Nach Todesfahrt auf Weihnachtsmarkt - „Dass die sich noch hertrauen“, sagt Magdeburgerin wütend beim Scholz-Besuch
„Ich kann das meinen Kindern nicht erklären“
Am Ende seien es doch nur wieder Worte ohne Taten, kritisiert Wübbemann. „Man kann nur hoffen, dass die Regierung nun wirklich mal etwas ändert“, sagt sie. Noch am Freitagmittag war sie mit ihrem Mann auf dem Weihnachtsmarkt und freute sich, dass er so gut besucht war. Viele Familien hätten ihn mit Kindern nach dem letzten Schultag vor den Ferien besucht. Abends sah sie dann Bilder des Anschlags. „Ich saß stocksteif in meinem Sessel“, erzählt sie: „Ich dachte zuerst, das ist ein schlechter Fake.“
Am Eingang stehen Uli Bittner und der Magdeburger CDU-Landtagsabgeordnete und versuchen noch immer zu begreifen, was hier passiert ist. „Die Stadt ist in Schockstarre“, sagt Krull: „Die Vorfreude auf Weihnachten ist wie weggepustet.“ Er unterbricht sich, Tränen laufen ihm über die Wange. Mit zittriger Stimme fährt er fort: „Das Wichtigste ist, dass die Verletzten wieder gesund werden und es nicht noch mehr Tote gibt.“
Dann müsse die Stadtgesellschaft das Geschehene erst einmal sacken lassen. „Das ist so krass“, sagt Krull und schluchzt. Er hoffe, dass die Stadt in dieser schwierigen Zeit zusammensteht und nicht andere unter Generalverdacht stelle. Nur wenige Stunden vor dem Attentat sei er noch selbst über den Weihnachtsmarkt geschlendert. „Ich kann das meinen Kindern nicht erklären“, sagt er.
Kanzler am Anschlagsort: „Das ist immer ein schmaler Grat“
Anders als Wübbemann hält Krull den Besuch des Bundeskanzlers für sinnvoll. „Das ist immer ein schmaler Grat“, merkt er an. Vor allem für die Einsatzkräfte sei eine solche Wertschätzung von großer Bedeutung. „Wir dürfen sie nicht vergessen. Sie tragen nach den Opfern und deren Angehörigen die größte Last“, betont Krull.“
Auch Bittner ringt mit den Worten. Er versuche, seine Kleinkinder von dem Geschehen abzuschirmen. Am Montag hatte er noch mit einer Blaskapelle auf dem Weihnachtsmarkt gespielt. „Warum? Warum? Warum?“, fragt er mit leerem Blick und spricht trotzdem aus, was viele denken.
Denn zu viele Fragen stellen die Magdeburger vor ein Rätsel . Warum fuhr Taleb A. , der mutmaßliche Attentäter, von Bernburg (Saale) nach Magdeburg, um dort Menschen zu töten? Warum griff er einen Weihnachtsmarkt an, wenn er doch selbst den Islam offenbar vehement ablehnte? Warum bringt ein Arzt, der schon lange in Deutschland lebt und arbeitet, Menschen um?
„Das ist ein Dreck, was gerade passiert“
Ein Mann mittleren Alters, mit seiner Mutter und seiner Tochter unterwegs zur Johanniskirche, hat dazu eine klare Meinung. „Das ist ein Dreck, was gerade passiert“, sagt er sichtlich erzürnt und deutet in Richtung des Weihnachtsmarktes, wo der Kanzler erst wenige Minuten zuvor gesprochen hat: „Die Politiker da drüber sind die größten Verbrecher.“ Die Strafen für solche Attentate seien viel zu gering – und offensichtlich stört er sich grundlegend an der Migrationspolitik.
Bei ihm wie bei vielen anderen driftet das Gespräch schnell in die Debatte rund um die Aufnahme von Flüchtlingen ab; dabei soll A. bereits 2006 nach Deutschland gekommen sein: als Gastarzt, ohne Asylantrag.
„Da sammelt sich hier einiges an“
Mit Sorge beobachtet eine Freundesgruppe daher, wie viele Falschinformationen bereits in Magdeburg kursieren. „Es ist traurig, wie das instrumentalisiert wird“, sagt Anna, als Paul erzählt, wie ein Bekannter aus der rechten Szene nur zum Alten Markt kam, um gegen Scholz und die anderen Politiker zu pöbeln. Auch rund um das Allee-Center und an der Johanniskirche ist einschlägige Szenekleidung erkennbar. Selbst Armbinden mit der schwarz-weiß-roten Reichsflagge werden zwar nur vereinzelt, aber offen getragen. „Da sammelt sich hier einiges an“, kommentiert Paul besorgt.
Auch bei den drei Freunden sitzt der Schock über den Anschlag tief. „Ich laufe hier fünf, sechs Mal im Monat lang“, sagt Ole. Die Gegend rund um den Hauptbahnhof sei immer belebt – und nun ein Tatort. Die Gruppe, ebenfalls mit einem Blumenstrauß in der Hand und auf dem Weg zum Gotteshaus, sucht nach Antworten. „Es erscheint so sinnlos“, sagt Paul.