Putins neue Atom-Agenda? Russland könnte heiklen „Ausnahmefall heraufbeschwören“
Russland hat dem Westen im Zuge des Ukraine-Kriegs wiederholt mit dem Einsatz von Atom-Waffen gedroht. Jetzt leitet Putin eine neue Phase ein. US-Experten warnen.
Moskau/Hanoi - Seit Beginn des Ukraine-Kriegs haben Vertreter Russlands den Westen immer wieder mit teils drastischen Worten vor seinen eigenen Atom-Waffen gewarnt. Es sind Erinnerungen an düstere Zeiten des Kalten Krieges, die sich aufdrängen. Allerdings betonte man in Russland stets zu seiner Militär-Doktrin in Sachen Atom-Waffen zu stehen. Doch genau diese will Wladimir Putin nun offenbar ändern. Die nächste Eskalationsstufe im atomaren Säbelrasseln droht.
Die bisher gültige russische Atomdoktrin besagt, dass Moskau nur in zwei Fällen Atomwaffen verwenden darf: im Falle eines atomaren Angriffs auf Russland oder wenn ein Angriff mit konventionellen Waffen die Existenz des Landes gefährdet. Bisher hatte auch Präsident Wladimir Putin immer wieder betont, zu dieser seit langem gültigen Doktrin zu stehen. Während etwa der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew den Westen vor einem Atom-Schlag warnte, konnte Putin mit dem Verweis auf die Doktrin besänftigen und sich als vernünftigen Gesprächspartner darstellen.
Putins neues atomares Säbelrasseln: Russland will Nuklear-Doktrin ändern
Doch die vage Definition hat einige Hardliner in Russland dazu bewegt, den Kreml zu einer Verschärfung der Doktrin zu drängen, um den Westen zu nötigen, die Warnungen ernster zu nehmen. Diesem Ruf scheint der russische Präsident nun offenbar nachkommen zu wollen. Oder zumindest spielt er öffentlich mit dem Gedanken.
Putin begründet diesen möglichen Schritt mit einer angeblich niedrigeren Hemmschwelle westlicher Staaten beim Einsatz von Atomwaffen. „Speziell werden atomare Bomben mit geringer Sprengkraft entwickelt“, sagte der Kremlchef am Donnerstag (19. Juni) bei einer Pressekonferenz in Hanoi zum Abschluss seines Vietnam-Besuchs. Westliche Experten sähen in der Nutzung solch sogenannter Mini-Nukes nichts Schlimmes, wie Russland erkannt habe. „Damit hängt auch meine Erklärung darüber zusammen, dass wir über mögliche Veränderungen in unserer Strategie nachdenken.“

Russland droht mit Atom-Waffen: Putin könnte „Ausnahmefall“ heraufbeschwören
Putin „beschwört im Rahmen seiner Informationskampagne weiterhin nukleare Drohungen, um weitere westliche Unterstützung für die Ukraine zu verhindern“, schreibt dazu der US-Think-Tank „Institute for the Study of War“. Am 21. Juni, also einen Tag nach seinem Auftritt in Hanoi, behauptete Putin demnach bei einer Rede vor russischen Offizieren, dass Russland plane „seine nukleare Triade als ‚Garantie der strategischen Abschreckung‘ (...) weiterzuentwickeln“, so der ISW weiter.
In Hanoi hatte Russlands Präsident damit gedroht, die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen in der Nukleardoktrin zu senken. Und zwar auch, weil eine mögliche strategische Niederlage von Russlands Armee im Ukraine-Krieg das Ende der Staatlichkeit Russlands bedeuten würde.
Laut ISW stellt Putin damit „fälschlicherweise“ die Niederlage im Ukraine-Krieg mit einer existenziellen Bedrohung des russischen Staates gleich. Damit könnte er versuchen, einen heiklen „‘Ausnahmefall‘ heraufzubeschwören, in dem die bestehende russische Nukleardoktrin den Einsatz von Atomwaffen erlauben würde“.
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In der Rede vor den russischen Offizieren sieht der ISW die Fortsetzung einer Informationskampagne Putins. Diese habe das Ziel, die Bemühungen des Westens zu sabotieren, ein gemeinsames strategisches Ziel zu entwickeln, wie man Russland im Ukraine-Krieg „entscheidend besiegen“ könne.
Die Bedrohung durch eine nukleare Eskalation ist laut den Experten „ein zentraler Aspekt der Fähigkeit Russlands, ausländische Entscheidungsträger zu manipulieren“. Aufgrund der konventionellen und nuklearen Abschreckung sei es allerdings „höchst unwahrscheinlich, dass es zu einer tatsächlichen nuklearen Eskalation kommt“, so der ISW abschließend. (rjs mit dpa)