Sie wissen es – doch sie sagen es nicht
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
ich möchte Sie heute Morgen auf eine kleine Zeitreise mitnehmen. Sie geht zurück in den Sommer 2022. In eine Zeit, als sich alle Sorgen machten, wie die hohen Energiepreise bewältigt werden können. Horrorszenarien geisterten durch die Zeitungen und von dort in die Gespräche an den Wohnzimmertischen der Republik: Wie sehr wir bald frieren würden, dass Heizen ein Luxusgut werden könnte und das ganze Land wegen der Energiepreise vor dem Kollaps stünde. Ein Abgrund tat sich auf.
Doch dann, Ende September, traten Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) vor die Presse. Sie verkündeten die große Beruhigung, dieses Mal in Form einer Strom- und Gaspreisbremse. Scholz sprach von einem "Doppel-Wumms". Der Abgrund, der sich aufgetan hatte – er wurde einfach mit Geld zugeschüttet.
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Es war die typische Reaktion der Ampelkoalition, in der alle Parteien alles bekamen. Das große Geldausgeben bildete das Fundament der Regierung. Die SPD bekam zuvor schon das erhöhte Bürgergeld, die Grünen zeitweise das 9-Euro-Ticket, die FDP den Tankrabatt. Und weil das größtenteils über die gesonderten Finanztöpfe finanziert wurde, konnte die Ampel obendrein noch die Schuldenbremse einhalten – die gilt nämlich nur für den staatlichen Kernhaushalt.
Mal kam das Geld (wie bei der Gaspreisbremse) aus umgewidmeten Milliarden des 200-Milliarden-Wirtschaftsstabilisierungsfonds, der eigentlich die Pandemie-Folgen abmildern sollte. Mal wurde Geld aus dem Klimafonds eingeplant. Allein: Die dafür vorangegangene Umwidmung langfristiger Krediten ist nicht legal, urteilte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Die meisten finanziellen Extratöpfe der Regierung sind damit Makulatur.
Positionen klargemacht
Doch darüber reden, wie es weitergehen soll, das wollen sie trotzdem nicht, im Gegenteil. Stattdessen machen SPD, Grüne und FDP Standpunkte klar, von denen sie nicht abrücken wollen. Am Sonntag forderte der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai in der "Bild am Sonntag", man müsse "die Bürgergeld-Erhöhung stoppen". Olaf Scholz würde wohl eher Friedrich Merz zum Kanzler wählen, als das zu machen. Die Erhöhung war ein wichtiges Zugeständnis an den linken Parteiflügel.
Nun ist der FDP-Politiker Djir-Sarai ein kluger Mann, er weiß, dass die SPD das nicht machen wird. Darum geht es auch nicht. Djir-Sarai stimmt eher in den Reigen der anderen ein, die ihrerseits erklären, was ihre politischen Ziele sind. SPD-Chefin Saskia Esken sagte, es sei "nicht vorstellbar", wie man bei Sozialausgaben kürzen wolle. Und die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang argumentierte sogar indirekt für Steuererhöhungen: "Wir können uns in der Krise nicht schützend vor die Reichen stellen, und sie gleichzeitig auf dem Rücken der Verletzlichsten austragen." Liebe Grüße an die FDP.
Ausgerechnet jetzt, wo ein neuer Weg zum Sparen wegen der fehlenden Finanzen gefunden werden soll, verkünden alle Parteien lieber, wo sie selbst nicht sparen wollen: bei ihren liebsten Projekten. Über alles andere reden sie nicht. Sie verharren auf ihren Positionen, als würden sie politisches Mikado spielen: Wer sich bewegt, verliert.
Ein Sondervermögen, das sogar die Union unterstützte
Das überlagert eine Diskussion, die bislang nur unter der Oberfläche geführt wird. Die Frage danach, ob es nicht klug eingesetzte, zusätzliche Finanztöpfe braucht. Nicht solche wie zuvor, die nach Gutsherrenart mal auf die eine und dann auf die andere Weise im Laufe der Jahre deklariert werden. Sondern solche, die ein klares Ziel haben. Gelungen ist das beim Sondervermögen für die Bundeswehr, dessen Ziel klar benannt ist – und das mit den Stimmen der oppositionellen Union im Grundgesetz verankert ist.
Ähnlich wäre es jetzt wieder möglich, beispielsweise mit einem in der Verfassung festgehaltenen Sondervermögen für bestimmte Arbeitsplätze – beispielsweise in der Autoindustrie. Die FDP müsste etwas Schulden in Kauf nehmen, aber es wäre ein klar umrissenes Budget, ohne haushaltspolitische Taschenspielertricks. Wenn man das klug anstellt, müsste am Ende sogar die Union im Bundestag zustimmen (vielleicht zähneknirschend, aber sei's drum). Das Grundgesetz wäre geändert, die Auflagen aus Karlsruhe erfüllt.
Die Regierung sollte handeln – und zwar schnell
Und es muss nicht die Autoindustrie sein. Es wäre auch denkbar, ein anderes Vermögen ins Leben zu rufen. Wichtig ist nur, dass das Ziel klar definiert ist und die finanzielle Planung am besten immer nur für das konkrete, laufende Jahr gilt. Das hält nicht nur die Verfassung ein, sondern sorgt auch für eine bessere finanzielle Planbarkeit. Aber über solche Ideen für zusätzliche Finanztöpfe wollen sie in der Regierung nicht reden. Noch nicht.
Immerhin scheinen die Spitzen der Koalition in den Modus der Krisenbewältigung zu finden. Gestern Abend um 21 Uhr versendete die Deutsche Presseagentur eine Eilmeldung: "Habeck sagt wegen Haushaltskrise Reise zur Klimakonferenz ab". Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums teilte t-online mit, auch Habecks eigentlich geplante Reisen in den Oman, Saudi-Arabien und Israel seien storniert. Der Ernst der Lage kommt langsam auch im Regierungsviertel an.
Was steht an?
In Berlin findet heute das regelmäßige Auf-Linie-Bringen der Parteien statt – auch Gremiensitzungen genannt. Wieder wird diskutiert, gerungen und gestritten werden. Ob die Parteien sich auch dazu durchringen können, klarere Ansagen zu machen? Für die Grünen tritt um 14 Uhr Omid Nouripour vor die Presse. Die anderen Parteispitzen werden sich im Laufe des Tages äußern.
In Dubai wird die Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen fortgesetzt. Heute ist der "Thementag Finanzen/Handel/Geschlechtergerechtigkeit". Und es wird eine Studie zu den Emissionen im Ukraine-Krieg vorgestellt, und mögliche Reparationszahlungen, die Russland leisten müsste, werden umrissen.
Haushalt hin, Krise her: In dem aktuellen Planungschaos muss trotzdem noch regiert werden. Deshalb treffen Bundespräsident Steinmeier und Kanzler Scholz heute den brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva. Es sind die zweiten deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen.