Braveheart und Brimstone: Briten befeuern die Ukraine mit altem Eisen und intelligenten Raketen

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Präsident Selenskyj hat unter allen britischen Premiers gute Karten: Auch Labour schickt Haubitzen und Raketen an die Front. Und schießt Geld nach.

London – „Sollte es nach der Wahl zu einem Regierungswechsel kommen, wird sich an Großbritanniens Entschlossenheit nichts ändern, an der Seite der Ukraine zu stehen und er russischen Aggression entgegenzutreten“, sagte John Healey, wie ihn Mitte Mai das Magazin Politico zitierte. Inzwischen ist der Labour-Politiker Verteidigungsminister im Vereinigten Königreich; und er steht zu seinem Wort. Im Ukraine-Krieg bleibt Großbritannien weiter drittgrößter Unterstützer gegen Wladimir Putin. Das nächste Paket hat es wieder in sich.

Wie der Guardian berichtet, hat Healey während eines spontanen Besuchs in der südlichen ukrainischen Hafenstadt Odessa an seinem zweiten Arbeitstag im Amt ein neues Militärhilfe-Paket angekündigt – darin enthalten: großkalibrige Munition, AS-90-Artillerie und Brimstone-Bodenangriffsraketen. Laut dem Guardian hätte der neue Premierminister Keir Starmer eine Kehrtwende in der Labour-Politik zu machen gehabt: Im Gegensatz zum vormaligen Labour-Parteichef Jeremy Corbyn hatte Starmer betont, „einem relativ traditionellen Konzept der nationalen Sicherheit verpflichtet“ zu sein, schreibt der Guardian:. „Starmer erklärte beispielsweise, er sei bereit, notfalls auch die britischen Atomwaffen vom Typ Trident einzusetzen.“

„Während die russischen Streitkräfte die Evolutionsleiter hinabzusteigen scheinen, immer ältere Panzer aufstellen und Wehrpflichtige mit Gewehren aus vergangenen Zeiten ausstatten, beliefern die Verbündeten die Ukraine mit immer modernerer Ausrüstung. Und Brimstone 2 ist eine sehr praktische Ergänzung des Arsenals.“

Inhalt des neuen Pakets sind beispielsweise zehn AS90-Panzerhaubitzen. Im vergangenen August hatte das Magazin Futurezone berichtet, dass bereits 32 Exemplare an der Front der Ukraine stünden; zusammen mit den zehn zusätzlichen Systemen hätte das Vereinigte Königreich fast die Hälfte ihres Bestands dieser mit „Braveheart“ betitelten Panzerhaubitze in den Krieg geliefert. Ursprünglich sollte London über fast 200 Exemplare verfügen können, zu Beginn des Ukraine-Krieges berichtete das Magazin Armyrecognition auf Basis des Military Balance-Index 2021 von 89 einsatzfähigen Exemplaren.

Britische AS90-Haubitzen fahren in einer Kolonne auf einer langgezogenen Landstraße.
Rückgrat der ukrainischen Artillerie: die britische AS90-Haubitze mit der Bezeichnung „Braveheart“. Zehn zusätzliche Systeme gehen jetzt an die Front. Die Briten misten aus – als Ersatz ordern sie radgestützte deutsche und schwedische Haubitzen. © IMAGO/Aitch222

Modernisierung durch Ukraine-Krieg: Deutsche und schwedische Haubitzen ersetzen britische

Ohne das Engagement der Briten zu schmälern, schafft die Großzügigkeit auch Platz im eigenen Bestand – Großbritannien modernisiert aktuell seine selbstfahrende Artillerie. Wie das Magazin Defense Express berichtet, ersetzt Großbritannien die AS90-Systeme durch deutsche RCH 155-Haubitzen und hat vorübergehend schwedische Archer-Haubitzen bestellt. Die Entscheidung, die AS90-Systeme weiter zu liefern, deutet jedoch darauf hin, dass die britische Armee wohl mit der Hälfte ihres bisherigen AS-90-Bestandes auszukommen glaubt, da nur 14 Archer-Einheiten bestellt seien, und die deutschen RCH 155-Systeme voraussichtlich um 2030 herum eintreffen sollen.

Neben den kompletten Haubitzen, 32 neuen Rohren – für die bisher gelieferten AS90 und Ersatzteilen enthält das Paket laut Defense Express noch 250.000 Schuss Mörser-Munition Kaliber 50, dazu 50 Militärboote, 40 Minenräumfahrzeuge, 61 Bulldozer und 90 Brimstone-Panzerabwehrraketen. Seit April 2022 versorgt Großbritannien die Ukraine mit Brimstone-Raketen. Laut dem Magazin Forbes jetzt sogar mit leistungsstärkeren Raketen neueren Typs. „Während die russischen Streitkräfte die Evolutionsleiter hinabzusteigen scheinen, immer ältere Panzer aufstellen und Wehrpflichtige mit Gewehren aus vergangenen Zeiten ausstatten, beliefern die Verbündeten die Ukraine mit immer modernerer Ausrüstung. Und Brimstone 2 ist eine sehr praktische Ergänzung des Arsenals“, schrieb Forbes-Autor David Hambling vor zwei Jahren.

Britische Großzügigkeit: Das nächste Paket für die Ukraine schon in der Pipeline

Brimstone-Raketen waren für die Abwehr umfangreicher Panzer-Angriffe konzipiert worden und sollen genauso von Flugzeugen aus gestartet werden wie von landgestützten Trägern, zur Not auch von Pickup-Ladeflächen – deren ursprüngliche Konstruktion hakte allerdings an der Reichweite von rund acht Kilometern und der Notwendigkeit einer Steuerung durch Laser; die Träger mussten zu nah an den Feind heranrücken. Forbes zufolge hob Brimstone 2 diese Nachteile auf. Die Reichweite stieg auf zwölf Kilometer aus Helikoptern und 20 aus Flugzeugen. Die Steuerung erfolgte in den neuen Typen durch Millimeterwellen-Lenkung (MMW). Ziele konnten weit außerhalb der Sichtweite geortet und identifiziert werden und den Träger in sicherer Entfernung belassen.

Außerdem sollen in Salven abgefeuerte Raketen jeweils andere Ziele bekämpfen und sogar zwischen verschiedenen Fahrzeugtypen sowohl unterschieden als auch priorisieren können, „indem sie zum Beispiel zuerst hochwertige Kommandofahrzeuge und dann Panzer, andere gepanzerte Fahrzeuge und Lastwagen angreifen“, wie Forbes schreibt. Daneben hatte die britische Regierung unter dem konservativen Premierminister Rishi Sunak im April noch ein weit umfangreicheres Paket angekündigt, „das 400 Fahrzeuge, 1.600 Angriffs- und Luftabwehrraketen, darunter zusätzliche Langstrecken-Präzisionslenkraketen vom Typ Storm Shadow, vier Millionen Schuss Munition und 60 Boote, darunter auch Offshore-Eroberungsboote, umfasst“, wie das britische Verteidigungsministerium aktuell veröffentlicht.

Erdrutschsieg beruhigt die Ukraine: Labour und Tories gemeinsam gegen Russland

Kein Wort davon, dass an dieser Entscheidung unter der neuen Labour-Regierung gerüttelt werden sollte. Was der Erdrutschsieg der neuen Regierung für die Ukraine bedeuten könnte, beschreibt die Kyiv Independent als „Gegenoffensive“ und zielt damit auf die von den Tories vor der Wahl geschürte Angst, Labour könnte den unter dem konservativen Ex-Premier Boris Johnson eingelegten Kurs revidieren. Labour-Chef Keir Starmer macht das Gegenteil.

Anfang Juni versprach Starmer laut der Independent, das britische Militär innerhalb des ersten Jahres einer Labour-Regierung „kampffähig“ zu machen, und sagte, seine Regierung sei „absolut entschlossen, so schnell wie möglich 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben“, zitiert ihn das Blatt. Er wollte der Ukraine überdies weiterhin jährlich umgerechnet zweieinhalb Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat unter allen britischen Premiers gute Karten – die Tagesschau hatte bereits Anfang Februar dieses Jahres gemutmaßt, das Vereinigte Königreich könnte durch Wladimir Putins Husarenritt gen Europa an ein eigenes Trauma erinnert werden: „Die Ukraine zu unterstützen, auch mit Waffen, ist im Vereinigten Königreich nahezu unumstritten“, schreibt die Tagesschau.

Diese These wird gestützt von Analysten rund um die Politikwissenschaftlerin Catarina Thomson von der University of Exeter, wie die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) berichtet hat. Laut Thomson sei die allgemeine Akzeptanz militärischer Einsätze in Großbritannien aufgrund ihres Selbstverständnisses als Kolonialmacht „deutlich stärker ausgeprägt sei als etwa in Deutschland“, wie die NZZ schreibt. Darüber hinaus erschienen den Briten die Bombenangriffe auf Kiew oder andere Städte „wie ein Echo der Nazi-Angriffe während des Blitzkriegs“.

Starmer zeigt klare Kante: Gegen Putin sind auch Atomwaffen kein Tabu

Nebenbei reklamiert London auch die Erfolge auf der Krim gegen Putins Schwarzmeerflotte für sich: „Der jüngste Meilenstein von 500.000 getöteten oder verwundeten Russen ist eine Erinnerung daran, wie schlecht dieser Krieg für Russland ausgegangen ist. Im vergangenen Jahr hat die Ukraine mit britischer Hilfe die russische Flotte von der Krim vertrieben und das Schwarze Meer wieder für Exporte geöffnet“, sagt Tony Radakin, In der Erklärung des britischen Verteidigungsministerium spricht der Chef des britischen Generalstabs von den gelieferten Storm Shadow-Raketen, die den Besatzern der Krim so nachhaltig zugesetzt hatten.

Allerdings rechnet niemand damit, das Vereinigte Königreich könnte die Hilfe der USA ersetzen, sollte Donald Trump im November der Nato und Europa den Rücken kehren – den Briten fehlt schlichtweg das, was die Ukrainer am dringendsten brauchen: das Patriot-Abwehrsystem. Allerdings zeigt Starmer klare Kante bezüglich des Einsatzes von Atomwaffen – die britischen Atomwaffen auf U-Booten gehören zwar zum Nato-Schutzschirm, unterliegen aber britischem Oberbefehl. Eine der ersten Amtshandlungen von Keir Starmer sind die handschriftlichen Anweisungen an die Kommandeure der atomwaffenbestückten U-Boote, was zu tun ist, wenn die kommandieren Regierungsmitglieder getötet werden.

In diesem „Brief der letzten Instanz“ soll sich Starmer dem Guardian nach entschlossener geäußert haben: „Wir müssen darauf vorbereitet sein“, die Zerstörungskraft der Abschreckung zu entfesseln, wie ihn das Blatt zitiert, und beschrieb sie als „einen lebenswichtigen Teil unserer Verteidigung“.

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