Zivilcourage statt Beleidigung: Miesbacher geht gegen „antisemitische Hetze“ vor und wird freigesprochen
Ein Miesbacher wurde angeklagt, weil er auf Facebook einen Nutzer rassistisch beleidigt haben soll. Das Amtsgericht war anderer Auffassung: Der Mann habe mit Meinungsäußerungen auf Provokationen reagiert.
Miesbach – Weil er einen anderen Nutzer auf Facebook rassistisch beleidigt haben soll, saß ein 30-jähriger Miesbacher auf der Anklagebank im Amtsgericht. Er hatte den anderen Anwender öffentlich als „Antisemiten und Judenhasser“ bezeichnet und ihn in einem weiteren Kommentar aufgefordert, er solle „zu seinen Hamas-Freunden zurückgehen“, denn man wolle „hier kein Kalifat, keine Antisemiten, Massenmörder und Gruppenvergewaltiger, die minderjährige Mädchen missbrauchen“.
Sein Mandant sei konvertierter Jude, führte dessen Anwalt aus. Als solcher sei der Miesbacher sensibel gegen antijüdische Hetze und gegen Äußerungen, die dem Staat Israel das Existenzrecht absprechen. Das habe der andere Nutzer regelmäßig getan. Als Nachweis hatte der Anwalt einige Beispiele zusammengetragen. „Wir hätten hier ganze Bücher voll vorlegen können.“
Über die Identität dieses anderen Nutzers war nichts Näheres bekannt. Er hatte über ein Online-Portal der Polizei Strafanzeige gegen den Miesbacher erstattet. Seine Kommentare sprachen indessen eine deutliche Sprache. Darin behauptete der Urheber unter anderem, Israel sei kein Staat, sondern eine Verbrecherorganisation, zog Vergleiche zwischen dem Holocaust und dem Vorgehen Israels im Gaza-Streifen und verglich den Davidstern mit dem Hakenkreuz. Auch Verschwörungsmythen befanden sich darunter. Der Kläger höhnte über den Tod israelischer Soldaten und postete Bilder, auf denen Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit einem Messer im Kopf oder erhängt dargestellt wurde, zynisch kommentiert mit dem Ausspruch „I have a dream“.
Anderer Nutzer löschte seine eigenen Hasspredigten
Zwar sei diese Sammlung merklich größer als die dem Angeklagten angelasteten Aussagen, konstatierte Richter Walter Leitner. „Aber bloß, weil ein anderer Volkshetze betreibt, haben Sie noch lange kein Recht, das auch zu tun.“ Seine Kommentare seien nie gegen alle Palästinenser gerichtet gewesen, sondern nur gegen den Verfasser der Hasstiraden, erklärte der Angeklagte. Auch sei sein Profil nicht öffentlich einsehbar gewesen. Seine Posts seien aber auf dem öffentlichen Profil einer anderen Nutzerin sichtbar gewesen, die sich ebenfalls über die Hetzerei des Antisemiten entrüstet hatte.
Wie manipulativ dieser vorgegangen war, zeigte sich bei Verlesung des Screenshots, den er als Beweis seiner Anzeige beigefügt hatte. Die Abbildung zeigte nur die Kommentare des Miesbachers. Seine eigenen, schier endlosen Hasspredigten hatte er zuvor herausgelöscht, um den 30-Jährigen als Aggressor hinzustellen.
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Es sei nicht ersichtlich, dass die Kommentare nur gegen diese eine Person gerichtet gewesen seien, befand die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer. Sie forderte eine Geldstrafe. Sein Mandant habe Zivilcourage gegen antijüdische Hetze gezeigt, argumentierte der Verteidiger. Seine Aussagen seien durch das Recht der freien Meinungsäußerung gedeckt. Folglich sei er freizusprechen – was auch geschah. Erst in der Verhandlung habe sich der gesamte Kontext gezeigt, resümierte der Richter. Der Miesbacher habe auf die Provokationen des Nutzers reagiert und Meinungsäußerungen müssten nicht immer nett ausfallen. „Seien sie trotzdem vorsichtig mit solchen Äußerungen, nicht dass das mal anders endet“, mahnte er. stg