, Schleuser genannt.
So war es auch bei der Fußball-Europameisterschaft. Deshalb sagt der Unions-Innenpolitiker Alexander Throm, was naheliegt: „Wir brauchen, um unsere Sicherheit zu schützen, auch über die Europameisterschaft hinaus, Grenzkontrollen.“
Nur gibt es dabei ein dickes „Aber“, nämlich: Aber das Wollen allein reicht eben auch nicht. Man muss es auch dürfen. Und das ist hier die Krux.
Man kann der Bundesinnenministerin Nancy Faeser zugutehalten, dass sie Deutschlands Grenze nicht dauerhaft dichtmachen kann, selbst wenn sie es wollte. Und die Debattenlage ist auch nicht so eindeutig, wie es scheint. Denn so gut wie alle Akteure, die irgendwie mit der Wirtschaft zu tun haben, sind gegen dauerhafte Grenzkontrollen.
Schengen-Raum ist größer als die EU
Nicht nur führenden Wirtschaftsinstitute, die sich um die Unterbrechung der für die Volkswirtschaft lebenswichtigen Lieferketten sorgen, an denen nicht nur die Versorgungssicherheit der Industrie hängt, sondern vielfach auch der Verbraucher. Sondern vor Ort auch Industrie- und Handelskammern. Auch in Niederbayern – in Söder-Land. Ein Blick auf die Pendlerzahlen zeigt, warum.
Mehr als 200.000 Menschen pendeln jeden Tag über Deutschlands Grenzen zu Arbeitsplätzen in Deutschland ein. Es sind 200.000, die tagtäglich gegen den Facharbeitermangel in der Bundesrepublik anarbeiten.
Aus Polen kommen jeden Tag knapp 100.000 über die bundesrepublikanischen Ostgrenzen, aus Frankreich sind es täglich mehr als 40.000, die über die Westgrenze einpendeln. Tief im Westen – nein, nicht in Bochum, sondern wirklich tief im Westen, am Niederrhein, erkennt man den Unterschied zwischen den Niederlanden und Deutschland nur noch an der Größe der Fenster in den Eigenheimen.
Der Schengen-Raum ist inzwischen größer als die Europäischen Union, die Schweiz etwa gehört dazu, ebenso wie Norwegen. Und praktisch niemand möchte diese offenen Grenzen mehr missen. Sie sind eine der Errungenschaften, die Europa sozusagen sicht- und erfahrbar machen. Und die ein Booster sind für unseren Wohlstand.
Nationalstaaten dürfen Grenzen dichtmachen - aber nur aus gutem Grund
Eingeführt wurde „Schengen“ übrigens auf Initiative von Helmut Kohl – und dem damaligen französischen Präsidenten Francois Mitterrand – es war am 14. Juni 1985. Und die erfolgreiche Öffnung der Grenzen im Westen war die Blaupause für die danach, 1898 ff, Öffnung der Grenzen nach Osten. Wer in der Union „bloß“ auf die innere Sicherheit schaut, verkennt gern die (historischen) Zusammenhänge. Gleichwohl:
Nationalstaaten dürfen ihre Grenzen zwar dichtmachen, aber sie müssen dafür gute Gründe haben – wie in Elmau. Oder bei Corona.
Drohende terroristische Gefahren, drohende, akute Bandenkriminalität, drohende drastische Gesundheitsgefahren wie bei Epidemien – das sind die Gründe, bei denen der Schengener Grenzkodex Grenzschließungen erlaubt – allerdings auch nur vorübergehend. Man muss das klar sagen:
Die gestiegene Anzahl von Messerangriffen oder Gruppenvergewaltigungen durch Migranten sind vielleicht aus Sicht eines wachsenden Teils der deutschen Bevölkerung sehr gute Gründe, Deutschlands Grenzen für Einwanderer dicht zu machen, die Fluchtgründe angeben.
„Kontrollen an allen deutschen Staatsgrenzen müssen fortgesetzt werden“
Aber, das ist die vielleicht traurige Wahrheit: Die Gesetzeslage würde das nicht erlauben. Wer das anders will, der muss mit der europäischen Realität kämpfen: Die entsprechenden Regelungen sind Gemeinschaftsrecht, sie wurden von den Staaten – gemeinsam – beschlossen. Und es gibt dazu das, was man eine gefestigte Rechtsprechung nennt. Daran kann auch ein gemeinsamer Aufruf von Merz und Söder nichts ändern, so einleuchtend er überkommt:
„Die Kontrollen an allen deutschen Staatsgrenzen müssen fortgesetzt werden. Geben wir unseren Sicherheitskräften die Möglichkeit, ihre erfolgreiche Arbeit fortzusetzen. Sonst wird sich die Sicherheitslage massiv verschlechtern.“
Eine große Lösung dafür wird es kaum geben können, aber womöglich hilft eine kleinere weiter. Wie das gehen könnte, darauf hat inzwischen die Deutsche Polizeigewerkschaft aufmerksam gemacht.
Die Bundespolizei sei keine „Grenzbehörde“, sagt deren Vize Manuel Ostermann. Die Bundesinnenministerin habe es allerdings in der Hand, sie quasi dazu zu erklären. Man würde den Grenzschützern erlauben, „aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ zu treffen, also Zurückweisungen direkt an der Grenze.
Es gehe nicht um die „flächendeckende“ Grenzkontrolle, die sei auf Dauer nicht möglich – bei der Fußball-EM waren 22.000 Polizisten im Dienst. Das müsste dann Faeser nur noch nach Brüssel melden – weil dort die EU-Kommission sitzt, die „Hüterin der Verträge“ – in denen eben auch die Reise- und Dienstleistungsfreiheit festgelegt ist.
Polizei wäre dann eine Grenzbehörde
„Die Bundesinnenministerin muss nur bei der Europäischen Kommission beanzeigen, nicht einmal mehr beantragen, dass anlassbezogene Grenzkontrollen vollzogen werden.“ Es wäre, folgt man dieser Idee, eine kleine rechtliche Maßnahme mit großer Wirkung.
Die Bundesregierung müsste nicht verkünden: Wir machen jetzt die Grenzen dicht, wie in Elmau oder bei der Fußball-Europameisterschaft. Sie müsste nur der Polizei erlauben zu tun, was sie tun könnte. Und ihr erlauben, selbst zu entscheiden, wie sie das macht.
Die Polizei wäre dann eine Grenzbehörde. Es ist ein guter Vorschlag, einer, der nicht aus der (Partei)politik kommt, sondern von den Praktikern, die vor Ort an den Grenzen jeden Tag für die Sicherheit der Bürger sorgen.
Eine Idee, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser nicht am Wegesrand liegen lassen sollte. Von den Grünen hat sie in der Koalition nichts zu erwarten, die torpedieren, sowohl in Berlin als auch in Brüssel, gern auch bewaffnet mit Rechtsgutachten, die sie eigens in Auftrag gegeben haben, jede Verschärfung der Einwanderungsregeln.
Wenigstens möglich zu machen, was rechtlich machbar wäre, das könnte auch Faesers Chance sein: Im Dilemma zwischen Reisefreiheit und innerer Sicherheit einen eleganten, dritten Weg zu finden. Es wäre fatal, sie nicht zu nutzen.