Lindsey Vonn sieht vieles lockerer an der Kandahar
Eigenes Wohnzimmer direkt an der Kandahar, eigener persönlicher Assistent. Lindsey Vonn ist der Superstar. Und doch hat sie sich verändert.
Gleichgültig mustert Lindsey Vonn den großen Bildschirm mit ihrem Ergebnis, als sie die Ziellinie überquert. Gemächlich zieht sie eine Schneise, bevor sie zum Stehen kommt. Kaum hat sie ihre Skier abgeschnallt, reicht ihr ein persönlicher Assistent – der eigens von Red Bull engagiert wurde und ihr 24 Stunden am Tag zur Verfügung steht – einen Regenschirm. Dass der Ski-Superstar mit einer Zeit von 1:11 Minuten im ersten Training hinter der Konkurrenz liegt, stört die US-Amerikanerin an diesem Tag nicht. Ungewöhnlich für die 40-Jährige, die das Starterfeld jahrelang dominiert und verbissen um jeden Triumph gekämpft hatte. Nach fast sechs Jahren Pause sieht sie nun vieles lockerer. „Ich habe viel mehr geschafft, als ich mir erträumt habe. Ich muss nicht mehr.“
Vonn: „Ich muss die Zeit genießen“
Dass sie überhaupt noch mit jüngeren Athletinnen konkurriert, gleicht einem Wunder. Im April 2023 unterzog sich Vonn einer durch einen Roboter assistierten Knieoperation. Ein Teil des Knochens in ihrem rechten Knie wurde dabei entfernt und durch zwei Titanstücke ersetzt. Ein Vorgang, der nicht nur in ihrem Alter höchst ungewöhnlich ist, sondern nach ihrem Comeback auch in der Sportwelt für Staunen sorgte. „Normalerweise habe ich nicht die Chance, so etwas noch zu erleben. Deshalb muss ich die Zeit genießen.“
Nur für ein paar Autogramme und Fotos ist die zweiterfolgreichste Rennläuferin der Weltcup-Geschichte aber nicht nach Garmisch-Partenkirchen gereist. Sie verbindet mit dem Markt eine Menge. Neunmal stand sie ganz oben auf dem Treppchen, einmal gewann sie sogar den Slalom am Gudiberg. Über die Kandahar sagt sie: „Das ist eine Superstrecke, und in meiner Karriere hatten wir immer gutes Wetter.“
Vonn hat ihre Akribie nicht verloren
Am Donnerstag war das nicht der Fall. Bei schwierigen Bedingungen endete ihre Trainingsfahrt bereits an der Einfahrt zur Hölle. „Ich weiß nicht, ob ich in meinem Leben schon einmal bei so einem Regen eine Abfahrt gefahren bin.“ Bereits am zweiten Tor peitschte ihr Schneeregen ins Gesicht und mit den Skiern ging wenig voran. „Das war sehr langsam zu fahren. Da kann ich nicht so viel machen, außer auf meine Linie zu achten.“ Dabei würde ihr gerade jetzt jeder Meter im Schnee so guttun. Denn selbst eine Vonn kann nicht auf Training verzichten, hat einiges aufzuholen. „Ich brauche noch ein bisschen Zeit. Mein Timing passt noch nicht genau.“
Die Akribie hat sie nicht verloren. Als die letzte amerikanische Läuferin den Berg hinunter gebraust war, marschierte Vonn schnurstracks zu ihrem eigenen Motorhome, das gleich hinter dem Kreuzeckbahnhof geparkt ist. In ihrem Camper, eigentlich mehr ein Lastwagen mit seiner Länge von 14 Metern, analysierte sie mit ihrem Team sofort das Material. Kaum hatte sie ihre verschiedenen Skischuhe wegpackt, stieg sie auf das integrierte Fahrrad, um schnellstmöglich regenerieren zu können. Während die anderen Athletinnen sich in ihre Hotels zurückzogen, blieb die Amerikanerin dort, wo sie sich am wohlsten fühlt: direkt an der Strecke. In ihrer eigenen kleinen Wohnung kocht sie für sich selbst, gerne isst sie Eierspeisen, und genießt die Ruhe vor dem Trubel.
Ohne große Wege kann sie sich in gewohnter Umgebung voll konzentrieren. Auch wenn sie sich beim ersten Training noch locker gab, erhofft sie sich nach ihrem Sturz auf ihrer Lieblingspiste in Cortina d‘Ampezzo nun deutlich mehr. „Geduldig zu bleiben, ist nicht meine Stärke. Aber ich probiere das zu lernen. Schauen wir mal, ob mir das gelingt.“