Regierungskrise nach Wahldebakel: Wohin steuert Japan?
Die Partei von Japans Premierminister Ishiba hat bei der Parlamentswahl am Sonntag eine Niederlage eingefahren. Er selbst könnte zwar an der Macht bleiben – seine Partei aber muss sich neu erfinden.
Am Tag nach der Parlamentswahl in Japan gab sich der Wahlgewinner, der gleichzeitig auch der große Verlierer dieser Abstimmung ist, demütig. „Wir haben von der Öffentlichkeit ein außergewöhnlich hartes Urteil erhalten“, sagte Shigeru Ishiba, Japans Premierminister und Chef der Regierungspartei LDP, am Montag in Tokio. „Wir müssen dieses Ergebnis demütig und ernsthaft akzeptieren, aufrichtig darüber nachdenken und auf eine vollständige Erneuerung unserer Partei hinarbeiten.“
Vorausgegangen war eine Wahlschlappe, die das Zeug hat, die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt in eine schwere politische Krise zu stürzen. Bei der Wahl vom Sonntag landete die LDP zwar auf dem ersten Platz, wie fast immer seit ihrer Gründung im Jahr 1955. Die Liberaldemokraten mussten allerdings auch herbe Verluste hinnehmen, statt wie bisher 259 Abgeordnete werden sie künftig nur noch 191 Männer und Frauen ins japanische Unterhaus entsenden. Auch der Juniorpartner der LDP, die kleine Partei Komeito, musste Feder lassen, sie kommt auf 24 Sitze, bislang waren es 32. Zum ersten Mal seit 2012 hat die LDP keine eigene Mehrheit im Parlament, mehr noch: Auch mit den Sitzen der Komeito reicht es nicht. Shigeru Ishiba muss also auf die Suche gehen nach einem zweiten Koalitionspartner.
Parlamentswahl in Japan: Abstimmung über Umgang mit LDP-Spendenskandal
Vor allem aber muss der 67-Jährige seine Partei neu aufstellen. Spätestens im Juli kommenden Jahres wählt Japan die Hälfte der Abgeordneten des Oberhauses neu, der zweiten, weniger wichtigen Kammer des Parlaments. Es dürfte eine Abstimmung darüber werden, wie entschlossen Ishiba sein Versprechen umgesetzt hat, die LDP zu erneuern. „Ich denke, das japanische Volk fordert uns auf, über unser Handeln nachzudenken“, hatte er am Sonntag, kurz nach Schließung der Wahllokale, gesagt.
Ishiba selbst war erst im September zum LDP-Chef gewählt worden, seit 1. Oktober ist er japanischer Premierminister. Die Wahl vom Sonntag war also weniger eine Abstimmung über seine Politik. Sondern vielmehr über die Art und Weise, wie er den Spendenskandal händelte, der seinen Vorgänger Fumio Kishida zum Rücktritt gezwungen und ihn selbst ins Amt gebracht hatte. Ende 2023 gerieten Dutzende LDP-Abgeordnete ins Visier der Staatsanwaltschaft, ihnen wurde vorgeworfen, 500 Millionen Yen (umgerechnet rund 3,2 Millionen Euro) in schwarze Kassen umgeleitet zu haben, ohne diese Gelder als politische Spenden auszuweisen.
Japan: Oppositionschef spricht von „Täuschung der Wähler“
Was vielen Wählerinnen und Wählern offenbar besonders sauer aufgestoßen ist: Zwar hatte die Partei jene Abgeordneten, die besonders tief im Spendensumpf versunken waren, ihre offizielle Unterstützung verweigert. Am Mittwoch vor der Wahl war allerdings bekannt geworden, dass die LDP die Büros jener neun Kandidaten, die trotzdem zur Wahl antraten, mit jeweils rund 20 Millionen Yen (120.000 Euro) unterstützt hat. Laut der Zeitung Asahi entspricht das exakt jener Summe, die auch die offiziellen LDP-Kandidaten erhalten haben, um ihren Wahlkampf zu finanzieren.
Eine „Täuschung der Wähler“ nannte Yoshihiko Noda, Anführer der Konstitutionell-Demokratische Partei CDPJ, das Vorgehen. Seine Partei war die große Gewinnerin der Wahl vom Sonntag und kommt auf 148 Sitze, ein Zuwachs von rund 50 Prozent. Weil die Opposition aber zersplittert ist, wird die CDPJ nur schwerlich eine eigene Regierung gegen die LDP bilden können. Auch eine Zusammenarbeit mit den Liberaldemokraten hat Parteichef Noda ausgeschlossen.
„Größter Schock“ für Regierungskoalition in Japan
Japans öffentlich-rechtlicher Fernsehsender NHK sprach am Wahlabend „vom größten Schock“ für LDP und Komeito seit 2009. Damals erlitten die Liberaldemokraten schon einmal eine herbe Wahlniederlage, drei Jahre lang stellten sie keinen Premierminister. Dass es erneut so weit kommt und Ishiba vom Parlament im Amt nicht bestätigt wird, gilt als unwahrscheinlich, ist aber auch nicht gänzlich ausgeschlossen. Innerhalb von 30 Tagen nach der Wahl müssen beide Parlamentskammern in einer Sondersitzung über den künftigen Premierminister abstimmen. Sollte es Shigeru Ishiba bis dahin nicht schaffen, eine Mehrheit für sich zu organisieren, könnte es zu einer Kampfabstimmung zwischen ihm und Noda kommen. Japanischen Medien zufolge könnte es schon am 11. November so weit sein.