Stromüberschuss befeuert Preis-Krise: Industrie bleibt auf hohen Kosten sitzen
SPD und Grüne wollen das deutsche Stromsystem flexibler gestalten – und die Erneuerbaren Energien pushen. Doch laut Experten sollte der Fokus lieber auf den Speichermodulen liegen.
Berlin – Der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch in Deutschland hat 2024 mit 54 Prozent einen neuen Höchststand erreicht. Doch besonders der massive Ausbau von Photovoltaik-Anlagen bringt nicht immer einen Mehrwert für den Strommarkt – und birgt so manche Herausforderung: Negative Strompreise entstehen immer dann, wenn die Stromerzeugung den Verbrauch übersteigt – ein Problem, das auf fehlende Speicherkapazitäten zurückzuführen ist. In solchen Situationen kann Solarstrom seinen eigenen Marktwert senken („Selbst-Kannibalisierung“), was die Betreiber von Solar- und Windkraftanlagen finanziell belastet. Die Bundesregierung aus SPD und Grüne hat nun darauf reagiert.
Neuer Gesetzesentwurf: SPD und Grüne wollen Stromsystem flexibler und effizienter machen
Am vergangenen Mittwoch (18. Dezember) hat die übrig gebliebene Ampel einen neuen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht. Es ist eine verkürzte Fassung des Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), das beide Parteien zuvor in der Ampel mit der FDP beschlossen hatten. Eine parlamentarische Mehrheit für das Gesetz gilt allerdings als unwahrscheinlich. Ziel des rund 90-seitigen Entwurfs ist es dennoch, die Flexibilität im Stromsystem zu erhöhen und den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben.
- Direktvermarktung vereinfachen: Anlagenbetreiber erneuerbarer Energien (EE-Anlagen) wie Solar- oder Windkraftwerke sollen ihren Strom direkt an den Markt bringen, anstatt ihn fest vergütet einzuspeisen. Dafür will der Bund die Direktvermarktung ausweiten und entbürokratisieren.
- Vergütung bei Überschüssen anpassen: In Zeiten von Erzeugungsüberschüssen sollen die Vergütungsregeln angepasst werden, damit EE-Anlagen auch bei negativen Preisen wirtschaftlich bleiben.
- Integration kleinerer EE-Anlagen: Die großen Übertragungsnetzbetreiber sollen auch kleinere EE-Anlagen in ihre Vermarktungsstrategien einbinden – dadurch sollen Solar- und Windkraftanlagen effizienter und wirtschaftlicher werden.

Ein weiteres Kernelement des Entwurfs ist die „Fähigkeit zur ferngesteuerten Regelung von Anlagen durch Netzbetreiber“: Sollte das Gesetz verabschiedet werden, müssen ab dem 1. Januar 2025 alle neuen Solarstromanlagen eine Zusatzfunktion haben, die den Netzbetreibern eine externe Steuerung erlaubt.
Mit dem Zugriff auf Daten zu Funktionsweise und Leistungsfähigkeit der Anlagen könnten im Fall von negativen Preisen über Ausbalancierung Stromüberschüsse vermieden werden. Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur, hatte bereits im Dezember in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung erklärt, dass an steuerbaren Solaranlagen kein Weg vorbeiführe: „Sie müssen auf den Markt reagieren, also die Einspeisung stoppen, wenn niemand für den Strom bezahlen will.“ SPD und Grüne weisen zudem auf die Bedeutung intelligenter Stromnetze und digitaler Steuerungssysteme hin, die die Systemsicherheit langfristig erhöhen und die stabil halten sollen.
Fehlt Speicherkapazität für Erneuerbare Energien? Experten loben Gesetz, bemängeln aber Infrastruktur
Der Energiekonzern Vattenfall begrüßte die Initiative und lobte die Möglichkeit, Preisschwankungen besser zu steuern – gegenüber der Berliner Zeitung erklärte ein Sprecher. „In geringem Umfang kann dieses Gesetz Preisschwankungen im Strommarkt durch eine bessere Steuerung von Erzeugungsspitzen entgegenwirken.“ Kritik gibt es dagegen schon seit Längerem in Bezug auf die fehlende Infrastruktur für Speicherkapazitätslösungen. Diese müssten spätestens im Jahr 2030 vorhanden sein – bis dahin will die Bundesregierung aus dem Energieträger Kohle aussteigen und den Anteil der Erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch auf 80 Prozent steigern.
Ohne ausreichend Speichermodule bliebe laut Vattenfall allerdings offen, wie das Stromnetz in der fünfjährigen Übergangsphase funktionieren solle. Eine Studie der OTH Regensburg bestätigt diese Einschätzung: Aktuelle Kurzzeitspeicher reichen aus, um den derzeitigen Anteil von 54 Prozent erneuerbarer Energien im Netz zu bewältigen. Bei einem Anstieg auf 70 Prozent oder mehr würde das Netz jedoch bis zu viermal so viele Speicher benötigen. Planung, Genehmigung und Bau solcher Anlagen könnten Jahre dauern. Zwar boomt die Energiespeicherbranche regelrecht und erwirtschaftete 2023 rund 16 Milliarden Euro Umsatz. Das ist ein Wachstum von 46 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Und dennoch: „Für das Gelingen der Energiewende reicht das Wachstum aktuell noch nicht aus“, erklärte Simon Steffgen, Referent für Industrie und Gewerbe beim BVES im Frühjahr gegenüber dem MDR.