Zweifel an schneller F-16-Lieferung: USA stehen bei Kampfjets für Ukraine-Front auf der Bremse

  1. Startseite
  2. Politik

KommentareDrucken

Licht am Horizont: Schweden verhandelt offenbar wieder mit der Ukraine über die Lieferung ihres selbst entwickelten Kampfflugzeugs: der Saab JAS 39 Gripen. Weil die F-16 kommen sollten, hatte Schweden sich zurückgehalten; jetzt drückt die Ukraine aufs Tempo. © IMAGO / TT

Niemand ahnt, wo Putin seine rote Linie zieht; und möglicherweise ist Biden einfach nur risikoscheu. Die Ukraine muss weiter auf die F-16 warten.

Washington D.C. – Das Weiße Haus habe keine Angst, den russischen Präsidenten Wladimir Putin gegen sich aufzubringen, hat Jake Sullivan klarstellen wollen. Vor einem Jahr schon hatten die Republikaner eine Breitseite gegen den demokratischen US-Präsidenten Joe Biden abgefeuert. Das Magazin Politico berichtete von einem sicherheitspolitischen Forum in Aspen, Colorado, auf dem sich Bidens Nationaler Sicherheitsberater gegen Vorwürfe verteidigen musste, die USA seien erhebliche Risiken bei der Bewaffnung der Ukraine eingegangen.

Die Geschwindigkeit der Waffenlieferungen war immer Grund für Ärger von Präsident Wolodymyr Selenskyj – jetzt wird er wahrscheinlich wieder fluchen: Die ersten F-16-Kampfjets kommen wahrscheinlich doch erst viel später. Und noch dazu weniger Maschinen als erhofft: von sechs Stück ist die Rede. Danach sollen noch einmal 20 Maschinen folgen. Lieferdatum: ungewiss.

Konstantin Krivolap ist überzeugt, dass das erste halbe Dutzend F-16-Kampfjets erst im Oktober oder November am ukrainischen Himmel erscheinen werde. Der ukrainische Analyst, der sich wiederholt zu Luftfahrtthemen äußert, hat jetzt gegenüber der Nachrichtenagentur Unian den Schuldigen ausgemacht: Jake Sullivan. Krivolap sagte: „Er glaubt, dass die Zeit noch nicht gekommen ist und die Ukrainer es zu eilig haben.“ Nach Krivolaps Meinung begründe sich die Verzögerung mit dem „Eskalationsmanagement“ von Sullivan.

Wann liefern die USA F-16-Kampfjets an die Ukraine?

Tatsächlich scheint „Eskalationsmanagement“ eine neue Konjunktur erfahren zu haben. Der Ukraine-Krieg habe die Weltordnung auf den Kopf gestellt, und die USA stünden vor der komplexen strategischen Herausforderung einer glaubhaften Abschreckung, analysiert Janice Gross Stein für das Henry A. Kissinger Center for Global Affairs. Vor allem liege die Schwierigkeit darin, ihre Unterstützung für die Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine deutlich zu machen, obwohl die beiden Länder keine gegenseitigen vertraglichen Verpflichtungen verbinden; anders als wenn die Ukraine ein Nato-Partner wäre. In den Monaten vor der Invasion hätte Washington die Abschreckungspolitik zum Schutze der Ukraine ausgeweitet, schreibt Gross Stein.

„Wenn es keine Regeln gibt, können Führungskräfte nicht wissen, wann ein scheinbar kleiner Schritt eine vage Schwelle überschreitet.“

„Es warnte Russland wiederholt davor, die Ukraine anzugreifen, und drohte mit schwerwiegenden Konsequenzen, sollte es dies tun. Die Abschreckung schlug dennoch fehl.“ Nach der Invasion hatte Washington dann sein Eskalationsmanagement anpassen müssen: bereit, die Ukraine zu unterstützen und gleichzeitig entschlossen, einen Krieg zwischen der Nato und russischen Streitkräften zu vermeiden. Krivolap betrachtet die Ukraine als „Geiseln“ dieses, wie er urteilt, „sogenannten“ Eskalationsmanagements. Ihm zufolge müsse die Ukraine nur genügend Waffen, Drohnen und Raketen besitzen, um dem Westen zu zeigen, wie die Eskalation mit Russland eingedämmt werden könne, wie er Unian gegenüber angeführt hat.

Nach Einführung der F-16-Kampfjets: Nach anfänglichem Zögern steigt Schweden gegen Putin ein

Zeitgleich kritisiert der Analyst das Hickhack zwischen den USA, Schweden und der Ukraine – der jüngste Nato-Partner hatte sich im Einvernehmen mit Präsident Wolodymyr Selenskyj gegen die Lieferung der schwedischen, eigenproduzierten JAS-39 Gripen-Kampfflugzeuge ausgesprochen, weil die gleichzeitige Lieferung der F-16-Jets eine Doppelung der Systeme bedeutet und die Ukrainer mit noch größeren logistischen Herausforderungen konfrontiert hätte. Jetzt berichtet das Magazin Armyrecognition davon, dass die Verhandlungen über die Lieferungen doch wieder angelaufen seien.

Laut Ihor Zhovkva führen die Ukraine und Schweden derzeit Gespräche über die Übergabe von Saab JAS-39 Gripen-Kampfflugzeugen an Kiew. Der stellvertretende Leiter des Büros des ukrainischen Präsidenten deutet an, dass seine Regierung um die Konsultationen gebeten hatte. „Für Schweden und seine Regierung gibt es nach der Einführung der F-16 keine Einschränkungen hinsichtlich dieser Gespräche. Die Entscheidung wurde von der ukrainischen Regierung getroffen, nicht von der schwedischen“, stellte Tobias Billström parallel klar, wie Armyrecognition schreibt.

Schweden setzte Pläne zur Gripen-Entsendung aus, um die Einführung der F-16 sicherzustellen

Laut dem Magazin habe Bilström jedoch angemerkt, dass Schweden weiterhin bereit sei, diese Flugzeuge an Kiew zu liefern. Die Gespräche zwischen der Ukraine und Schweden über die mögliche Überlassung schwedischer Gripen-Kampfflugzeuge hatten laut Armyrecognition im vergangenen Jahr begonnen. Stockholm habe in dem Zusammenhang angekündigt, „die Machbarkeit der Lieferung dieser Flugzeuge nach Kiew zu prüfen. Im Mai 2024 setzte Schweden seine Pläne zur Entsendung von Gripen-Kampfflugzeugen aus, um die erfolgreiche Einführung der F-16 sicherzustellen“, wie das Magazin schreibt.

Armyrecognition sieht aber die Verhandlungen noch ganz am Anfang stehen und orakelt von einer möglichen „weiteren Wendung in der Geschichte“. Das kann auch Böses bedeuten. Während des Nato-Gipfels in Washington D.C. hatte Selensky betont, „dass die Ukraine ständig auf Kampfflugzeuge ihrer Partner warte, während Russland täglich 300 Flugzeuge gegen die Ukraine einsetze“. Immerhin hat die Ukraine Erfolge vorzuweisen, wie Analyst Krivolap dem ukrainischen Online-Magazin Freedom gegenüber erklärte.

Russland gegen die Welt: Die Frage ist, wann Putin mit dem Rücken zur Wand steht

Trotz der 400 von der Russischen Föderation an der Front eingesetzten Flugzeuge verschiedenen Typs sei kaum anzunehmen, dass diese Zahl „effektiv genutzt werden kann“, wie er sagte – dazu beigetragen habe auch, dass die Ukraine die Besatzungen enorm ausgedünnt hätte. Auch daran könnte letztlich das Eskalationsmanagement ansetzen: Neben den Angriffen auf Nuklearstreitkräfte, auf russische Kommando- oder Infrastruktur im Weltraum oder „ein groß angelegter konventioneller Angriff“, könnte laut der russischen Militärdoktrin als existentielle Bedrohung angesehen werden, schreibt Janice Gross Stein.

Der Strauß an Fragen blüht üppig: „Wäre eine Niederlage der russischen Streitkräfte und ein Rückzug auf die Frontlinien vor ihrer Invasion der Ukraine eine strategische Niederlage? Wäre ein erfolgreicher ukrainischer Angriff auf die Krim eine solche Niederlage? Wäre eine militärische Niederlage auf dem Schlachtfeld, die eine ernsthafte Bedrohung des Überlebens des Regimes im Inland darstellt, eher ein Auslöser für eine Eskalation?“ Die Definition, so fürchtet sie, reklamiere Wladimir Putin ausschließlich für sich allein. Insofern könnte die Manifestation der Luftüberlegenheit durch Maschinen amerikanischer Bauart den Rückzug russischer Bodentruppen einleiten und eine Eskalation beschleunigen.

Mut gegen Vorsicht: Steckt hinter der verzögerten Lieferung von F-16-Kampfjets Absicht?

Über eine „existenzielle Bedrohung“ entscheidet Russland wahrscheinlich nach Gutdünken. Das hat ihrer Meinung nach unmittelbare Auswirkungen auf das Handeln aller beteiligten Akteure – möglicherweise wird unter dieser Prämisse auch das als zögerlich empfundene Handeln von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verständlicher: „Wenn es keine Regeln gibt, können Führungskräfte nicht wissen, wann ein scheinbar kleiner Schritt eine vage Schwelle überschreitet“, schreibt Gross Stein.

Laut dem Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg scheint hinter der verzögerten Lieferung tatsächlich Absicht zu stecken, wie die Agentur Unian meldet. Demnach sollen Ersatzteilschwierigkeiten und Sprachbarrieren zwischen ausländischen Ausbildern und ukrainischen Piloten erste Verzögerungen verursacht haben. Die Verbündeten befürchteten außerdem, dass die Ukraine nicht über genügend Landebahnen verfügt und die vorhandenen Landebahnen anfällig für russische Angriffe sind, so der Bericht.

Guter Wille gegen Realismus: Das Risiko für F-16-Lieferungen könnte zu hoch werden

Demnach sollen – entgegen anders lautender vorheriger Kommentare – die Schwierigkeiten solche Dimensionen angenommen haben, dass sogar der Sinn von Flugzeug-Lieferungen in die Ukraine an sich bezweifelt worden sein soll; die Quellen dieser Äußerungen bleiben aber vage. Die Adressaten der Äußerungen sollen auch angemerkt haben, dass die Lieferungen „ein zu kostspieliges Zeichen der Unterstützung für Präsident Wolodymyr Selenskyj sein könnten“, berichtet Unian.

Kostspielig kann bedeuten: zu teuer. Oder: doch zu riskant. Der russische Außenminister Sergej Lawrow lässt Letzteres erahnen. Gegenüber dem russischen Online-Magazin Lenta hat Lawrow angekündigt, die ankommenden F-16 als nukleare Bedrohung anzusehen; unabhängig davon, ob sie das seien oder nicht. „Nur ein Beispiel für eine äußerst gefährliche Wendung der Ereignisse sind die Pläne der USA, dem Kiewer Regime F-16-Kampfflugzeuge zu übergeben“, erklärte Lawrow gegenüber Lenta. „Wir haben die Atommächte USA, Großbritannien und Frankreich darüber informiert, dass Russland die Fähigkeit dieser Flugzeuge, Atomwaffen zu tragen, nicht ignorieren kann. Da helfen keine Zusicherungen.“

„Niemand glaubt so an unseren Sieg wie ich“, hat Präsident Selenskyj Ende 2023 laut dem Magazin Time gesagt – und damit möglicherweise genau ins Schwarze getroffen. (Karsten Hinzmann)

Auch interessant

Kommentare