Studie: Beschäftigte im Landkreis leisten 410.000 unbezahlte Überstunden
Das Pestel-Institut hat schockierende Zahlen veröffentlicht. Demnach leisteten Arbeitnehmer im Landkreis Garmisch-Partenkirchen 644.000 Überstunden, die meisten davon unbezahlt. Doch es gibt Kritik am Vorgehen.
Garmisch-Partenkirchen – Die Zahl erschreckt erst einmal. Laut einer Studie haben Arbeitnehmer im Landkreis Garmisch-Partenkirchen im vergangenen Jahr 644 000 Überstunden gemacht. Satte 410 000 davon unbezahlt. Das geht aus dem „Überstunden-Monitor“ hervor, den das Pestel-Institut im Auftrag der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) erstellt hat. Die Mehrarbeit in der Gastronomie heben die Forscher dabei besonders hervor. In Hotels, Restaurants und Gaststätten kamen dem Report zufolge rund 53 000 Überstunden zusammen, 22 000 davon demnach ohne Bezahlung. Als Gradmesser für den „massiven Fachkräftemangel“ in der Branche bezeichnet das Manuel Halbmeier, Geschäftsführer der NGG Rosenheim-Oberbayern.
Hotel und Gastronomie: Studie nicht repräsentativ
Daniel Schimmer, Kreisvorsitzender des Hotel- und Gaststättenverbandes und Direktor des Hotels Garmischer Hof, hält die Studie für nicht repräsentativ. Zugleich übt er Kritik an der Methode (siehe Kasten): Die Wissenschaftler entnahmen dem Mikrozensus, einer Haushaltsumfrage, wie viele Überstunden die bayernweit befragten Personen geleistet hatten. Ob sie ausgeglichen wurden oder nicht. Anhand der Beschäftigten im Landkreis und ihren Arbeitsstunden im Jahr errechneten sie ihre Überstunden. Dieses Vorgehen hält Schimmer für fragwürdig. Und er bezweifelt, dass Firmen Überstunden nicht vergüten. Jeder Arbeitgeber wolle sich doch möglichst positiv präsentieren. „Aufgrund des demografischen Wandels werden in Bayern bis 2030 1,2 Millionen Menschen weniger in Bayern arbeiten“, betont der Dehoga-Kreisvorsitzende. Da beschädige doch kein Unternehmer seinen Ruf, indem er Mitarbeiter unbezahlte Überstunden machen lasse.
Für seine Branche erklärt Schimmer: „Wir haben sehr viel investiert, um in Sachen Arbeitsrecht auf dem neuesten Stand zu sein.“ Arbeitszeitkonten hält er für die Hotellerie und Gastronomie für essenziel. Auf die Minute genau Feierabend machen können die Beschäftigten oft nicht. Natürlich können Überstunden vorkommen, beispielsweise im Service, wenn eine Gruppe im Restaurant länger sitzt. Dann aber werde das genau dokumentiert. Im Garmischer Hof haben die Mitarbeiter ein Tablet, auf dem sie sich ein- und ausstempeln. Zudem schreiben sie die Feierabend-Zeit auf den ausgedruckten Dienstplan. Überstunden werden direkt übermittelt. „Bleibt jemand in einer Woche viermal eine Stunde länger, kann ich ihm in der nächsten Woche einen zusätzlichen freien Tag geben“, rechnet Schimmer vor. Unter den Tisch fallen die Mehrstunden nicht.
Doch gibt Schimmer zu bedenken, dass es hektische und ruhigere Phasen gibt. „In der Hauptsaison muss ich mit einem ganz anderen Personalaufwand rechnen als in der Nebensaison.“ Der Hotel- und Gaststättenverband fordert Flexibilität im Arbeitszeitgesetz – das beschränkt die werktägliche Arbeitszeit auf acht Stunden pro Tag –, was die Verteilung der Wochenstunden betrifft. „Wenn ein Angestellter in der Woche lieber zweimal zwölf Stunden arbeiten möchte statt dreimal acht Stunden, weil das besser in sein Privatleben passt, soll er das machen dürfen.“ Wichtig bleibe, dass die Arbeitszeit genau dokumentiert wird. Auch beim Planen einer Veranstaltung sei dass maßgebend. Zu wissen, wie viel er ins Personal investiert, zeigt ihm, ob sich ein Event rechnet.
Handwerk und Industrie: Umgang mit Überstunden genau geregelt
Auch im Handwerk werden die Stunden genau erfasst, betont der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Oberland, Roland Streim. Das schreibt schon das Arbeitszeitgesetz vor. Er hält es daher für schwierig, von unbezahlten Überstunden zu sprechen. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2022 muss die geleistete Mehrarbeit „auch schriftlich irgendwo stehen“, sagt Streim. Nur das Wie – elektronisch, per Stechuhr, in einem Excel-Dokument oder auf Papier – steht „immer noch in den Sternen“, ergänzt Almut Burkhardt, Sprecherin der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern. Der Umgang mit Überstunden ist im Arbeitsvertrag geregelt, sofern nicht ohnehin ein Tarifvertrag dazu Vorschriften macht. „Wurde keine Regelung getroffen, ist der Arbeitnehmer nur in absoluten Ausnahmefällen, etwa in einer existenziellen Notlage des Unternehmens, zu Überstunden verpflichtet.“ Auch Burkhardt übt Kritik an der Studie des Pestel-Instituts. Die Forscher hätten nur zwischen „bezahlten“ und „unbezahlten“ Überstunden unterschieden. Sie hätten nicht berücksichtigt, dass Stunden auch auf ein Arbeitszeitkonto fließen, wo sie später abgefeiert werden können.
Pestel-Institut:„Wollen keine Mondzahlen abliefern“
Tatsächlich fließen diese Stunden nicht in das Ergebnis des „Überstunden-Monitors“ mit ein, bestätigt Matthias Günther, Chef des Pestel-Instituts. „Überstunden, die temporär anfallen, zählen nicht.“ Er betont, dass Mehrstunden vom Arbeitgeber angeordnet oder, wenn der Angestellte sie freiwillig macht, genehmigt werden müssten. Aber in einigen Fälle geschehe das nicht. „Dann fallen die Stunden hinten runter.“ Durch unbezahlte Mehrarbeit haben die Beschäftigten den Unternehmen im Landkreis laut Monitor rund 5,9 Millionen Euro geschenkt. Sofern jeder Angestellte den Mindestlohn erhielte. „Wir wollen keine Mondzahlen abliefern“, betont Günther.