Die Keltin vom Ammersee
Das heutige Herrsching war früher besiedelt als bisher gedacht. Das ergaben Grabungen neben der Nikolauskirche. Dort stieß Archäologe Stefan Mühlemeier zuletzt sogar auf das Grab einer Keltin aus der Mitte des vierten Jahrhunderts vor Christus.
Man möge sich vorstellen, welche Zeugnisse der frühen Besiedelung Herrschings hätten gefunden werden können, wenn beim Bau der Mehrfamilienhäuser am Mitterweg vor Baubeginn ähnliche Auflagen gemacht worden wären, wie vor Baubeginn des Bezahlbaren Wohnens gleich neben der Nikolauskirche. Wie berichtet, hatten Archäologen den Boden seit November 2023 bis in den Sommer 2024 hinein untersucht, fanden Pfostengruben eines Langhauses, Keramik und Münzen. Ganz zum Schluss stieß das Grabungsteam sogar auf eine Grabstelle. Den noch erhaltenen Schmuck datieren die Archäologen auf die Mitte des vierten Jahrhunderts vor Christus zurück. Und dies sei eine kleine Sensation, sagte Archäologe Stefan Mühlemeier, der beim Verein Archäologie und Geschichte Herrsching von den Grabungen berichtete. Denn die Frau, auf deren Grab er gestoßen war, ist damit eine Keltin. Damit reicht die Besiedelung Herrschings viel weiter zurück als angenommen.

Den Nachweis für eine Jahrhunderte dauernde Besiedlung Herrschings ab etwa 100 nach Christus erbrachte 2004 die Entdeckung einer Villa rustica. Der Gutshof wurde im Zuge des Baus des Johanniterhauses an der Reineckestraße entdeckt – gleich neben dem Friedhof, bei dessen erster Erweiterung 1982 Bauarbeiter auf die frühchristliche Kirche gestoßen waren, um die die Gemeinde später den Archäologischen Park errichtete. Im Zuge einer zweiten Friedhofserweiterung stießen die Archäologen 2011 auf weitere römische Funde, die belegten, dass es schon vor dem zweiten Jahrhundert nach Christus eine römische Besiedelung gegeben haben muss. Weitere Siedlungsspuren waren am Mitterweg deshalb sehr wahrscheinlich. Die freie Fläche liegt nur wenige hundert Meter Luftlinie vom Friedhof entfernt und direkt neben der Nikolauskirche, die erstmals 1216 erwähnt wurde. Der jüngste Fund erstaunt dennoch, „Gräber aus der Latène-Zeit wie diese sind selten“, so Mühlemeier.
Dem Archäologen Stefan Mühlemeier und seiner Frau Ines Gerhardt gehört die Grabungsfirma Phoinix in Pöcking. Mühlemeier kennt so manche Fundstelle im Landkreis. Er war 2011 Grabungsleiter bei der zweiten Friedhofserweiterung und nun auch am Mitterweg. Vor gut 30 Interessierten berichtete er von seiner Arbeit und begrub des einen oder der anderen romantische Vorstellung einer Grabungsarbeit in Deutschland. „Den Pinsel nehmen wir ganz zum Schluss in die Hand, erst kommt der Bagger.“ Zunächst gab es auch in Herrsching keinen Grund, den Pinsel zu holen – bis die Archäologen auf das Grab stießen und das Skelett mit dem Schmuck fanden. Weil sogleich eine Anthropologin hinzugezogen worden sei, konnte er erzählen, dass die Tote in dem Grab zwischen 20 und 40 Jahre alt gewesen sein muss. „Sie war 1,52 Meter groß, grazil, hatte Karies, aber immerhin noch eigene Zähne“, berichtete er. Das Skelett sei schlecht erhalten gewesen, weil darüber ein frühmittelalterliches Haus gestanden hätte.
Die Zeitbestimmung jedoch war anhand des Schmucks möglich: ein Halsring, zwei Armringe aus Bronze, Gewandspangen oder sogenannte Fibeln. Zum Schluss kam am Finger noch ein Ring zum Vorschein, im Durchmesser von nur zwei Zentimeter, aus dünnem Bronzedraht gewickelt. „Aus einem Stück“, betonte Mühlemeier, „das muss man erstmal hinkriegen. Das ist ein Meisterwerk keltischer Schmuckkunst.“

Auf die Frage, wem die Funde gehörten, gab der Archäologe eine klare Antwort: „Sie gehören dem Staat.“ Er sagte aber auch: „Es sei denn, die Gemeinde würde einen Anspruch darauf erheben.“ Dann sei es nicht unmöglich, die Funde zurückzubekommen. Den Mitgliedern des Vereins würde der Gedanke gefallen. Allerdings ist der Grabungsbericht noch nicht fertig. Dr. Friedrike Hellerer freut sich bereits auf die Lektüre – als Vorsitzende des Vereins für Archäologie und Geschichte Herrsching und als Gemeindearchivarin.