„Russisches Gesetz“ erschüttert Georgien – „Man ist nun eine Eskalationsstufe höher“

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In Georgien protestierten Zehntausende gegen ein Gesetz nach Kreml-Façon. Eine Eskalation könnte drohen, sagt ein deutscher Experte IPPEN.MEDIA.

Tiflis/München – Eine EU-Flagge im Beschuss der Wasserwerfer, Feuer auf den Straßen, Kampf um einen Parlamentsnebeneingang: Aus Georgiens Hauptstadt Tiflis kamen am späten Mittwochabend teils beunruhigende Bilder. Zehntausende Menschen waren auf die Straße gegangen – um ein nach russischem Vorbild gestricktes Gesetz zu verhindern. Erfolglos: Das Parlament billigte in zweiter Lesung die neuen Bestimmungen zu „ausländischer Einflussnahme“.

Im Kern stehen zwei Fragen. Eine weltpolitische und eine für die Menschen im Land: Nähert sich der EU-Beitrittskandidat Georgien nun, just im laufenden Ukraine-Krieg, Russland an? Und werden der Regierung kritisch gesinnte Georgierinnen und Georgier künftig Repressionen fürchten müssen? Offen ist aber nicht zuletzt auch, ob sich der aktuelle Konflikt um das Gesetz weiter zuspitzt. Eine Eskalation in den kommenden Tagen, Wochen oder auch Jahren sei „nicht auszuschließen“, sagte Stephan Malerius, Programmleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Tiflis, im Gespräch mit IPPEN.MEDIA.

Georgiens Regierung trickst, Polizei greift zu harten Mitteln – Stimmung in Tiflis „sehr, sehr angespannt“

Bereits vier Tage in Folge habe Tiflis massive Proteste und Kundgebungen erlebt, berichtet Malerius – darunter auch eine von der Regierung inszenierte Veranstaltung am Montag, zu der „unter Zwang“ Menschen aus dem ganzen Land in Minibussen herangefahren wurden: „Die mussten dann vor dem Parlament stehen, um Reden zu hören.“ Seit Dienstag seien wieder die Kritiker des Gesetzes auf den Straßen. Und seit Mittwoch habe das Geschehen eine „neue Qualität“.

Eine Demonstrantin mit EU-Flagge am Mittwochabend in Georgiens Hauptstadt Tiflis – Zehntausende protestierten gegen einen „prorussischen“ Kurs.
Eine Demonstrantin mit EU-Flagge am Mittwochabend in Georgiens Hauptstadt Tiflis – Zehntausende protestierten gegen einen „prorussischen“ Kurs. © Zurab Tsertsvadze/picture-alliance/dpa/AP

„Nun setzt die Polizei Tränengas, Wasserwerfer und auch Gummigeschosse ein“, sagt Malerius, Leiter des Regionalprogramms „Politischer Dialog Südkaukasus“ der KAS. „Man ist jetzt eine Stufe, eine Eskalationsspirale, höher. Aber die Proteste werden weitergehen, es wird heute Abend auch weiter protestiert werden.“ Die Stimmung sei „sehr, sehr angespannt“, geradezu „aufgeladen“.

Dabei sei der Wunsch der Georgierinnen und Georgier nach Annäherung an die EU seit 20 Jahren mehr oder minder konstant.  Auch Umfragen zeigten, dass „über 80 Prozent der Menschen in die EU wollen“. Durch die Gesetzespläne habe eine neue Spannung die Öffentlichkeit erfasst. Am Mittwoch seien Menschen in Fahrgemeinschaften nach Tiflis gereist. Im Gespräch seien aber nun auch Aktionen im restlichen Land – etwa in Form von Straßenblockaden.

Russland übt Einfluss in Georgien aus: Gesetz soll „Spaltung säen und von EU entfernen“

Das fragliche Gesetz soll „ausländische Einflussnahme“ offenlegen – in einer früheren Fassung war gar von „ausländischen Agenten“ die Rede, analog zu einem in Russland gültigen Gesetz. Die Regierung spricht von neuer „Transparenz“, Kritikerinnen und Kritiker fürchten Verfolgung für Oppositionelle und auch prowestliche Kräfte.

Malerius zufolge ermöglichen die Pläne vor allem Kontrolle über die Zivilgesellschaft, insbesondere über große NGOs. Tatsächlich sei die einzige plausible Erklärung für den Vorstoß aber Einflussnahme aus Russland. Ziel Moskaus sei es, „Spaltung zu säen und Georgien von der EU zu entfernen“. Werde das Gesetz in Kraft gesetzt, könne sich Georgien „von Beitrittsverhandlungen verabschieden“. Nominell wolle die Regierungspartei „Georgischer Traum“ um ihren schwerreichen Strippenzieher Bidsina Iwanischwili zwar weiter in die EU – aber de facto mache sie „alles, um das zu torpedieren“.

Proteste gegen „russisches Gesetz“ in Georgien „nur ein Vorgeschmack“?

Beschlossen ist das Gesetz noch nicht – eine dritte Lesung ist noch notwendig. Anzeichen für einen Kurswechsel der Regierung gibt es indes nicht, Malerius geht davon aus, dass das „russische Gesetz“ Realität wird. Abzuwarten bleibe dann noch, inwieweit es tatsächlich Sanktionen oder Repressionen gibt.

Weitere Zusammenstöße seien in dieser Lage denkbar. „Es kann sein, dass das nur ein Vorgeschmack war, auf das, was da kommt“, befürchtet Malerius mit Blick auf die jüngsten Ereignisse in Tiflis, „eine Eskalation schließe ich nicht aus“. Klar sei: „Das wäre sehr schlecht und schlimm für das Land.“ (fn)

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