Physiker spricht über Folgen übertriebener Beleuchtung in der Nacht: „Ja sind wir denn verrückt geworden?“

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Hübsch anzusehen, aber ein Problem für die Natur: Das immer größer werdende Lichtermeer in den Städten und auf dem Land – hier ein Blick vom Olympiaturm auf München. © Mauritius Images/Benjamin Engler (Archiv)

Physiker Manuel Philipp schlägt Alarm: Die Himmelshelligkeit nimmt immer weiter zu. Besonders für Tiere hat das Konsequenzen.

Reichersbeuern – Alle acht Jahre verdoppelt sich die Himmelshelligkeit auf der Erde. Menschen kommen damit einigermaßen gut zurecht – sie ziehen einfach den Vorhang zu, wenn sie schlafen wollen. Dramatisch seien die Folgen der Lichtverschmutzung aber für die Tiere, erläuterte der Physiker Manuel Philipp in seinem Vortrag im Reichersbeurer Altwirt, zu dem der CSU-Ortsverband eingeladen hatte. Philipp zeigte auch auf, wie man mit wenig Aufwand die Beleuchtung umweltgerechter gestalten kann.

Experte: Weltweit gibt es keinen Ort mehr mit einer natürlichen Himmelshelligkeit

Philipp ist Geschäftsführer der gemeinnützigen Organisation „Paten der Nacht“ und mehrfacher Umweltpreisträger. Der Physiker aus Rimsting führt den „Licht-Wildwuchs“ in erster Linie darauf zurück, dass die Lichterzeugung extrem billig geworden ist – 6000 Mal billiger als vor 150 Jahren. Zugleich seien die Leuchtmittel viel effizienter geworden – mit einem Watt lasse sich nun 1400 Mal mehr Licht erzeugen.

Als Konsequenz gebe es beispielsweise im New York eine „Lichtglocke“ mit einem Radius von 800 Kilometern. Auf dem ganzen Planeten gebe es keinen einzigen Ort mehr mit einer natürlichen Himmelshelligkeit. Zugleich gebe es kaum Gesetze und Sensibilität für das Thema Licht in der Nacht: „Wenn man nachts auf der Straße Schlagzeug spielt, dauert es nicht lange, bis sich die Nachbarn bei der Polizei beschweren. Wenn man ein Flutlicht auf die Straße stellt, passiert nichts.“

Referierte zwei Stunden lang über das Thema Lichtverschmutzung: Der Physiker Manuel Philipp (li.) im gut gefüllten Saal des Reichersbeurer „Altwirt“. Von Lichtglocken über Ballungsgebieten werden zum Beispiel auch Zugvögel vom richtigen Weg abgebracht und kreisen orientierungslos um Großstädte.
Referierte zwei Stunden lang über das Thema Lichtverschmutzung: Der Physiker Manuel Philipp (li.) im gut gefüllten Saal des Reichersbeurer „Altwirt“. Von Lichtglocken über Ballungsgebieten werden zum Beispiel auch Zugvögel vom richtigen Weg abgebracht und kreisen orientierungslos um Großstädte. © Patrick Staar

Gerade Tiere hätten unter der Lichtverschmutzung zu leiden: „Sie haben keinen Schalter, mit dem sie ein Rollo runtermachen können.“ Bei Vögeln sorge das nächtliche Licht für einen erhöhten Stoffwechsel und einen größeren Futterbedarf. Gibt es – etwa im Winter– nicht genügend Nahrung, werde ihr Immunsystem geschwächt, und die Vögel werden anfälliger für Krankheiten. Zugvögel würden durch die Lichtglocken vom richtigen Weg abgebracht, erläuterte der Physiker: „Sie kreisen im Schwarm um Großstädte, bis es am nächsten Tag wieder hell wird.“

Insekten leiden unter Lichtverschmutzung: „Umkreisen Lampen bis zum Erschöpfungstod“

Noch übler ergeht es Insekten, die sich nachts vermutlich an den Himmelsgestirnen orientieren würden und durch die Lampen orientierungslos sind: „Sie umkreisen die Lampen bis zum Erschöpfungstod.“ Falter würden durch das Licht so „Balla-Balla“, dass ihr Abwehr-Mechanismus gegen Fledermäuse nicht mehr funktioniert. Es gebe Schätzungen, wonach das nächtliche Licht jedes Jahr für 500 Milliarden tote Insekten sorgt. Aale und Lachse würden beleuchteten Brücken als natürliche Barriere erachten und nicht unter ihnen hindurchschwimmen.

Die Lichtverschmutzung habe aber nicht nur Auswirkungen auf die Tiere, sondern auch auf Pflanzen. Jede zehnte Straßenlaterne sei in einen Baum eingewachsen. „Durch das Licht ist für sie ewiger Sommer. Wenn der Frost kommt, haben sie noch Wasser in den Zweigen, und es kommt zum Frostschaden.“

Physiker empfiehlt gelbliches statt bläuliches Licht

Philipp sieht eine Vielzahl an Verbesserungsmöglichkeiten. So müssten sich die Baumpflanzungsplaner mit den Straßenbeleuchtungsplanern absprechen. Wichtig sei die Wahl des richtigen Leuchtmittels. So würden beispielsweise LED-Reflektorlampen verhindern, dass ein Großteil des Lichts nach oben in die Atmosphäre gestreut wird. Zudem empfahl der Physiker, gelbliches statt bläuliches Licht einzusetzen – damit komme ein Großteil der Insekten besser zurecht.

Philipp empfahl in seinem Vortrag, auch die Straßen-Beleuchtung zu überdenken. Jeder sei schon mal bei Vollmond spazieren gegangen und habe sich gewundert, wie hell es draußen ist. Vollmond sorge für eine Beleuchtungsstärke von 0,2 Lux. Unter Laternen in Wohnstraßen habe er schon bis zu 15 Lux gemessen: „Das entspricht 75 Vollmonden“, sagte Philipp. „Ja sind wir denn komplett wahnsinnig geworden?“

Bundesregierung fördert Umrüstung der Straßenbeleuchtung auf LEDs

Die Bundesregierung fördere die Umrüstung der Straßenbeleuchtung mit LEDs. Das Problem sei, dass diese neuen Lampen im Normalfall auf die unnötig hohen alten Masten montiert werden. Würde die Höhe der Masten von acht auf vier Metern reduziert, könnte man laut Philipp LEDs mit einer viel niedrigeren Wattzahl einsetzen. Technisch sei dies kein Problem, da auch das LED-Licht in die Breite ziehen lässt.

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Großes Einsparpotenzial sieht Philipp auch an anderen Orten. Parkplätze von Einkaufszentren würden nachts oft mit 200 Lux bestrahlt, was 1000 Vollmonden entspricht: „Wenn da ein Einbrecher unten durchgeht, verdampft er wahrscheinlich“, merkte Philipp sarkastisch an.

„Bei der Lichtverschmutzung kann man schnell was ändern, ohne dass es jemandem schlechter geht“

Es gebe keinerlei Hinweise, dass mehr Beleuchtung für mehr Sicherheit sorgt, im Gegenteil. So habe eine Befragung ergeben, dass eine gute Beleuchtung Einbrechern die Arbeit erleichtert, da sie dann keine Taschenlampen einsetzen müssen. Ein hell beleuchtetes Haus sage den Einbrechern: „Hallo, hier gibt’s was, hier lohnt es sich einzubrechen.“ Keine einzige Versicherung habe in ihren Vertragsbedingungen daher eine Beleuchtungspflicht festgelegt.

Ein Drittel des Nachts eingesetzten Lichts werde momentan vergeudet, sagte der Physiker. Allein in Deutschland ließen sich pro Jahr 20 Milliarden Euro Energiekosten und mehrere Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen. Philipp: „Bei der Lichtverschmutzung kann man schnell und einfach was ändern, ohne dass es irgendjemandem schlechter geht – deshalb finde ich das Thema so cool.“

Es gebe einige Unterstützer der „Paten der Nacht“. So hätten sich bereits 400 Firmen bereit erklärt, ab 22 Uhr ihre Werbebeleuchtung auszuschalten. (pr)

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