Schmerz-Experte Dr. Michael Überall warnt vor Gürtelrose: „Die Schmerzen können unbeschreiblich stark sein“

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Das Varicella-Zoster-Virus ist ein Virus, das sowohl Windpocken und Gürtelrose verursacht. © IMAGO / Depositphotos

Gürtelrose wird häufig unterschätzt. „Die Erkrankung kann einem Menschen seine ganze Lebenskraft rauben“, warnt Dr. Michael Überall, Präsident der Deutschen Schmerzliga (DSL).

400 000 Menschen in Deutschland erkranken jedes Jahr neu an Gürtelrose. Schmerz-Experte Dr. Michael Überall aus Nürnberg, Präsident der Deutschen Schmerzliga, und Günter Rambach, der über die Deutsche Schmerzliga ehrenamtlich Menschen berät, die an chronischen Schmerzen leiden, erklärten bei einem Vortrag im Rahmen der GSK-Veranstaltung „Gürtelrose hat viele Gesichter“ im Pressehaus von Münchner Merkur und tz, warum Gürtelrose so massive Folgen haben kann und wie man die Erkrankung behandelt.

Die Erkrankung, in der Fachsprache Herpes Zoster genannt, ist kein harmloser Hautausschlag. Ein typisches Symptom der Viruserkrankung sind juckende und brennende Bläschen auf der Haut. Die Krankheit breitet sich über Nervenbahnen aus. Charakteristisch ist ein meist halbseitig auftretender bandartiger Ausschlag, erklärt Dr. Überall: „Häufig befindet sich dieser im Bereich des Rumpfs, daher hat die Krankheit den Namen Gürtelrose“, erklärt der Experte.

Aber Achtung: Da die Viruserkrankung, die Haut und Nerven betrifft, kann sie überall am Körper auftreten: Bei knapp zwölf Prozent der Fälle taucht die Gürtelrose an den Schultern auf, zitiert Dr. Überall Studien: „In über der Hälfte betrifft sie den Brustkorb auf Höhe der Rippen, in gut 30 Prozent den Bauchbereich beziehungsweise die Flanke, in knapp zehn Prozent das Becken und die Hüfte, und in beinahe 15 Prozent sind Oberschenkel, Knie oder Unterschenken betroffen, und besonders unangenehm und auch gefährlich wird die Nervenerkrankung, wenn sie am Kopf, im Gesicht oder am Nacken auftritt“, warnt der Experte.

Noch bevor der Hautausschlag sichtbar wird, kündigt sich bei den meisten Betroffenen die Nervenerkrankung durch Vorboten an: Das sind stechende oder brennende Schmerzen sowie Missempfindungen, etwa ein Kribbelgefühl oder Juckreiz. Manche Erkrankten fühlen im Vorfeld grippeähnliche Symptome wie Abgeschlagenheit, Kopf- und Gliederschmerzen und erhöhte Temperatur.

Dr. Michael Überall, Podiumsgespräch, Gürtelrose, München 26.06.2025 
Foto: Markus Götzfried
Dr. Michael Überall, Präsident der Deutschen Schmerzliga (DSL), erklärte in seinem Vortrag im Pressehaus von Münchner Merkur und tz in München, warum Gürtelrose zu so starken Schmerzen führt. © Markus Götzfried

Ausgelöst wird die Gürtelrose durch Viren, die sich über die Nervenbahnen unter der Haut ausbreiten. „Man kann es so beschreiben, dass die Viren die Nerven als Stromleitungen nutzen, um sich auszubreiten“, erklärt Experte Überall. „Doch sausen sie nicht einfach durch, sondern beschädigen auch die Nerven als eigentliche Leitungsbahnen selbst, um im Bild zu bleiben. Diese können dann – ähnlich wie beschädigte Stromkabel – immer wieder für Kurzschlüsse sorgen, was die bei manchen Betroffenen plötzlich fast blitzartig einschießenden Schmerzen erklärt.“

Das Virus kann die Struktur der Nerven selbst und auch deren Versorgungsleitungen zerstören. Wegen dieser Schädigungen kann die Krankheit mit heftigen, teils über Wochen und Monate andauernden Schmerzen und weiteren Komplikationen einhergehen. „Und Achtung, es gibt sogar Fälle, in denen der Hautausschlag ausbleibt, weil die Viren es nicht ganz bis zur Haut schaffen, aber dennoch die Nervenbahnen schädigen und so zu Schmerzen führen“, sagt Dr. Überall.

Deshalb rät er, auch bei seltsamen und unerklärliche Schmerzen medizinischen Rat einzuholen. Denn die anhaltenden Nervenschmerzen als Komplikation und Spätfolge treffen 20 Prozent der Erkrankten. In der Fachsprache spricht man von einem sogenannten Postzosterschmerz oder postherpetische Neuralgie (PHN) beziehungsweise von Post-Zoster-Neuralgie.

Vor allem bei älteren Personen oder bei geschwächtem Immunsystem kann eine Gürtelrose schwer verlaufen. Zu den möglichen Komplikationen gehören unter anderem eine Superinfektion der Haut mit Bakterien, Lähmungserscheinungen oder – im Falle eines Befalls des Auges beziehungsweise eines Ohres – auch vorübergehende oder gar bleibende Sehstörungen, Störungen des Hörsinns oder des Gleichgewichts sowie ein Tinnitus.

Bei Menschen, deren Immunsystem natürlicherweise mit zunehmendem Alter, eine andere Erkrankung (z. B. Corona oder Diabetes, etc.) oder gezielt therapeutisch (z. B. im Rahmen einer Chemotherapie) geschwächt ist, kann sich die Gürtelrose auf den ganzen Körper ausdehnen (Zoster generalisatus) – dann kann die Erkrankung sogar lebensbedrohlich werden.

„Quasi jeder kann an Gürtelrose erkranken, da wir fast alle das Virus in sich tragen“, sagt Dr. Überall. Der Grund: Ausgelöst wird die Gürtelrose durch dieselben Viren, die auch die Windpocken verursachen. Und dieses Virus, das nur im Menschen überleben kann, tragen fast alle Menschen in sich, da es dem körperlichen Immunsystem nicht gelingt, es vollständig zu besiegen, sondern nur, es einzudämmen. „Das Virus zieht sich dann zurück in die Kerngebiete der Körper- und Hirnnerven, wo es in eine Art Winterschlaf verfällt, und darauf wartet, dass das Immunsystem so weit geschwächt ist, dass es die Virusvermehrung und Ausbreitung nicht mehr unterdrücken kann“, erklärt Dr. Überall.

Das erste halbe Jahr nach der Geburt haben Kinder noch einen sogenannten Nestschutz, in dieser Zeit schützen sie die vom Immunsystem der Mutter übertragenen Antikörper. Wird dieser Immunschutz aber im Zuge der kindlichen Reifung abgebaut, kann sich das Kind selbst infizieren – und erkrankt dann an Windpocken. Außer, es wird gegen Varizellen, also die Erreger von Windpocken, geimpft. Seit 2004 gibt es in Deutschland eine allgemeine Impfempfehlung gegen Windpocken für Kinder ab dem 11. Lebensmonat.

Wenn „der Schläfer in uns erwacht“, sich also die Varizellen-Viren wieder vermehren und ausbreiten, ist Eile geboten, damit die Viren ihr Zerstörungswerk an den Nerven nicht ausführen können. Ab dem zweiten oder dritten Tag bemerkt man die ersten Symptome, und dann sollte man sofort zum Arzt beziehungsweise in ein Krankenhaus, denn man hat nur zwei bis drei Tage lang die Chance, ursächlich etwas gegen das Virus zu tun, stellt Dr. Überall klar. „Danach kann man nur noch mehr schlecht als recht die Symptome behandeln, doch leider können die Medikamente dann keine Nervenschäden mehr rückgängig machen.“ Die Hauptsymptome der Gürtelrose heilen normalerweise nach zwei bis vier Wochen ab, die Bläschen auf der Haut verschwinden.

Die Impfung beugt dem Albtraum Gürtelrose vor

Die Impfung gegen Gürtelrose (Herpes Zoster) wird für Personen ab 60 Jahren generell empfohlen, zudem für Menschen ab 50 Jahren mit bestimmten Risikofaktoren wie Immunschwäche. Dr. Markus Frühwein, Allgemeinmediziner mit eigener Praxis in München, rät vor allem Senioren zur Impfung: „Ich war selbst schon von Gürtelrose betroffen, und das am Kopf, und weiß, dass das eine Erkrankung ist, die man nicht bekommen möchte.“

„Fast jeder über 50 trägt das Virus in sich, da sich fast jeder im Lauf des Lebens mal mit Windpocken infiziert hat“, warnt Dr. Frühwein – insofern kann fast jeder erkranken. Das passiert meist dann, wenn man durch Stress oder eine Krankheit ohnehin geschwächt ist – oder wenn im Alter die Funktion des Immunsystems nachlässt. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt Totimpfstoff Shingrix (zugelassen ab 18 Jahren, empfohlen ab 50 Jahren mit Risikofaktoren oder ab 60 Jahren). Die Impfung ist eine Kassenleistung für die genannten Altersgruppen.

„Wichtig ist es, sich zwei Mal impfen zu lassen“, sagt Dr. Frühwein, „Auffrischungsimpfungen sind danach nicht mehr nötig.“ Dass man Antikörper gegen Windpocken in sich trägt oder eine Gürtelrose-Infektion durchgemacht hat, ist keine Voraussetzung. Wichtig zu wissen: Nach einer überstandenen Infektion mit Gürtelrose ist man nicht geschützt, sondern im Gegenteil steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man erneut und dann sogar schlimmer erkrankt. Auch unter 50-Jährige können sich impfen lassen, müssen die Impfung dann aber selbst bezahlen. Die Impfreaktion ist in Hinblick auf Nebenwirkungen etwas stärker als bei den meisten anderen Impfungen. „Eine Gürtelrose durchzustehen, ist aber mit Sicherheit viel belastender“, sagt Dr. Frühwein.

Dr. Markus Frühwein
Allgemeinmediziner
Dr. Markus Frühwein Allgemeinmediziner © privat

Die betroffenen Hautbereiche können auch nach Abheilen der sichtbaren Symptome noch lange schmerzen und auf Berührungen empfindlich sein. Bestehen die Nervenschmerzen auch noch nach drei Monaten, spricht man von Post-Zoster-Neuralgie. „Die Erkrankung kann Pein auslösen, den wir uns gar nicht vorstellen können“, sagt Günter Rambach, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Schmerzliga.

Die Schmerzliga betreibt montags bis freitags in der Zeit von 10:00 bis 12:00 Uhr unter der Tel.-Nr. 06431 / 49 72 400 ein Schmerztelefon. „Jeder vierte Anrufer, der uns erreicht, leidet unter chronischen Schmerzen, die durch eine Gürtelrose verursacht wurden“, weiß Rambach, „wer bei uns anruft, ist auf dem Level, dass jetzt nur noch eine Wunderpille helfen kann, aber die gibt es nicht.“ Behandelt werden die Schmerzen mit lokalen Betäubungsmitteln wie Lidocain oder hochdosiertem Capsaicin (dem scharfen Wirkstoff aus Chili-Schoten, der in der Medizin bei Nervenschmerzen zur Schmerzlinderung eingesetzt wird). Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol helfen nicht, da ihre Wirkweise bei den Nervenschmerzen keine nennenswerte Rolle spielt, erklärt der Schmerzexperte.

Helfen die örtlichen Mittel nicht, werden dann oft Medikamente gegeben, die eigentlich zur Behandlung von epileptischen Anfällen oder Depressionen gedacht sind, aber ihre erregungshemmende Wirkung auch bei Nervenschmerzen entfalten können. Auch Cannabinoide oder in ganz schweren Fällen können sogar Opioide verschrieben werden, gerade letztere jedoch sehr zurückhaltend wegen der bekannten Gefahren Abhängigkeit und Missbrauch.

Podiumsgespräch zum Thema Gürtelrose, München 26.06.2025 
Foto: Markus Götzfried
„Die Schmerzen waren unbeschreiblich“, sagt Patientin Carola (2. v. re.): Beim Podiumsgespräch im Pressehaus interviewte Moderatorin Carolin Henseler (re.) die Patientinnen (v. li.) Beate, Siegrid und Carola. © Markus Götzfried

Gürtelrose kann wiederkommen, sagt Dr. Überall: „Wenn sie auftritt, ist das ein Zeichen dafür, dass das Immunsystem geschwächt ist.“ Ursachen können das Alter, eine Krankheit, eine Immunschwäche, aber auch psychische Probleme wie ein Todesfall oder eine Depression sein. „Mit jeder akuten Erkrankung steigt das Risiko der nächsten und das Risiko, dass die Verläufe schlimmer werden“, warnt der Experte und rät, sich über Möglichkeiten der Vorbeugung zu informieren (siehe Infokasten).

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