„Niemand weiß, was Putin tun wird“: Düngemittelindustrie warnt vor neuer Gefahr für Lebensmittelversorgung

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Russland exportiert immer mehr billige Düngemittel in die EU. Heimische Hersteller warnen bereits vor einer neuen Abhängigkeit des Westens von Russland.

Berlin – Seit Beginn des Ukraine-Krieges haben westliche Staaten Russland mit Sanktionen überzogen. Doch es gibt Ausnahmen, zu denen auch Düngemittel gehören. Ein Grund ist, dass diese Ausnahme Teil des Deals war, der es der Ukraine erlaubt, Getreide weltweit zu verkaufen.

Ein anderer Grund ist die Versorgungssicherheit. Erdgas wird sowohl als Rohstoff als auch als Energieträger im Produktionsprozess von Düngemitteln benötigt. Rund 80 Prozent der Herstellungskosten von Ammoniak, dem Grundstoff für Stickstoffdünger, entfallen nach Angaben der Deutschen Industriebank (IKB) auf Erdgas. Mit den stark gestiegenen Erdgaspreisen haben sich auch die Produktionskosten für die Pflanzennährstoffe erhöht.

Abhängigkeit von Düngemittelimporten aus Russland: Europäische Hersteller drosseln die Produktion

Auf dem Höhepunkt der Energiekrise im Jahr 2022 wurde die Düngemittelproduktion in Europa deshalb stark gedrosselt. Denn die stark gestiegenen Produktionskosten konnten die Hersteller auch durch Preiserhöhungen für die Kunden nicht auffangen. Laut dem Lobbyverband Fertilizers Europe standen Anfang 2023 rund 40 bis 50 Prozent aller Ammoniakanlagen in der EU still, aktuell sollen es noch zehn bis 20 Prozent sein. Die BASF hat ihre Ammoniakanlage in Ludwigsburg Anfang 2023 sogar komplett geschlossen, wodurch 2600 Menschen ihren Arbeitsplatz verloren.

Düngemittel in Brasilien
Die landwirtschaftliche Produktion ist von günstigen Düngemitteln abhängig. (Symbolbild). © Brunno Covello/dpa

Die folgende Verknappung war auch ein Grund für die stark gestiegenen Lebensmittelpreise. Die Situation entspannte sich dann wieder etwas durch die russischen Düngemittelimporte. Laut Eurostat-Daten sind die Stickstoffimporte in die EU im Düngejahr 2022/23 (Juli bis Juni) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 34 Prozent gestiegen, berichtet die Agrarzeitung. Rund ein Drittel der Gesamtimporte stamme aus Russland.

Düngemittelimporte aus Russland: Unternehmen erwägt Produktionsverlagerung in die USA

Doch die zunehmenden Düngemittelimporte aus Russland in die EU haben ein Ausmaß erreicht, das die heimischen Produzenten auf die Barrikaden treibt. „Wir werden derzeit von Düngemitteln aus Russland überschwemmt, die wesentlich billiger sind als unsere Düngemittel“, sagt Petr Cingr, Geschäftsführer der SKW Stickstoffwerke Piesteritz, der Financial Times (FT). Der Grund sei, dass diese im Vergleich zu europäischen Erzeugern „Peanuts für Erdgas zahlen“. Wenn die Politiker nicht handelten, würden Europas Produktionskapazität verschwinden. SKW Piesteritz gehört nach eigenen Angaben zu den führenden Herstellern von Stickstoffdüngemitteln in Europa.

Bei SKW gibt es Überlegungen, die Produktion zu verlagern. Wie die FT berichtet, verhandelt das Unternehmen über die Option, eine Ammoniakanlage in den USA zu errichten, wo „wir mit viel billigerem Erdgas und Strom versorgt werden können und über den Inflation Reduction Act subventioniert werden können“, so Cingr.

Unternehmer: Düngemittel-Abhängigkeit bedroht Sicherheit der Lebensmittelversorgung der EU

Cingr warnt, dass ohne die Produktion in Europa der Westen von Importen aus anderen, hauptsächlich nicht-demokratischen Ländern wie Russland und seinem Verbündeten Belarus abhängig sein werde. Mit einem solchen Einfluss auf die europäische Lebensmittelproduktion „weiß niemand, was Putin tun wird“.

Auch Fertilizers Europe schlägt Alarm. „Diese zunehmende Abhängigkeit von russischen Rohstoffen bedroht die Sicherheit und Erschwinglichkeit der Lebensmittelversorgung der EU und führt zu einer Bewaffnung der Ressourcen des russischen Regimes“, heißt es auf der Homepage des Lobbyverbandes. Diese könne aber, wie sich bereits im Fall von Erdgas gezeigt habe, nicht als zuverlässiger Partner behandelt werden, insbesondere wenn es um strategische Sektoren wie die Landwirtschaft gehe.

Abhängigkeit von Düngemittelimporten aus Russland: Politik plant offenbar keine Sanktionen

Doch die Politik scheint den europäischen Düngemittelherstellern nicht helfen zu wollen. Es sei unwahrscheinlich, dass Brüssel auf die Forderungen nach Sanktionen gegen russische Pflanzennährstoffe reagieren werde, sagte Chris Lawson, Leiter des Bereichs Düngemittel bei der Beratungsfirma CRU in der FT. „Die Erinnerung an die hohen Düngemittelpreise im Jahr 2022 und die Bedrohung der Ernährungssicherheit sind den politischen Entscheidungsträgern noch gut im Gedächtnis.“

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