Analyse von Ulrich Reitz - „Besorgniserregend“? Langs Urteil über Trumps neuen Vize ist noch weit untertrieben
Mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent, glaubt man den Buchmachern, wird Donald Trump der nächste US-Präsident. Sein Vize wird dann der heutige Senator von Idaho. Grünen-Chefin Ricarda Lang hat JD Vance schon kennengelernt. Ihre Laune gebessert hat das nicht.
Das Urteil der Ober-Grünen über den „Running Mate“ von Trump steht fest: „Besorgniserregend für Europa“. Das ist eine drastische Untertreibung.
Das Konzept des von nun an wichtigsten Trump-Alliierten, der die wesentlichen Leitlinien der Außenpolitik bestimmen dürfte, wenn es denn Anfang November zum Machtwechsel in den Vereinigten Staaten kommt, ist in entscheidenden Punkten das glatte Gegenteil von jener Politik, für die die Berliner Ampelpolitik steht.
Was „gewinnen“ heißt, ist für Baerbock und die Grünen klar
Es ist nicht nur besorgniserregend für Europa, sondern mehr als das besorgniserregend für Olaf Scholz, seine grüne Außenministerin Annalena Baerbock und die Ampelregierung, die unter SPD-Führung das meiste Geld für die Konservierung und den Ausbau des Sozialstaats ausgeben will.
Stärker noch als Scholz ist Baerbock eine entschiedene Befürworterin nicht nur immer mehr und immer durchschlagenderen Waffenlieferungen an die Ukraine. Und anders als der Kanzler vertritt Baerbock die Meinung, die Ukraine müsse den von Wladimir Putin begonnenen Angriffskrieg gewinnen.
Auch, was „gewinnen“ heißt, ist für Baerbock und die Grünen klar: die Widerherstellung der Ukraine in den Grenzen von 1991 – inklusive der von den Russen völkerrechtswidrig besetzten Gebiete der Ost-Ukraine und der Halbinsel Krim, wo Moskau seine Schwarzmeerflotte stationiert hat.
Für Baerbock ist dies eine Frage der „Ordnung des Rechts“, die sie gegen die Russen verteidigen bzw. wiederherstellen will. Zu den festen Annahmen der von den Grünen verantworteten Außenpolitik gehört die These, gewinne Putin diesen Krieg, gefährde das die Sicherheit Europas. Diese Meinung wird von der Unionsführung geteilt. Und nun dies:
Über Trumps kritische Haltung zur Nato wurde oft berichtet
Keinen einzigen dieser Punkte teilt Trumps nun wichtigster Mann. Man kann sich das anhören, denn Ricarda Lang hat die Aufzeichnung der Diskussion mit Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz auf der Plattform X geteilt.
Nimmt man die glasklaren und geschliffenen Vorträge von Vance hinzu und ein aktuell erschienenes Interview mit der New York Times wird klar, wie ausgesprochen negativ das Deutschland-Bild der Trump-Regierung ist. Genauer: Das Bild über Deutschland unter der Ampel-Regierung.
Wir erfahren auch, was Trumps Kompagnon für einen „guten Alliierten“ hält – Deutschland fällt nicht unter diese Definition, mag das auch Bundeskanzler Scholz aufgrund der von ihm eingeleiteten militärischen „Zeitenwende“ auch noch so sehr glauben. Denn die Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels der Nato reicht den Amerikanern bei weitem nicht aus.
Ausgangspunkt aller strategischen Überlegungen einer Trump-Administration ist nicht Europa – sondern: China. Ostasien, so Vance auf der Sicherheitskonferenz in Bayerns Hauptstadt im Februar, werde den geostrategischen Fokus der Amerikaner „für die nächsten 40 Jahre“ bestimmen.
Über die kritische Haltung Donald Trumps zur Nato haben wir hier oft geschrieben. Die Kritik seines republikanischen Teams geht allerdings weit über die Ansicht hinaus, die Amerikaner bezahlten zu viel und die Europäer zu wenig für die Sicherheit Europas vor Russland.
Vance findet Putin „keine existenzielle Bedrohung für Europa“
Die Nato, das ist aus der Brille Trumps die Organisation, die diese Ungerechtigkeit erst ermöglicht hat. Dieser Vorwurf ist viel ernster, weil er ein tiefes Misstrauen begründet, dass sich mit mehr europäischem und auch deutschem Geld nicht einfach aus der Welt schaffen lässt.
Vance sagt über Putin trocken, der sei „keine existentielle Bedrohung für Europa“. Damit räumt er das wichtigste Argument der Ampelregierung – und auch der Brüsseler EU-Kommission unter der Leitung von Ursula von der Leyen – für die fortgesetzte militärische Hilfe an die Ukraine ab.
Das ist deshalb so wichtig, weil die Bundesregierung auf dieses Argument die Unterstützung der deutschen Bevölkerung abgestützt hat. Wenn nun aber aus Sicht von Trump Deutschland und Europa einen Angriff von Putin nicht zu befürchten hat: Wird die ohnehin immer skeptischer werdende hiesige Bevölkerung die Milliardenhilfen noch mehrheitlich mittragen?
Die Bundesregierung sagt, ebenso wie der amtierende US-Präsident Joe Biden, Putin wolle nicht über einen Frieden in der Ukraine verhandeln. Diese Darstellung nennt Vance in einem Beitrag, den er für die New York Times am 12. April geschrieben hat, „absurd“.
Ebenso wie die Behauptung der Biden-Administration, die amerikanische Wirtschaft profitiere von dem Ukraine-Krieg (was allerdings auch republikanische Senatoren schon behauptet haben):
Dinge, die Baerbock wichtig sind, kümmern Trumps Leute wenig
„Die Wahrnehmung wir sollten einen brutalen und grausamen Krieg verlängern, weil das gut für unsere Wirtschaft sein soll, ist grotesk.“ Schon die Unterstützung einer mit Präsident Selenskyj abgesprochenen ukrainischen Gegenoffensive durch Amerika sei „desaströs“ gewesen. Schon damals wäre die Akzeptanz der „brutalen Realität“ besser gewesen.
Die brutale Realität besteht für Vance in dem – auch für die Vereinigten Staaten – uneinholbaren und großen militärischen Vorsprung Russlands vor der Ukraine – bei der Produktion von Artillerie-Munition, schwerem Material und von Soldaten. Und die Lösung?
Vance argumentiert, das von Präsident Selenskyj ausgegebene Ziel der Rückeroberung der kompletten Ukraine in deren Grenzen von 1991, sei bar jeder Realität („is fantastical“). Je eher die amerikanischen Bürger diese „mathematische“ Realität einsehen würden, desto besser sei die Chance auf einen Verhandlungsfrieden mit den Russen.
Dinge die etwa Baerbock wichtig sind, wie die „Ordnung des Rechts“ kümmern Trumps Leute weniger als wenig. Für sie zählen Amerikas Interessen, die sie gleichsetzen mit den Interessen ihrer Wähler. Und diese Interessen seien, sagt JD Vance, bestimmt vom Gebot der „Knappheit“ („scarcity“).
Nicht einmal die USA hätten das Geld und die militärischen Ressourcen, um gleichzeitig für einen Frieden in der Ukraine, im Nahen Osten und im südchinesischen Meer zu sorgen.
Trump-Administration stünde voll hinter Israels harter Politik
Daraus leitet Vance ab, was für eine mögliche zweite Trump-Administration ein „guter Alliierter“ ist. Nämlich ein Land, das selbst für seine Sicherheit sorgt, nicht nur mit Geld, sondern mit einem darauf fokussierten Mindset, kurzum:
Israel. Das permanent und auch wieder aktuell in seiner Existenz bedrohte Land hat nicht nur die schlagkräftigste Armee im Nahen Osten aufgebaut, sondern ist auch führend in der militärischen Forschung.
Vance nennt bei einem Vortrag am konservativen Quincy Institute den „Iron Dome“, den hochtechnologischen Raketenabwehrschirm, den Israel mittlerweile an befreundete Staaten exportiert. Überhaupt ist Israel – seit Jahren – eines der führenden Länder bei der Entwicklung von Digitaltechniken geworden. Eine „Start-up-nation“.
Eine Trump-Administration stünde, anders als etwa Deutschlands Außenministerin Baerbock, voll hinter der harten, kompromisslosen Politik der israelischen Regierung von Benjamin Netanjahu.
Die fatale Ideologie der Terror-Organisation Hamas lasse sich zwar nicht auslöschen, sagt JD Vance – wohl aber deren militärische Organisation. Und auch dahinter stecken für den Spitzen-Republikaner nicht Rache-Motive, sondern ureigene amerikanische Interessen:
Wie Vance argumentiert, ist konsequent
Ein erfolgreicher Abschluss der „Abraham Records“. Dahinter verbirgt sich ein großer und über Jahre angebahnter Friedensschluss zwischen Israel und sunnitisch-arabischen Staaten. Das wollen die Palästinenser nicht, ihre beiden Organisationen, die Hamas wie die Fatah, wollen die Auslöschung Israels.
Den Aussöhnungsprozess zu hintertreiben, war das eigentliche Ziel des blutigen Angriffs der Hamas-Terroristen auf Israel am 7. Oktober. Darum ist es konsequent, wenn nun Vance argumentiert, Voraussetzung für den Frieden im Nahen Osten sei die Vernichtung der Hamas. Und das US-Interesse daran?
Ist so geostrategisch wie ökonomisch: Frieden in der Ukraine, selbst mit ukrainischen Landverlusten, plus Frieden in Nahost würde es den USA ermöglichen, sich unter Knappheits-Gesichtspunkten nahezu voll auf die Auseinandersetzung mit der aus seiner Sicht für die USA gefährlichsten Technologie- und Militärmacht auseinanderzusetzen: China.
Zu Israel, dem Land, das der Forschung einen großen Stellenwert einräumt und der Entwicklung seiner Zukunftsindustrien und seinem Militär, gibt es aus der Sicht von Trumps Kandidat als US-Vizepräsident ein Gegenbild.
Man mag von Trump halten, was man will
Deutschland. In seinem Vortrag beim Quincy Institute braucht JD Vance dafür nur einen einzigen Satz: Wenn Deutschland meine, „Putin muss um jeden Preis geschlagen werden, dann stoppt die Deindustrialisierung eures eigenen Landes im Namen einer lächerlichen Grüne-Energien-Politik“. Auch das erklärt – durchaus nachvollziehbar - die Abwehr-Reaktion der Grünen-Chefin Lang.
Man mag von Donald Trump halten, was man will. Aber auch eine deutsche Regierung wird kaum eine Wahl bleiben, als sich auf eine Administration unter seiner Führung einzustellen.
Der Ton zwischen Washington und Berlin wird sicher rauer werden, aber es geht um „hard facts“, um Interessen und Konzepte: Trump ist augenscheinlich auch außenpolitisch gut auf eine zweite Amtszeit vorbereitet.
Für Deutschland bedeutet das, über seine Politik – vom Sozialstaat über die Klima- bis hin natürlich über die Verteidigungspolitik - noch einmal neu nachzudenken. Ganz neu.