Kommentar von Carsten Fiedler - Ego-Trips der Ampel-Spitzen: Es ist Zeit für eine Entscheidung, und zwar jetzt
Deutschland elf Monate vor der Bundestagswahl: Die deutsche Wirtschaft rutscht in die Rezession. Große Teile der Industriebetriebe stecken in der Krise, Unternehmen planen massiven Arbeitspatzabbau oder drohen sogar abzuwandern.
Die Antwort der Ampel-Spitzen darauf? Statt eines gemeinsamen Vorgehens sind nur unabgestimmte Vorstöße, Frust und offene Schuldzuweisungen zu hören.
Armutszeugnis für taumelndes Regierungsbündnis
Kanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zeigen gerade überdeutlich: Sie können nicht mehr miteinander.
Längst wird nicht mehr nur hinter verschlossenen Türen übereinander gelästert, sondern auch öffentlich und unverhohlen gestritten und kritisiert. Ein Armutszeugnis für das taumelnde Regierungsbündnis.
Schon länger fordern SPD-Parteichef Lars Klingbeil und andere prominente Sozialdemokraten von Scholz, das Thema Wirtschaft und Industriearbeitsplätze zur Chefsache zu machen.
Im Hinblick auf die SPD-Kernwählerschaft müsse der Kanzler endlich auch als Macher und nicht nur als Moderator einer zerschlissenen Koalition auftreten. Das hat Scholz sich nun offenbar auch vorgenommen. Am Dienstag empfängt er Industriegrößen und Gewerkschaftschefs.
Was für ein Zirkus
Die Antwort des Finanzministers kam prompt. Christian Lindner, kalt erwischt von den Plänen des Kanzlers, lud flugs zum Gegen-Gipfel - ein paar Stunden früher als Scholz.
Gemeinsam mit FDP-Fraktionschef Christian Dürr will Lindner sich mit Spitzenvertretern der deutschen Wirtschaft im Reichstagsgebäude treffen.
Die beiden Spitzen-Liberalen machen keinen Hehl daraus, dass sie den Ansatz des Kanzlers für unzureichend halten: „Aus unserer Sicht ist das Gespräch mit der deutschen Wirtschaft insgesamt und nicht nur mit Vertretern einzelner industrieller Branchen nötig“. Was für ein Zirkus. Und ein Affront in Richtung des Kanzlers.
Finanzminister gibt den Party-Crasher
Das Land schlittert gerade in einen gefährlichen wirtschaftlichen Abwärtsstrudel – und die Ampel schafft es noch nicht einmal, sich auf gemeinsame Ansätze und Gegenmaßnahmen zu verständigen.
Der Kanzler spricht nur mit den Konzernen und Gewerkschaften. Der Finanzminister gibt den politischen Party-Crasher. Und auch der grüne Wirtschaftsminister spielt nur noch auf eigene Rechnung.
Einen Tag vor dem erwartbaren Tiefschlag der Steuerschätzung, nach der Bund, Länder und Kommunen im kommenden Jahr mit 12,7 Milliarden Euro weniger auskommen müssen, trat Habeck die Flucht nach vorne an.
Der Spitzen-Grüne brachte einen „Deutschlandfonds“ als Sondertopf außerhalb des offiziellen Haushalts ins Spiel, in dreistelliger Milliardenhöhe, offenkundig finanziert durch neue Schulden.
Spitzen von SPD, Grünen und FDP leisten weiteren Offenbarungseid
Der Wirtschaft also erst mit hohen Steuern Geld entziehen, um es dann trotz bestehender Schuldenbremse über einen Staatsfonds umzuverteilen?
Das kann getrost als eine Provokation der anderen Ampelpartner und ein vorgezogenes Wahlkampfmanöver Habecks gesehen werden. Entsprechend keilte Lindner zurück und warf seinem Ministerkollegen „konzeptionelle Hilflosigkeit“ vor. Er könne „finanzpolitisch nicht reparieren, was die Wirtschaftspolitik versäumt“.
Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP leisten gerade einen weiteren Offenbarungseid, der zu massiver Verunsicherung führt. Zu einem Zeitpunkt, an dem die von Wirtschaftsexperten schon oft beschworene, von vielen Ampel-Politikern aber als Hirngespinst abgetane Deindustrialisierung in Deutschland Fahrt aufnimmt.
In einer der schwersten Wirtschaftskrisen nach dem Zweiten Weltkrieg wäre es eigentlich die Aufgabe der Regierung, Investitions-und Planungssicherheit so gut es geht herzustellen.
Alle drei haben Koalition längst abgeschrieben
Doch davon ist diese Blockade-Ampel nach den Ego-Trips ihrer wichtigsten Vertreter weiter denn je entfernt. Scholz, Habeck und Lindner versuchen nicht einmal mehr, einen gemeinsamen Plan zu entwickeln. Im Gegenteil: Sie erklären sich gegenseitig auf offener Bühne, wie falsch sie liegen.
Die Ampel-Spitzen sind ganz offenbar am Ende einer Entwicklung angekommen. Sollte es anfangs noch Vertrauen gegeben haben, so ist das nun komplett verschwunden.
Faktisch haben alle drei diese Koalition längst abgeschrieben. Bis zur Bundestagswahl in elf Monaten drohen Dauerwahlkampf und Blockade-Politik. Das aber kann sich das Land angesichts seiner Dauerkrisen nicht leisten!
Ampel braucht keinen „Herbst der Entscheidungen“ mehr
Der Absturz in der Wählergunst ist schon jetzt beispiellos. Noch nie wurde die Politik eines Regierungsbündnisses von der breiten Mehrheit der Gesellschaft so stark abgelehnt.
Das fängt beim weithin empfundenen Kontrollverlust bei der Migration an und hört bei unzureichenden Maßnahmenpaketen gegen die Wirtschaftsflaute auf.
Laut einer Allensbach-Umfrage von Mitte September glauben nur noch kümmerliche drei Prozent der Befragten, dass die Ampel gut für Deutschland sei.
Es wäre ein Dienst an der Demokratie, wenn diese zerfallende Ampel-Regierung nicht noch ein Jahr dahinsiecht. Und stattdessen nach der Aufstellung eines tragfähigen Haushalts für 2025 noch im November den Weg für Neuwahlen im Frühjahr frei macht.
Einen „Herbst der Entscheidungen“, wie Lindner ihn angekündigt hat, braucht die Ampel in diesem Zustand nicht mehr.