Gesundheit - Debatte um Pflege: Wer hilft Familien, wenn sie die Kraft verlässt?
Dabei steht die zentrale Frage im Raum: Wer übernimmt die Pflege, wenn die Belastung zu groß wird?
Christian Graggaber brachte die Situation auf den Punkt: „Pflegende Angehörige leben zwischen tiefer Hingabe und ständiger Überforderung. Sie opfern Zeit, Gesundheit und Einkommen für ihre Liebsten – ohne Pausen, ohne Urlaub und ohne Gehalt.“
Eine stille Krise im Rückgrat der Gesellschaft
Graggaber betont, dass häusliche Pflege längst keine Nische mehr sei: „Häusliche Pflege ist mittlerweile das Rückgrat unseres Systems. Und dieses Rückgrat steht vor dem Zusammenbruch, wenn die Unterstützung nicht massiv ausgebaut wird.“
Er fordert dabei konkrete politische Maßnahmen: Steuerliche Erleichterungen, kostenlose Pflegehilfsmittel und verpflichtende Schulungen, um Angehörige in ihrer Rolle zu stärken. Denn die Herausforderungen würden weit über die eigentliche Pflege hinausreichen. Denn: Angehörige jonglieren berufliche Verpflichtungen, familiäre Aufgaben und die emotional wie körperlich belastende Pflege – oft bis zur totalen Erschöpfung.
Schicksale, die berühren und aufrütteln
Die Reaktionen von Pflegenden Angehörigen spiegeln eindrucksvoll wider, wie drängend das Problem ist.
Eine Leserin schildert, wie sie ihren sterbenden Vater zu Hause pflegte, während sie im Homeoffice arbeitete:
„Ich bereue es nicht, aber ein eigenes Leben hatte ich nicht mehr. Anders als eine professionelle Pflegekraft bist du 24/7 im Dienst. Keine Ablöse, kein Urlaub, kein emotionaler Abstand.“ Besonders belastend sei die Unsicherheit gewesen: „Die Angst, dass die gepflegte Person durch einen Fehler zu Schaden kommt, ist ständig präsent.“
Eine andere Leserin berichtet von der jahrelangen Pflege ihrer demenzkranken Mutter durch deren Partnerin, die zugleich Vollzeit berufstätig war. Der Wendepunkt kam erst, als die Mutter nicht mehr eigenständig essen, sich waschen oder gehen konnte. Die Entscheidung für ein Pflegeheim sei unumgänglich gewesen, habe aber scharfe Kritik im Umfeld ausgelöst:
„Wir durften uns immer wieder anhören, was für grausame Menschen wir sind, weil wir meine Mutter in ein Heim ‚abschieben‘. Aber Pflege zu Hause war schlicht nicht mehr tragbar.“
Ein neuer Umgang mit Pflege und Pflegenden
„Als Angehörige werden wir alleine gelassen. Ich bin nur froh, dass ich mich nicht auch noch immer extra um Desinfektionsmittel oder Einweghandschuhe kümmern muss, sondern sie mir direkt nach Hause geliefert und die Kosten übernommen werden“, schreibt eine Frau, die ihre hochbetagte Tante pflegt.
Die Schicksale machen deutlich: Die Pflege von Angehörigen ist oft mehr, als Einzelne leisten können. Es braucht nicht nur gesellschaftliches Verständnis, sondern auch einen politischen Paradigmenwechsel.