Russland spielt auf Zeit – „Trumps Persönlichkeit ist ein Instrument dafür“
Russland zögert ein Treffen zwischen Selenskyj und Putin wohl heraus. Unterdessen geht es auch um Sicherheitsgarantien. Sicherheitsexperte Rafael Loss im Interview.
Moskau – Die jüngsten Gipfeltreffen zum Ukraine-Krieg haben neue Dynamik in die Bestrebungen nach einem Ende des Kriegs gebracht: US-Präsident Donald Trump traf Russlands Präsident Wladimir Putin in Alaska. Daraufhin reisten der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und mehrere europäische Staats- und Regierungschefs nach Washington. Als Nächstes könnte auf Wunsch von Donald Trump ein direktes Treffen zwischen Selenskyj und Putin stattfinden – Kiew erklärt sich bereit, Moskau bleibt jedoch vage.
Mit den jüngsten Ukraine-Verhandlungen nahm auch die Debatte um Sicherheitsgarantien für die Ukraine an Fahrt auf. Kiew pocht seit langem darauf, dass solche Garantien essenziell für einen dauerhaften und stabilen Frieden seien. Verschiedene Szenarien stehen im Raum. Rafael Loss von der Berliner Denkfabrik „European Council on Foreign Relations“ erklärte im Gespräch mit fr.de von Ippen.Media, worauf es bei Sicherheitsgarantien ankommt – und an welchem Punkt die Verhandlungen über ein Ende des Ukraine-Kriegs gerade stehen.
Ukraine machte „sehr schlechte Erfahrungen mit Sicherheitsgarantien“
Herr Loss, welche Art von Sicherheitsgarantien bräuchte die Ukraine?
Historisch gesehen hat die Ukraine an verschiedenen Stellen sehr schlechte Erfahrungen mit Sicherheitsgarantien gemacht. Da kann man auf das Budapest-Memorandum von 1994 blicken, auf die Ergebnisse der Minsk-Verhandlungen 2014, 2015. Auch hat Russland bilateral ab den 90er Jahren die Grenzen der Ukraine nach 1991 anerkannt, auch die Besitzzugehörigkeit von Sewastopol und der Krim, mit einem Truppenstationierungsabkommen von 2010: Und dann das alles 2014 gebrochen.
Insofern muss aus Sicht der Ukraine etwas sehr Konkretes formuliert und dann aber auch materiell hinterlegt werden, was im Prinzip dann nicht so weit weg ist von einem Verteidigungspakt oder Beistandsabkommen, wie das in der EU oder auch in der Nato vertraglich geregelt ist. Und das muss dann eben auch materiell hinterlegt werden.
Gibt es eine realistische Chance auf eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine?
Ich will es nicht ausschließen, dass das irgendwann der Fall sein könnte. Aber ich glaube, aktuell deutet darauf sehr, sehr wenig hin. Und das liegt ja nicht nur an den USA unter Donald Trump, sondern auch schon unter Joe Biden.
Sicherheitsgarantien für die Ukraine: Nato-ähnliches Schutzversprechen?
Jetzt ist unter anderem ein Nato-ähnliches Schutzversprechen im Gespräch, der Nato-Beistandsklausel nachempfunden. Wie beurteilen Sie das?
Das ist grundsätzlich völlig in Ordnung, wenn man da auf einen grünen Zweig kommt und das materiell hinterlegen kann. Man ist aber in den Definitionsfragen noch relativ weit voneinander weg: zwischen der Ukraine, der Europäischen Union auf der einen Seite, den Vereinigten Staaten auf der anderen Seite und Russland auf der dritten Seite.
Die russische Vorstellung ist natürlich eine, die ein russisches Veto in der ganzen Frage vorsieht, also dem Aggressor potenziell die Möglichkeit geben würde, jedwede Intervention von außen zu seinen Ungunsten zu verhindern. Das ist für die Ukraine nicht hinnehmbar, denn es geht ja konkret um den Schutz vor Russland.
Kann man die russische Perspektive zu Sicherheitsgarantien bei Verhandlungen über ein mögliches Abkommen denn völlig ausklammern?
Natürlich kann man das im Kontext von Verhandlungen, an denen Russland beteiligt ist, als Kriegspartei, als Aggressor, nicht außen vor lassen, wenn es darum geht, am Ende einen gerechten, nachhaltigen Waffenstillstand und dann einen Friedensschluss zu schaffen.
Aber das ist noch alles sehr weit weg. Da müssen viele Schritte vorher gegangen werden, inklusive überhaupt die Grundvoraussetzungen zu schaffen, dass Russland bereit wäre, sich ernsthaft an den Verhandlungstisch zu setzen. Nichts, was Wladimir Putin in den letzten Wochen und Monaten gesagt hat, deutet in irgendeiner Weise darauf hin. Mit der kategorischen Absage, einen Waffenstillstand vor substanzielle Verhandlungen zu vereinbaren, will sich Russland die Möglichkeit bewahren, Verhandlungen zu verzögern, um dann mit militärischen Mitteln Fortschritte zu erzielen.
Ukraine-Verhandlungen: Trumps Herangehensweise als „Instrument, Verzögerungen zu befördern“
Es geht Russland also darum, Zeit zu schinden?
Genau. Und auch die Persönlichkeit und die Art und Weise, wie Donald Trump an solche Deals herangeht, ist ein Instrument dafür, eben diese Verzögerung zu befördern. Denn wirklich die Daumenschrauben bei Putin anzulegen, davor hat Donald Trump trotz aller Deadlines und Androhungen immer zurückgeschreckt.
Was wären denn „Daumenschrauben“, die Donald Trump anlegen könnte?
Natürlich könnte man über eine Verschärfung des Sanktionsregimes nachdenken. Man könnte auch seitens der USA darüber nachdenken, tatsächlich wieder Waffenhilfen zu finanzieren und freizugeben, über das hinausgehend, was den aktuellen Mechanismus betrifft. Und es könnte natürlich eine rhetorische Änderung geben. Also nicht das, was Joe Biden lange Zeit angetrieben hat, um jeden Preis eine direkte Konfrontation zu vermeiden, sondern bewusst in eine Konfrontation zu gehen.
Jetzt hat Donald Trump Wladimir Putin und dann Wolodymyr Selenskyj zusammen mit den Europäern getroffen. Wo steht man derzeit im Verhandlungsprozess?
Donald Trump ist derjenige, der das alles in Bewegung bringt in einer desorientierenden Art und Weise. Da ist schon eine enorme Dynamik drin, und sowohl Russland als auch die Europäer und die Ukraine sind bemüht, das in gewisse Bahnen zu lenken – entsprechend ihrer jeweiligen Interessen.
Auf russischer Seite dahingehend, dass man die grundsätzlichen Fragen – die „tieferliegenden Konfliktursachen“, wie Russland das nennt – an erste Stelle setzt, um damit zu verhindern, dass es überhaupt zu einem Waffenstillstand entlang des jetzigen Frontverlaufs kommt und man weiterhin militärisch Fortschritte erzielen kann. Die Äußerungen von Sergej Lawrow auf russischer Seite deuten genau darauf hin: Dass man Tempo rausnehmen will und sich erst mal ganz gemächlich bei den grundlegenden Dingen einigen sollte, bevor man dann tatsächlich auch über ein Treffen zwischen Putin, Trump und Selenskyj nachdenken könnte. Die Europäer und die Ukraine würden die Frage eines Waffenstillstands und danach vielleicht auch einer europäischen Sicherheitsordnung insgesamt vorziehen.
Donald Trump setzt die Wegmarke und die Zeit, in der das zu erreichen ist. Es scheint ihn in der Vergangenheit aber auch nicht gestört zu haben, wenn das dann verläuft. Und da einzuschätzen, ob eine grundsätzliche Dringlichkeit besteht oder einfach nur eine performative Dynamik und Geschwindigkeit erzeugt wird durch Donald Trump, das kann ich nicht abschließend beurteilen. Zu einer Änderung der russischen Verhandlungsposition hat das alles bislang jedenfalls nicht geführt.
Verhandlungen im Ukraine-Krieg: Putin hat Selenskyj-Treffen „immer wieder ausgeschlagen“
Wenn Russland auf Zeit spielt; rechnen Sie dann mit einem Treffen zwischen Selenskyj und Putin?
Irgendwann wird das sicherlich stattfinden. Aber die Frage ist, zu welchem Zeitpunkt das stattfindet. Vorschläge dahingehend gab es immer wieder und auch die Bereitschaft Wolodymyr Selenskyjs. Auch im Kontext der Istanbuler Verhandlungen kam das am Rande auf, dass man aus ukrainischer Sicht gerne bereit wäre, weiterführende Gespräche zu führen.
Das hat Wladimir Putin über die vergangenen dreieinhalb Jahre immer wieder ausgeschlagen, weil er einerseits natürlich Wolodymyr Selenskyj überhaupt nicht als legitimen Repräsentanten der Ukraine sieht und insofern mit so einem Treffen ihn natürlich legitimieren würde.
Das Treffen zwischen Putin und Trump hat gezeigt, dass ein ausgebildeter KGB-Agent sehr viel besser in der Lage ist als demokratische Staatsoberhäupter, Donald Trump zu manipulieren.
Für wen wäre es von Vorteil, wenn Donald Trump bei einem solchen Treffen dabei wäre?
Das ist wie ein Münzwurf. Man ist aus europäischer Sicht eigentlich alliiert mit Donald Trump, aber man kann sich dessen nicht sicher sein. Deswegen wird enorm viel Zeit auf europäischer Seite investiert, sich im Vorgang vor jedem Gespräch mit Trump zunächst untereinander abzustimmen, eine gewisse Choreografie zu organisieren. Aber ich glaube, das Treffen zwischen Putin und Trump hat gezeigt, dass ein ausgebildeter KGB-Agent sehr viel besser in der Lage ist als demokratische Staatsoberhäupter, Donald Trump zu manipulieren.
Internationale Truppen zur Friedenssicherung in der Ukraine: Experte rechnet nicht mit Nato-Mission
Aktuell wird neben einem möglichen Treffen auch der Einsatz von internationalen Truppen zur Friedenssicherung in der Ukraine diskutiert. Was halten Sie hier für eine realistisch umsetzbare Option?
Ein russisches Veto ist eigentlich schon ein Ausschlusskriterium für Überlegungen, das Ganze im Kontext der Vereinten Nationen oder der OSZE zu organisieren, denn in beiden Formaten wäre Russland maßgeblich an jeder Entscheidung beteiligt. Aus den genannten Gründen ist es also keine UN-Mission und auch keine Nato-Mission. Es könnte also eine Koalition der Willigen sein, die vor allem über europäische Beiträge, gestützt von den Vereinigten Staaten, Truppen in der Ukraine stationiert.
Was man nicht erwarten darf, ist, dass mehrere Zehntausend europäische Soldaten in der Ukraine auftauchen. Wenn man sich alleine anschaut, wie die Bundeswehr damit kämpft, die Brigade in Litauen aufzusatteln – viel mehr kann die Bundeswehr dann auch letztendlich nicht leisten. Aber auf der Ebene darunter: Ausbildungsmaßnahmen in den westlichen Teil der Ukraine zu verlegen, Beratungsmaßnahmen im größeren Umfang durchzuführen, logistische Unterstützung zu bieten und dann aber auch zum Beispiel Marineverbände in das Schwarze Meer zu bringen oder Luftwaffenverbände auf Flugplätze in der Westukraine. Das sind sicherlich Maßnahmen, die im Verbund mit den anderen Europäern sehr viel einfacher wären.
Die Stiftung Wissenschaft und Politik schreibt in einer Analyse, dass Nato-Truppen in der Ukraine als Nicht-Nato-Staat den Schutz des Bündnisses schwächen könnten. Wie sehen Sie das?
Man kann das Ganze sehr aus einer legalistischen Perspektive sehen und eine klare Trennlinie ziehen zwischen Nato-Territorium und Nicht-Nato-Territorium. Ich kann aber auch der Idee etwas abgewinnen, dass man schon ein bisschen auf dem Weg ist, als Ukraine und Europa eine Art Schicksalsgemeinschaft gegen das imperiale Russland zu bilden.
Wenn man sich aus europäischer Sicht nicht mehr auf die Vereinigten Staaten verlassen kann, dann fehlt plötzlich ein gewaltiger Teil der Fähigkeiten zur Abschreckung gegenüber Russland. Wenn man dann zu einem gewissen Grad die größte und kampferfahrenste Armee Europas in seinen Reihen weiß, nämlich die Ukraine, dann kann das trotz aller Herausforderungen einen gewissen Grad an Vertrauen schaffen. Das sind diejenigen Soldaten, die am ehesten wissen, wie Russland kämpft, wie rapide die technologischen Entwicklungen die Kriegsführung in den letzten Jahren vorangetrieben hat. Insofern würden europäische Streitkräfte auch in Kooperation mit der Ukraine profitieren.