Urteil im Silvestermord: Reichen die Indizien für Lebenslänglich?

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Der Angeklagte Gary W. schweigt seit dem ersten Prozesstag vehement. © Sigi Jantz

Am frühen Morgen des Silvestertags 1978 soll der Engländer Gary W. den homosexuellen Rentner Josef Brunner erschlagen haben. Die Schlussplädoyers legen nahe: Der Fall bleibt rätselhaft.

Es war ein Fingerabdruck über der Badewanne des Mordopfers, der Gary W. (70) nach 45 Jahren doch noch der Münchner Polizei zuspielte. In seiner Heimat saß der Arbeiter eine Gefängnisstrafe wegen Raubs ab – weshalb er aktenkundig, europaweit identifizierbar und somit auslieferbar wurde. Seit Februar untersuchte nun das Landgericht München I, ob er tatsächlich der Täter im sogenannten Silvestermord war. Für eine Beute von 1000 Mark und einen Ring soll W. sein damals 69 Jahre altes Opfer Brunner brutal erschlagen haben. Dafür forderte Staatsanwalt Michael Schönauer gestern: „Lebenslänglich.“ Die Verteidiger plädierten hingegen: „Der Angeklagte ist freizusprechen.“

Auf den ersten Blick spricht Einiges dafür, dass W., damals als Bauarbeiter in München, der Täter war. Zunächst der Fingerabdruck: Er passt genau dorthin, wo der Täter sich abgestützt haben könnte, um das im Wasser liegende Opfer nach mehr als zehn blutigen Schlägen mit einem Mörserstößel auch noch mit dem Kopf unter Wasser zu ziehen. Auch DNA-Spuren von W. wurden nachträglich im Bett sichergestellt. Zudem berichteten damals Zeugen, dass Josef Brunner für den 30. Dezember mit einem jungen Engländer verabredet war. An besagtem Tag sah man ihn auch mit einem jungen Mann nach Hause kommen.

Die beiden aßen, gingen dann in das Pornokino an der Bayerstraße. Danach kamen sie nach Ansicht der Anklage wieder nach Hause und Brunner machte sich bettfertig, wohl in der Hoffnung auf Sex. Dabei soll er – nichts ahnend – im Bad von W. hinterrücks mit einem Schlag zu Fall gebracht und in die Wanne geschubst worden sein, wo dann die endgültig tödlichen Schläge mit einem metallenen Mörserstößel fielen. Danach hätte W. die Wohnung durchsucht und sei mit Geld und Ring getürmt. „Die Indizien in der Wohnung lassen keine Rückschlüsse auf eine weitere Person zu. Der Täter muss die Person sein, die den Fingerabdruck hinterlassen hat. Und das ist Herr W.“, folgerte Staatsanwalt Michael Schönauer.

Werinherstraße 19: Im ersten Stock ganz rechts geschah der Mord an Josef Brunner.
Werinherstraße 19: Im ersten Stock ganz rechts geschah der Mord an Josef Brunner. © Jens Hartmann

Nur: Es gibt ebenso viele Zweifel. Der entscheidende Fingerabdruck ist nämlich nicht blutig, sondern besteht aus Schweiß. Dass W. in der Wohnung war, sei unstrittig, sagen die Verteidiger, „aber wann genau der Fingerabdruck und die DNA-Spur hinterlassen wurden, wissen wir nicht“, sagt Anwalt Raffael Fach. Brunner habe oft Männerbesuch gehabt, weshalb es noch mehr Fingerabdrücke und DNA-Spuren gebe, die bloß nicht zugeordnet werden konnten .Zudem hätten Zeugen erzählt, dass Josef Brunner einen jungen Griechen geliebt habe, mit dem er tags zuvor durch Schwabing gezogen sein soll. Auch rätselhaft: Eine Nachbarin gegenüber will in der Mordnacht zwei Gäste auf Brunners Balkon beobachtet haben, nicht nur einen. War der Mörder ein unbekannter Dritter?

Überhaupt, Mord: Laut Anwältin Andrea Mathes sind die Mordmerkmale – Heimtücke, Ermöglichung einer anderen Straftat und Habgier – überhaupt nicht nachweisbar. Denn ob der erste Schlag von hinten ausgeführt wurde, ob es vorher einen Streit gab, ist unbekannt. Der Täter ließ viel Wertvolles einfach liegen, vom Goldbarren über die Münzsammlung bis hin zur Armbanduhr. Den Ring aber nahm er mit, was eher für eine emotionale Tat spricht.

Und wer kann mit Sicherheit sagen, ob der Mord dem Raub diente, oder nicht der Raub ein spontaner Einfall nach der Bluttat war? Alles andere als Mord wäre aber verjährt und nicht mehr anklagbar. Kurz, der Fall ist knifflig. Nicht zuletzt auch deshalb, weil alle wichtigen Zeugen von damals tot sind. Am morgigen Mittwoch verkündet Richter Norbert Riedmann das Urteil.

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