Ex-Chef von VW zerlegt Energiepläne von Reiche: Der Blick nach China sollte Deutschland wachrütteln
Infineon-Aufsichtratschef Diess betont das weltweite Wachstum von PV-Anlagen und Energiespeichern. China ist für ihn Vorbild, Deutschlands Energiewende erntet Kritik.
München – Vom 7. bis 9. Mai kamen führende Unternehmen aus der Branche erneuerbarer Energien auf der Messe „Intersolar Europe“ in München zusammen. Dort zugegen war auch Herbert Diess, Ex-VW-Vorstandschef und aktuell Aufsichtsratschef des Chipkonzerns Infineon sowie Vorsitzender des Verwaltungsrats von The Mobility House, einem Anbieter von Ladeinfrastruktur für E-Autos. Als Eindrücke nahm Diess dabei vor allem die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit von Photovoltaik in Zusammenspiel mit Batteriespeichern wahr.
Während Diess China als globalen Vorreiter und als Vorbild der Elektrifizierung mittels erneuerbarer Energien ansieht, kritisiert er die neuerlichen Vorstöße von Bundesministerin für Wirtschaft und Energie, Katherina Reiche (CDU), künftig wieder vermehrt auf Gaskraftwerke zu setzen.
Top-Manager Diess beurteilt Solarindustrie weltweit als „sehr wettbewerbsfähig“
Als „spürbar“ bezeichnet Diess das weltweite exponentielle Wachstum in den Bereichen Photovoltaik, Batterie-Speicher und Elektroautos, wie er es am Sonntag (3. Juni) im Zuge einer Kolumne für die Wirtschaftswoche formulierte. Im Vorjahr sei etwa ein Drittel der globalen Stromproduktion aus erneuerbaren Energien gewonnen worden, in Europa seien es gar 47 Prozent gewesen. Weltweit verdoppele sich die PV-Anlagen-Produktion alle drei Jahre, womit ihr Ausbau in ähnlichem Tempo stattfindet wie die Batteriezellen-Produktion für Speicher und E-Autos.
Diess zufolge ist die Solarindustrie inzwischen „sehr wettbewerbsfähig geworden“, was der ehemalige VW-Vorstandschef vor allem am großen Produktionsvolumen des chinesischen Markts und einem intensiven Wettbewerb festmacht. Global erfolgt der Zubau erneuerbarer Energieanlagen zur Stromerzeugung inzwischen zu über 80 Prozent mittels Solaranlagen, wobei laut Diess 70 Prozent der im Vorjahr neu generierten Leistung von insgesamt rund 600 Gigawatt in Asien installiert wurde. Weil es Europa im selben Zeitraum nur auf einen Zubau von PV-Anlagen mit insgesamt 80 Gigawatt Leistung schaffte, empfiehlt er, den Blick für eine gelingende Energiewende nach Asien – und dort insbesondere nach China – zu richten.
Diess sieht eine Chance in der Kombination von PV-Anlagen und Speichern
Eine besonders effiziente Möglichkeit der Stromerzeugung mittels Solaranlagen sieht Diess im Zusammenspiel von Photovoltaik-Anlagen und Energiespeichern, wie sie bereits in China in großem Stil zur Anwendung kommen. Die Kombination beider Methoden ermöglicht es, Energie zu sonnigen Zeiten tagsüber direkt zu speichern, um sie am Abend zu höheren Preisen ins Stromnetz einspeisen zu können.
Während der Energieexperte und ehemalige Volkswagen-CEO China für seine Elektrifizierung mittels Solartechniken als Vorbild für Europa lobt, kritisiert Diess auch die unlängst von Bundeswirtschaftsministerin Reiche hierzulande neu in Gang gebrachte Debatte, fossile Energieträger wie etwa Gaskraftwerke wieder stärker zu fördern: „Wir diskutieren hier immer noch über neue Gaskraftwerke. Wahrscheinlich ist aber fossile Stromerzeugung nicht einmal mehr mit staatlichen Subventionen wettbewerbsfähig gegen die mittlerweile extrem wettbewerbsfähige Kombination aus Solar und Batteriespeicher“, betont Diess dazu gegenüber der Wirtschaftswoche.
Diess betont die systemische Struktur der Energiewende und kritisiert Gaskraftwerk-Diskurs in Deutschland
Mit dem geplanten Ausbau der Gaskraftwerke will die neue schwarz-rote Bundesregierung eine energiepolitische Neuausrichtung im Zuge der Energiewende vollziehen. Dem Koalitionsvertrag zufolge sollen bis zu 20 Gigawatt neuen Gaskraftwerkskapazitäten entstehen – das wären etwa 40 neue Anlagen und damit annähernd doppelt so viele, wie in der ursprünglichen Planung von Reiches Amtsvorgänger Robert Habeck (Grüne) vorgesehen.
Fördern will Wirtschaftsministerin Reiche nun vor allem den Zubau von Gaskraftwerken in Süddeutschland, wofür sie am Montag einen „Südbonus“ in die Diskussion einbrachte, wie die CDU-Politikerin nach einer Klausur des bayerischen Kabinetts unter Leitung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Tegernsee sagte. Bereits vor Wochen sagte Reiche der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ): „Deutschland wird sich absehbar nicht allein mit erneuerbaren Energienversorgen können, wenn wir aus der Kohle aussteigen und der Strombedarf in Zukunft noch steigen wird.“
China kommt schneller voran: Dort werden die Effekte auf den Strompreis schnell spürbar sein
Dem entgegen weist Energieexperte Diess auf die systemischen Zusammenhänge der Energiewende hin. Vorstellen lässt sich dies wie ein Kreislauf, in dem die jeweiligen Sektoren und Triebkräfte der Energiewende jeweils aufeinander angewiesen sind, um fossile Energieträger durch sinkende Preise langfristig abzulösen. „Die Erneuerbaren brauchen dringend günstige stationäre Speicher und flexible Ladezeiten für E-Autos, damit ihre immensen Kostenvorteile gegenüber der fossilen Konkurrenz wirklich zum Tragen kommen und die Netze nicht durch gigantische Investitionen weiter verteuert werden“, betont Diess gegenüber der Wirtschaftswoche. Umgekehrt seien E-Autos etwa auf günstig erzeugten Strom aus erneuerbaren Energien angewiesen.
Weil China auf all diesen Handlungsfeldern anders als Europa und Deutschland gleichermaßen effizient elektrifiziert, werden sich Diess zufolge dort auch umso schneller die Vorteile sinkender Strompreise spüren lassen. (fh)